Barbara Unmüssig ist eine der beiden Vorstandsvorsitzenden dieser Stiftung. Thomas Fatheuer war Resident der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro und vorher Funktionär der K-Gruppe Proletarische Linke, Lili Fuhr leitet das Referat Internationale Umweltpolitik in der Zentrale der Stiftung in Berlin.
Nach einem länglichen Vorwort kommt eine ebenso ausführliche Bestandsaufnahme der globalen Umweltmisere: Klimakiller allerorten, die biologische Vielfalt geht verloren, die industrielle Landwirtschaft produziert neben billigen Lebensmitteln auch Ungleichheit, Armut und Hunger. Grüne Ökonomie will Auswege aus der globalen Krise anbieten, wird aber in diesem Buch mit ungewöhnlich schroffer Kritik bedacht. Dabei war der "Green New Deal" noch vor Wochen geradezu der heilige Gral Grüner Wirtschaftspolitik.
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Im vorliegenden Buch wird die bisherige wirtschaftspolitische Linie der Grünen als "neoliberal" gescholten, was sich auf drei Hauptvorwürfe stützt:
1. Natur werde auf Naturkapital reduziert.
2. Wachstums- und Innovationsgläubigkeit.
3. Versöhnlertum gegenüber bisherigen Lebensstilen, alles könne so weiter laufen, wenn nur die gewohnten Waren und Dienstleistungen nach EU-Ökoverordnung produziert würden.
Und noch einen Feind macht Barbara Unmüssig in ihrem Vorwort ausfindig:
"Auf multilateraler Ebene gibt es zu kleine Schritte, als dass die immense Naturzerstörung ernsthaft gestoppt werden könnte."
Ein unilateraler Hegemon müsse ran, der mit Menschenrechts-Rhetorik, Farbrevolutionen und Invasionstruppen endlich für die nötige steinzeit-ökologische Ordnung sorge! Und gleich noch einmal: die Wirtschaft finde keinen "Ausweg aus den politischen Sackgassen multilateraler Verhandlungen zum Schutz des Klimas und der Ökosysteme."
Der kollektive Hegemon müsse Schluss machen mit der Inwertsetzung der Natur durch CO2-Rechte und ökologische Kostenrechnungen und einfach sagen, wo es langgeht: Armut und Ressourcenknappheit global gleichmäßig verteilen.
Noch grobkörniger teilen die Autorinnen in den "Neun Thesen" aus, die sie mit großer Geste an die Kirchentür ihrer Stiftungswebsite gehämmert haben: Grüne Ökonomie sei "häufig ein Glaubens- und Ausblendungsprogamm".
Spätestens hier wird dem Rezensenten mulmig zumute, sind doch Einpreisen ökologischer Lasten und Innovationsförderung wichtige Instrumente des internationalen Klima- und Ressourcenschutzes unter multilateralen Bedingungen. Die Autorinnen meinen, Grüne Ökonomie meide unilaterale Verelendungstheorien und erwecke den Eindruck, dass die "große Transformation" ohne größere Umbrüche und inszenierte Katastrophen umzusetzen sei. Auch die Unterscheidung zwischen guter Landbevölkerung und "böser" (weil konsumfreudigerer und gebildeterer) Stadtbewohner ist wohl maoistischen Ursprungs. Wachstum ist böse, allen soll es gleich schlecht gehen - niemand soll hungern, ohne zu frieren!
Schrumpf Schrumpf Hurra!
Barbara Unmüßig, Lili Fuhr, Thomas Fatheuer
Kritik der Grünen Ökonomie
München 2015, 192 Seiten, 14.95 €
Kommentare 4
1. Natur werde auf Naturkapital reduziert.
2. Wachstums- und Innovationsgläubigkeit.
3. Versöhnlertum gegenüber bisherigen Lebensstilen, alles könne so weiter laufen, wenn nur die gewohnten Waren und Dienstleistungen nach EU-Ökoverordnung produziert würden.
