Maßnahme Porree

Ein-Euro-Job Deutschlands fleißigste Hartz-IV-Schnorrer berichten in der freiwilligen Springerpresse von ihren Eigenbemühungen.

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Das Leben der "Hartz-IV-Schorrer" (Springer) besteht nicht nur aus Herumlümmeln in ARD-Talkshows und schlechtem Benehmen auf RTL_2. Ich z. B. gehe aus dem Haus, wenn es noch dunkel ist und kehre heim, wenn es schon wieder dämmert. In der Zwischenzeit sitze ich mit 14 Leidensgefährten in einer winzigen Baracken-Zelle und male mit Buntstiften Mohrrüben und Sellerie, Kohlrabi und Kopfsalat. Ein Euro-Job nennt man diese Übung.

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Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ist die Zahl dieser "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwands-Entschädigung" massiv aufgebläht worden. Menschen im reiferen Lebensalter sitzen jetzt in kaum beheizten Industrie-Ruinen und basteln "Kompetenz-Pakete" für benachteiligte Jugendliche. Früh in der Straßenbahn belustigen sich gestandene Frauen über ein DDR-Quiz, an dem sie gleich wieder heftig arbeiten werden. Ihr "Anleiter" ermahnt sie laufend, dabei nie den Diktaturenvergleich zu vernachlässigen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
In meiner "Eingliederungs-Vereinbarung" steht seitenlang, was wir bei der "Maßnahme" alles lernen sollen: unter anderem ist praktische Naturerfahrung einzusaugen. Da wir auf dem Gelände einer ehemaligen Gutsgärtnerei gehalten werden, soll zu diesem Zwecke auch etwas angebaut werden. Doch die "Maßnahme" läuft nur bis zum 30. Juni 2013, um noch in die letzte Statistik vor der Bundestagswahl einzugehen. Da werden wir kaum etwas ernten können - nur die Porree-Ernte beginnt bereits im Juni, weshalb dieses schmackhafte Gemüse nun dort angebaut werden soll.

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Im Schweiße deines Angesichts sollst du deinen Porree essen! - werden sich die CDU-Granden wohl dabei gedacht haben.

Nach einem langen Arbeitstag und Fahrten mit Straßenbahn und Bus durch die ganze Stadt fallen mir aus dem heimischen Briefkasten gleich mehrere Briefe vom örtlichen "Joopcenter" entgegen: meinem Widerspruch gegen einen "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" wird in vollem Umfang entsprochen - nach fünf Monaten und etlichen Briefen voller Drohungen im Konjunktiv nun ein "Abhilfebescheid", der mich vor einem Verlust von 64,- € bewahrt. Und am 28. Juni 2013 gibt es Porree mit Fleischklößchen, Frühkartoffeln und Sahnesoße ...

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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