Ein Biber namens Robert Blum

Wildtierschutz „Die Geschichte wird von den Bibern geschrieben”, sagt Yoda Biberkopf. „Von den Siegern”, verbessere ich. „Was auf das Gleiche hinausläuft.“

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Yoda lässt sich da nicht beirren, immerhin ist er ein Enkel des berühmten Franz Biberkopf, des ersten Ortschronisten nach der Wiederbesiedlung der Saale 1995. Heute untersucht er den Fall des erschossenen Jungbibers am Fahnenmonument und ich darf ihm dabei helfen. Habe Yoda am Trothaer Wehr abgeholt, ihm den Jägerrucksack aufgehalten.

„Hüppe nei!“, was dieser nach einigem Zögern auch tat. Über uns donnerte ein rot-weißer Hubschrauber, wahrscheinlich auf der Suche nach Zusammenrottungen Ostereier suchender Kinder. Mit meinem alten Kleinwagen geht es auf der Paracelsusstraße weiter stadteinwärts. Plötzlich werden wir von einem blau-silbernen Transporter der Bundespolizei bedrängt und überholt, kurz vor der Einengung der Fahrbahn. „Bitte folgen!“ fordert ein Schriftzug auf der Heckscheibe.

„Eine Bullenwanne!“, flucht Yoda, „Was jetzt?“

„Die Zwangsimpfung durch Bill Gates Schergen?“, vermute ich. Yoda zappelt panisch. „Ganz ruhig, die wollen nur abzocken.“ Ein Jungbulle und zwei Jungbullinnen springen aus dem Transporter und umstellen meinen Kleinwagen in filmreifer Manier.

„Sie sind unangeschnallt gefahren!“ Ich habe das Recht zu schweigen, wie ich aus unzähligen Krimis weiß. Die Jungbullinnen drücken sich ihre Nasen an meinen Wagenscheiben platt, wo sie aber nur Gerümpel sehen. Der Jungbulle verschwindet mit meinen Papieren für geraume Zeit im Transporter, kommt mit einem Strafzettel zurück. Er murmelt noch etwas von diesen schweren Corona-Zeiten, in denen wir doch alle zusammenhalten müssten.

„Du mich auch!“ Wir können endlich weiterfahren. Yoda atmet immer noch stoßweise:

„Du müsstet wissen, dass man Wildtiere nicht so erschreckt. Da kommt schnell mal der Herzkasper vorbei.“ Im Parkhaus am Fahnenmonument finden wir im zweiten Untergeschoss einen Parkplatz, fahren mit dem Fahrstuhl nach oben und stehen bald auf der Wilhelm-Külz-Straße. Die Nr. 8 müsste in dieser Richtung sein. Hier ist es: ein öder Hinterhof, eine rote Backsteinmauer und ein brauner Kleinwagen.

Auf dem Tablet rufe ich die Zeitungsseite auf. Dort beschreibt die Enkelin einer Anwohnerin, wie sie den Biber entdeckte und dann absurde Telefongespräche mit Feuerwehr und Umweltamt führte.

„Dann tragen Sie den Biber doch zur Saale“, wurde ihr geraten.

„Vielleicht hätte sie mit dem Biber in den Zoo gehen sollen?“, überlegt Yoda.

„Mit Pinguinen geht man in den Zoo, Genosse Volkspolizist!“, sage ich. „Außerdem ist der Zoo geschlossen.“ Wir schauen uns das Zeitungsbild an. Das war zweifellos ein gesunder Jungbiber: dichtes, glänzendes Fell, glatte Kelle.

„Von uns war er nicht“, meint Yoda zu wissen. „Vielleicht war er auf der Durchreise. Jetzt ist die Zeit, in der die überzähligen Jungtiere aus den Bauten gebissen werden. Die suchen dann an den unmöglichsten Orten nach eigenen Revieren. Dieser hier hatte jedenfalls Pech, die Artenkenntnis des Stadtjägers reichte nicht aus, um einen Biber von einem Nutria zu unterscheiden. Die hochbezahlten „Tierretter“ der Feuerwehr herrschten die Enkelin grob an: „Dreh dich um, das ist nichts für Mädchen!" Ein Schuss fiel und ein streng geschützter Biber tat seinen letzten Atemzug.

„Da bist du erschossen wie Robert Blum!“

„Who the fuck is Robert Blum?“, will Yoda wissen. Ein umtriebiger Leipziger Stadtverordneter, der 1848 in Wien erschossen wurde.

Das Mädchen jedenfalls fand, dass sie das Schicksal des Bibers durchaus etwas anging, sie machte Handyfotos und schickte sie an die Bildzeitung.

„Diese Stadt hat ein Wildtier-Problem“, sage ich.

„Diese Stadt ist ein Wildtier-Problem!“, verbessert der Biber. „Halle ist so, wie Unterprivilegierte zur Preußenzeit zu sein hatten: arm aber sauber. Dadurch kommen immer mehr Wildtiere in die Stadt, wo sie ein trauriges Schicksal erwartet. Den Eisvögeln geht es ja nicht besser, ich sehe das immer wieder an der Klausbrücke. Die kleinen Kerle haben nun einmal dieses Bewegungsmuster: Schwirren auf der Stelle, dann rasanter Abflug. Dabei knallen sie öfter mal voll gegen das gläserne Geländer der Brücke.

Erschreckte Passanten fotografieren die toten Eisvögel und schicken die Bilder an Behörden, Umweltorganisationen und Medien. Dort verschwinden die Fotos aber immer auf wundersame Weise. Irgendwann kommt dann mal ein Umweltsamts-Mitarbeiter und wirft die toten Eisvögel in den Mühlgraben.“

„Aber ob das Absicht ist?“, zweifele ich.

„Das hat schon System“, ist sich Yoda sicher. „Anderes Beispiel, als seinerzeit die Wilde Saale für den Bootsverkehr geöffnet wurde, hat die Stadt extra alle Baumstämme mit Biberspuren bis unter die Erdoberfläche abfräsen lassen und in der Wieauchimmer-Presse war nur von verwilderten Nutrias die Rede.“ Yoda hat genug gesehen und will nur noch zurück zum Trothaer Wehr.

An der Bogenbrücke sitzen wir noch ein wenig auf einer Parkbank. Es sei eben alles etwas ungünstig zur Zeit, meint der Biber. Abgesehen von den durchgeknallten Greifertrupps, die die Stadt unsicher machen, werde auch im Biberbau gerade alles neu verhandelt.

„Wie gesagt, die Jungtiere haben es nicht leicht. Aber auch die alten und todkranken Tiere verlassen im Frühjahr den Bau zum Sterben. Einfach um nicht die Nahrungsgrundlage für ihre gesünderen Artgenossen zu schmälern, die diese dringend zum Aufbau des neuen Winterspecks brauchen.“

Der rot-weiße Hubschrauber donnert heran, Yoda huscht unter die Parkbank. Ich lasse das Tablet unter der Jacke verschwinden. Buch lesen auf einer Parkbank kostet mittlerweile das Zehnfache von Fahren ohne Gurt. Zwei behelmte Visagen mit Mundschutz starren mich aus dem Hubschrauber-Cockpit an. Dann entdecken sie auf der Kröllwitzer Seite eine Zusammenrottung Eier suchender Kinder. Yoda verabschiedet sich. Er wird mir über unseren Mittelsmann eine Nachricht zukommen lassen. Dann verschwindet er in den trüben Fluten des Flusses, fast ohne Wellen zu verursachen, während der Hubschrauber einen Scheinangriff auf die Kröllwitzer Eiersucher fliegt.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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