Leseberatung

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Fernsehen aus Mainz muss nicht unbedingt Mist sein. Am Freitag, dem 27. August lasen Verlagsangestellte (Suhrkamp) und Literaturfunktionäre (Schmidt-Stiftung) fünf Stunden lang aus Arno Schmidts Monumentalwerk "Zettel's Traum". Im Schaufenster eines Mainzer Möbelhauses war die Lesebühne aufgebaut und Studierende des Studiengangs "Zeitbasierte Medien" der FH Mainz übertrugen das Ereignis per Videostream ins Internet. Am anderen Ende der Leitung der geneigte Kulturkonsument im Fernsehsessel mit Knabberzeug in Griffweite. Für mich war es auch eine Art Leseberatung - kaufen oder nicht kaufen? Lesen oder nicht lesen?

Ja klar, "Zettel's Traum" (mit Apostroph) gilt als eines der schwierigsten Werke der deutschen Literatur, es geht um Leseerfahrungen, Geschichtsbild, Kulturkritik und Sprachtheorie. "Was steht eigentlich nicht in Zettel's Traum?", fragte bereits ein Spötter. Setzer Friedrich Forssman saß in Mainz mit am Tisch, wuchtete den 1530 Seiten starken Blindband des Wälzers ins Blickfeld. (300,- €) "So ein dicker und schwerer Buchblock leidet bei jedem Aufschlagen", schrieb F. A. in der ASML. Dann verbreitete er das Gerücht, dass bis vor einigen Monaten noch zwei Leinen-Bände geplant gewesen seien und vermutete: "... dass die Stiftung ganz einfach ein dickes Buch haben wollte, aus literatursportlichen Gründen." Aber es gibt noch eine "Studienausgabe", vier Broschüren für 200,- €, auch kein Schnäppchenpreis.

Was ist denn nun eigentlich die Geschichte, die A. S. uns erzählen will? Die äußere Handlung spielt an einem einzigen Tag, an dem der Schriftsteller Daniel Pagenstecher (Dän) die Familie Jakobi zu Besuch hat. Paul und Wilma sind Übersetzer, was zu allerlei Theorien und Mutmaßungen über Edgar Allen Poe Anlass gibt. Ihre 16-jährige Tochter Franziska macht Dän schöne Augen und auch sonst starken Eindruck auf ihn. So sehr, dass sich der (anscheinend vermögende) Großschriftsteller entschießt, ihr eine gute Ausbildung zu finanzieren. Gleichzeitig beteuert er, sie nie wiedersehen zu wollen. Der Mäzen wird idealisiert, vom ersten Höreindruck her ein Loblied auf die Verhältnisse, so wie sie sind. Ein leicht verschämtes Betteln bei den Millionären, den Schlauen, die Mehrwert für sich "umleiten" konnten. Und nun sollen auch ein paar Pferdeäpfel für die Spatzen abfallen? Der spendable Herr Reemtsma lag 1964 bis 1969 noch als Quark im (redensartigen) Schaufenster und doch wurde er schon herbei geredet. Umwälzung geht anders ...

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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