Wenn das die in dem Buch ausgeführten Hauptvorwürfe sind, dann freut es mich, dass dies sogar im Umfeld der Grünen diskutiert wird. Interessanterweise kritisiert Papst Franziskus diese Punkte auch in "Laudato Si". Den Glauben, dass der technische Fortschritt es automatisch mittels "grünen Wachstums" regeln wird, teile ich nicht.
Schrumpf Schrumpf Hurra!
Es wird ohne Beschränkung nicht gehen und Papst Franziskus merkt zurecht an, dass dies automatisch auch eine soziale Frage ist: einschränken müssen sich die Wohlhabenden. Dass die Grünen die Partei der Besserverdienenden sind, macht sie m.E. nicht unbedingt zu einer treibenden Kraft in dieser Hinsicht...
Das mit "unilateral" versus "multilateral" ist mir nicht ganz klar (habe das Buch nicht gelesen): bedeutet das, dass die Autoren eine Abkehr (oder gar Umkehr) von der Globalisierung empfehlen? Erscheint mir ebenfalls plausibel: Internationalisierung bedeutet Verlagerung von Macht zu (je größer, je ausschließlicher) von Wirtschaftsinteressen gesteuerten Gremien ohne demokratische Kontrolle ("Technokraten", "Finanzexperten"). Der "Point of no return" mag bereits überschritten sein (Kapitalflucht verhindert die Erhebung von Steuern, Länder sind durch EU und mit TTIP und TPP auch global in eine Unterbietungswettbewerb gedrängt, usw.), aber vielleicht ist eine Regionalisierung in Teilen trotzdem möglich (dazu gibt es ja z.B. den Vorschlag nur regional gültiger Währungen, um Warenflüsse zu erschweren).
Lustig fand ich, als in den 80er Jahran auf großen Plakatwänden für die EU mit regionaler Vielfalt geworben wurde, also genau jenerer Regionalisierung, die die EU bestrebt ist aufzulösen.
Nicht unbedingt weniger Konsum, aber weniger Konsumabhängigkeit schon. Mehr und gerechter Teilen, sicher. Und dem Machen gehört der Verzicht (aufs Machen) entgegengestellt oder beigestellt. Nein, daß man mutige, große Schritte wagen sollte, daß man aus dem bisherigen kompromißlerischen Geschacher herausfinden muß, daß die Einspeisung von Umweltkosten die Pathologie dieser Gesellschaft keineswegs beheben kann, daß ein Neoliberalismus auch im grünen Gewand widerlich ist, dem würde ich überhaupt nicht widersprechen, geschweige denn mich darüber lustig machen. Aber es steckt schon ein grundsätzlicher Fehler in dieser Kritik der grünen Ökonomie.
So, wie es Verschwörungstheorien gibt, denen zufolge eine kleine Gruppe Wissender die unwissende Masse auf ein Ziel verpflichten kann, das einigen nützt, die Masse aber ins Unheil führt, so gibt es Erlösungsfantasien, denen zufolge eine kleine Gruppe Wissender die unwissende Masse auf ein Ziel verpflichten kann, das allen nutzt, die Masse ins Heil führt. Beide Arten sind Elitetheorien, beide sind nicht gänzlich unbegründet, aber doch im Wesentlichen irreal. Denn es wird, das eine Mal im Bösen, das andere Mal im Guten, die Rolle von „Eliten“ überschätzt. Und wo soll der gute Hegemon, der Erlöser, herkommen? Richtig ist, daß es wünschenswert wäre, wenn mehr das Richtige getan würde, wenn also die kompetenten Fachleute größeren Einfluß hätten. Und wenn diese Fachleute bei ihrer Arbeit keine Eigeninteressen verfolgen würden. Derzeit sind das ein bißchen zu anspruchsvolle Voraussetzungen.
Bleiben wir bei der Demokratie und hoffen, daß die Menschen ein wenig umsichtiger und nachhaltiger handeln und denken lernen, und daß eine Solidarität entsteht, so daß sie eher bereit sind, manche Dinge in verantwortliche Hände von etwas kompetenteren zu legen. Schließlich haben wir auch gelernt, unsere Kinder in die Schule zu schicken, wir gehen zum Arzt, und wir müssen uns auf die fachmännische Arbeit von fast allem, nämlich allem, was wir nicht selbst erledigen können, verlassen. Und damit wir im Zweifelsfall einen Ansprechpartner haben, akzeptieren wir Institutionen. Und bauen solche weltweit aus, was nur Sinn macht, wenn sie dann auch weltweit im weltweiten Interesse eingreifen können. Aber eine gute Ökodiktatur? Das sollte man schnell vergessen, da sind wir wieder beim Ausgangspunkt dieser Überlegung.
