Die 10-Milliarden-Frage

Nahrungssouveränität "Harte Kost" von Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn ist das Buch zum Film "10 Milliarden", der im April in die Kinos kommen soll.

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Valentin Thurn ist Mitbegründer der Kölner Foodsharing-Initiative und er ist Dokumentarfilmer. Mit seinem Streifen "Taste The Waste" hat er 2011 eine gesellschaftliche Debatte über die alltägliche Lebensmittelverschwendung angestoßen. Nun steht sein neuer Film in den Startlöchern. Der Titel "10 Milliarden" nimmt auf jene 10 Milliarden Menschen Bezug, die 2050 vermutlich auf der Erde leben werden. Ab 16. April soll der Film bundesweit in den Programmkinos anlaufen. Das Buch zum Film gibt es jetzt schon, unter dem Titel "Harte Kost" machen Valentin Thurn und Stefan Kreutzberger eine kunterbunte Weltreise auf der "Suche nach Lösungen für die Ernährung der Welt". Das Buch folgt bis in die Kapiteleinteilung hinein dem Aufbau des Films. Alles beginnt mit der bangen Frage: Werden wir genug zu essen haben?

Man weiß es nicht, in Europa sind große Anstrengungen erforderlich und möglich, in der einen Welt werden Überbevölkerung, globale Erwärmung, Natur- und Hungerkatastrophen kaum zu vermeiden sein. Jedenfalls müssen wir jetzt alle ganz viel Angst haben, Vegetarier werden und auf das Konzept der Ernährungssouveränität hoffen.

Im zweiten Kapitel geht es um gentechnisch verändertes Super-Saatgut, wie es die Konzerne anbieten. Der "Goldene Reis" ist wieder da und Monsanto entwickelt gerade einen genmanipulierten Maniok speziell für Kleinproduzenten in den Entwicklungsländern. Der Bayer-Konzern ist da vorsichtiger und will zunächst seinen Anteil an Hybrid-Saatgut in Indien steigern. Beim Reis sind die hybriden Sorten zwar ertragreicher, aber auch empfindlicher gegenüber extremen Naturereignissen. Valentin Thurn und sein Kamerateam jetten selbst nach Indien, um sich nach einem Taifun von der Misere zu überzeugen:
"Die (Hybrid-)Pflanzen liegen flach auf dem Feld, vom Schlamm verkrustet. ... Zum Feld nebenan könnte der Kontrast kaum größer sein. Die (traditionellen) Reispflanzen stehen aufrecht, ihr sattes Grün leuchtet in der Sonne."
Der Inder hat wieder etwas gelernt und der weiße Mann schmunzelt: Also Hybrid-Saatgut bringt es auch nicht. Aber was ist mit der sortenfesten industriellen Landwirtschaft? Die ist von vielen Voraussetzungen abhängig, unter anderem von der Verfügbarkeit preiswerter Düngemittel. Im dritten Kapitel ist Valentin Thurn den Düngemitteln auf der Spur, lässt sich durch die Kali+Salz-Grube Hattorf schaukeln. Düngemittel-Lagerstätten gehen zur Neige, das Wasser wird knapp, die Böden versteppen - Zeit für biologisch-dynamisches Wirtschaften.

Im vierten Kapitel ist das Filmteam der sich in Afrika ausbreitenden Sojaproduktion auf der Spur, eben jenes Futtermittels, das in Kapitel fünf an die Hühner im "Hühnerstall des Todes" verfüttert wird. Fragen zur Spekulation mit Agrarrohstoffen stellt der Filmemacher in Kapitel sechs direkt einem Finanzmagnaten an der Chicagoer Rohstoffbörse. Doch irgendwie erfährt er nur Binsen. Da wendet er sich lieber einer Bürger-Aktiengesellschaft im Breisgau zu, die das Geld der Besserverdienenden in der Region halten will.

