Herzliche Unbeherztheiten

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Sieben Bände von Erhard Eller (Lutz Reichelt) zierten bisher mein Bücherregal. Gerade kam ein achter dazu: "Herzliche Feindschaft". Wie schon seine Vorgänger kreist auch dieser Erzählband wieder um die soziale Wirklichkeit in diesem unserem Lande: Hartz IV, Konkurse, Zwangsversteigerungen, misslingendes Leben satt. Schon die Einstiegs-Story "Blutspende" ist eine einzige Anklage: Blutspender Z. beschwert sich bei Bürokraten und Ärzten über die Umstände (denn die sind nicht so), skizziert sofort das Spannungsverhältnis von Altruismus und Missstimmung, welches das ganze Buch durchzieht. Der Blutspender will unter diesen Umständen nicht spenden, kennt aber nichts anderes, legt sich auf die Spender-Liege und wird von den Blutsaugern völlig ausgesogen, seine Organe werden verwertet, alles bei lebendigem Leibe, was sonst. Und das geht so weiter, in "Aprilapril" wird ein Arbeitssuchender veralbert und verstirbt anschließend an Herzversagen. Die titelgebende Geschichte "Eine herzliche Feindschaft" erzählt von den Mitschülern Pechmann und Melhus, ihren unbefriedigenden Lebenswegen, den scheiternden Ehen, Baufilz, Gerichtsverhandlung und wieder werden Organe geraubt. Der Arbeitslose Uhrig kommt immer zur Unzeit aufs Arbeitsamt, fühlt sich ausgestoßen, erhebt erfolglos "Widerspruch", rastet aus, ein Ex-Vorgesetzter und ein Amtsleiter stürzen in die Tiefe, na klar. Der Dichter Reimer (mit dem sprechenden Namen) bekommt eine Literaturauszeichnung und gerät darob in seelische Nöte, flüchtet in die Krankheit. Der unverstandene Dichter stirbt schließlich einen rätselhaften Tod auf dem heimischen Teppich, wie das unzeitgemäße Dichter eben so an sich haben.

Ex-Werbefuzzi Rubrecht wird von der Arbeitsverwaltung auf Hundekot-Jagd geschickt, agiert übereifrig, Heulen und Zähneklappern inclusive. Ein Nachwuchs-Journalist befragt einen Spitzenpolitiker, das Interview wird so unappetitlich, dass der Fragesteller erbrechen muss, erkrankt und verstirbt, wie nicht anders zu erwarten. Und noch vier Zeitgenossen verabschieden sich vom Leben, Schaffer liegt auf der Intensivstation und die Oberschwester ist ein mörderisches Ungeheuer. Drögmann ist ein ruhiger Beamter, bis er pensioniert wird und bald darauf dahin scheidet. Unternehmer Woelffling fährt zur Kur, zurück im Büro hat er mit rätselhaften Gegnern zu ringen, die ihn zu Tode erschrecken, Diagnose Herztod. Dann noch der gute alte Milde, der von zwei übelen Erbschleicherinnen ermordet wird. Gut und Böse, Schwarz und Weiß treten in den Geschichten von Erhard Eller zumeist sauber getrennt auf. Und auch die Hoffnungsträger der Zukunft sind aus gespendeten Organen und Prothesen zusammengeschusterte Monstrositäten. Sogar bescheidene Frohnaturen wie Lorene und Blondbart haben keinen Spaß beim Sex, müssen Kartoffeln und Brot ungetröstet in sich hinein fressen. Ist das nicht traurig?
Nun ist die soziale Wirklichkeit im Merkel-Ferkel-Land durchaus kein (redensartiger) Ponyhof, ein paar Facetten fehlen in den holzschnittartigen Storys Erhard Ellers aber wohl doch. Mich erinnern die Geschichten des Weißenfelser Rentners manchmal an lang vergangene Textereien als "Schreibender Schüler": ein empfindsames und behütetes Mädchen hatte eine herzzerreißende Geschichte geschrieben, in der es um die armen Kühe ging, die unter Lebensgefahr grasen mussten, von Hochspannung führenden Weidezäunen umstellt und bedroht. Wir Jungs wussten natürlich, dass diese Weidezäune keineswegs lebensgefährlich waren und berichteten stolz von etwas unhygienischen Mutproben. In diesem Sinne: Wasser marsch!

Die Broschüre "Herzliche Feindschaft" von Erhard Eller hat 254 Seiten, ist 2010 im Engelsdorfer Verlag erschienen und kostet 12,50 Euro.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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