Und es kommt ein weiterer Punkt hinzu. Selbstverständlich gibt es kompetentere Leute. Aber wissen die auch, was richtig oder gut ist? Das können sie gar nicht, weil es das absolute Gute oder schlechterdings Richtige nicht gibt. Das unter A bedingt Richtige muß nicht gleich dem unter B bedingt Richtigen sein, ich habe viele Bekannte, die sich mit Grausen abwenden, wenn ich mit dem komme, was mir als gut und schön gilt. Gut und schön – das sind offensichtlich subjektive Kategorien. Aber viel mehr intersubjektive Verläßlichkeit bietet auch das Wahre nicht. Wir müssen mit Fehlern, Fehlerhaftigkeit, auch der der Fachleute, leben. Und, ebenso unvermeidlich und gravierender noch, mit der Ignoranz gegenüber dem Richtigen und Guten. Oder wollen wir bspw die Diktatur der gesunden Lebensführung? Wenn wir akzeptieren können, daß sich Menschen betrinken und selbst vernünftige Regeln nicht einhalten wollen, daß sie ohne allzu lähmende Bedenklichkeit handeln und weitgehend unzensiert denken dürfen, ist Demokratie die angemessene Organisationsform. Denn die Demokratie erlaubt das Falsche und mit ihm Erfahrungen zu machen. Eine Diktatur selbst der reinsten Wahrheit würde verhindern, daß die Menschen jemals das Richtige und Gute aus freiem Willen tun. Dieses mißliche Ergebnis ergibt sich allerdings auch, wenn die Menschen ihrem Handeln und Denken überhaupt keine regulative Idee des Wahren, Schönen und Guten zugrundelegen. Diktatur der Wahrheit und Indifferenz gegenüber der Wahrheit bieten keine Perspektive zur Verbesserung der Welt.
Unilateral heißt einseitiges Handeln einer (politischen) Machtstruktur ohne Rücksichtnahme auf andere Akteure. Multilateral bedeutet mehrseitig, mehrere z. B. Staaten betreffend. Wobei der Papst schon von seinem Amt her ein Unilateralist ist. Die K-Grüppler von der Heinrich-Böll-Stiftung sind es auch und ihre Ökodiktatur würde eine maoistisch-steinzeitliche á la Pol Pot werden.
Internationalisierung bedeutet Verlagerung von Macht zu (je größer, je ausschließlicher) von Wirtschaftsinteressen gesteuerten Gremien ohne demokratische Kontrolle ...
Internationalisisierung ist auch der Kyoto-Prozess und der funktioniert mittels Internalisierung von Umweltkosten und ausverhandelten Kompromissen nicht nur mit "lupenreinen Demokraten". Die "Böller" schütten das redensartige Kind mit dem Bade aus, wenn sie sagen: "Funktioniert alles nicht, jetzt wird nur noch der Gürtel enger geschnallt." Das trifft neben den Armen auch die Kreativen und Experimentierfreudigen.
Nein, daß man mutige, große Schritte wagen sollte, daß man aus dem bisherigen kompromißlerischen Geschacher herausfinden muß, daß die Einspeisung von Umweltkosten die Pathologie dieser Gesellschaft keineswegs beheben kann, daß ein Neoliberalismus auch im grünen Gewand widerlich ist ...
Die Vertreter des "Green New Deal" haben ja spätestens seit 2009 die politsch-grüne Szene beherrscht und können schon durch ihre überwiegend technisch-organisatorischen Utopien Nerven kosten. Jetzt kommt wohl die Gegenbewegung, aber Madeleine Albright und Petro Poroschenko sind wohl kaum die richtigen Ratgeber.