Wieder ein Sprung: der Flieger nach Japan wartet schon, wo sich Valentin Thurn im siebten Kapitel auf die Spur der "vertikalen Landwirtschaft" begibt. In einem Hochhaus in Kyoto werden Salatpflänzchen zu "Gaga Food«, in Nährlösung, unter künstlichem Licht und mit zusätzlicher CO2-Begasung. Mit Bleifuß geht es dann über die 10-spurige japanische Autobahn von Kyoto nach Osaka zur nächsten Hydrokultur in einem Hochhaus. In der benachbarten Universität wird schon eine großtechnische Hydrokultur für den Reisanbau in der Gegend um Fukushima entwickelt. Die Reispflänzchen schimmern seltsam unter dem rotblauen Licht der Leuchtdioden.

Am nächsten Tag geht es weiter nach Thailand, zu den traditionellen Insektenessern. Grillen, Heuschrecken, Bambusraupen und Wasserwanzen waren früher ein Armeleuteessen, heute sind gegrillte Sechsbeiner todschick und gelten als die Nahrung der Zukunft. Auch für Europäer? Eine thailändische Insektenforscherin meint, dass die Tierchen in verarbeiteter Form und Bioqualität auch in den Industrieländern eine Chance hätten.

Nun aber rasch zum Flughafen, an der kanadischen Atlantikküste wartet schon eine hoch umstrittene Zuchtanlage für genveränderten Lachs. Die bedauernswerten Tiere sind sämtlich Weibchen und sie wachsen doppelt so schnell wie ihre natürlichen Artgenossen. Die Themen transgene Tiere und Nanolebensmittel werden leider nur kurz gestreift. Zurück in Europa geht es um Fleisch aus Gewebekulturen, die wenigstens nicht genverändert sind. An der Universität Maastricht produzieren aus echtem Rindfleisch gewonnene Stammzellen in Nährlösung eine Art farblose Hackfleisch-Klümpchen. Google-Gründer Sergey Brin spendiert Valentin Thurn eine Buletten-Mahlzeit zum Preis von 250 000,- Euro pro Bratklops.

Daraufhin geht der Dokumentarfilmer in sich und zieht im achten Kapitel eine Art Bilanz. Neues Denken sei erforderlich und das können wir von den Kleinbäuerinnen in Malawi lernen. Also wieder ab in den Flieger und nach Malawi, wo die superschlaue Deutsche Welthungerhilfe einen Kochkurs im Tropenwald gibt. Aber die Besten der Besten der Besten netzwerken in der deutschen Solidarischen Landwirtschaft: Schnitt zu einem freiwilligen Arbeitseinsatz auf einem Biohof bei Köln.

Die Vielfliegerei ist noch nicht überstanden, denn die einzig wahre Kombination von Fischzucht und Pflanzenanbau in Aquakultur gibt es nur in Milwaukee zu sehen. Auf dem Rückweg wird noch die "essbare Stadt" im nordenglischen Städtchen Todmorden besichtigt, bis endlich das Nachwort die strengen Fragen stellt: Was haben wir gelernt? Und welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus? Wem müssen wir nun die Ohren langziehen? Natürlich nur uns selbst, den Konsumenten, die es zu Prosumenten umzuerziehen gilt, zu einer Kombination aus Produzenten und Konsumenten.

Da könnte der Rezensent doch glatt zum Destruenten werden, belässt es aber dabei, das Sprunghafte, Unsortierte und oftmals Unkritische des Buches anzumerken. Viel mehr Kritik war wohl in einem Bertelsmann-Verlag nicht möglich - Greenpeace, DNR und Gen-ethisches Netzwerk fechten es besser aus. Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Abkürzungsverzeichnis vervollständigen das 320 Seiten dicke Buch zum Preis von 16,99 €.

Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn
Harte Kost. München 2014
320 Seiten. 16,99 €.

10 Milliarden - Der Film

Gen-ethisches Netzwerk

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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