Unten und Oben nasse Zuckerwatte

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In der Vorankündigung hieß das Stück noch "Vom Hartz-IV-Empfänger zum Model" und sollte in der "Neuen Residenz" aufgeführt werden. Gut, dass ich vorher noch einmal ins Internet geschaut hatte, denn inzwischen heißt das Werk "Unten und Oben" und wird im Kleinen Saal des Halleschen Thalia-Theaters gezeigt. Der Ankündigungstext auf der Webseite ist gleich abschreckend geblieben. Ideengeber soll ein Artikel in der Mitteldeutlichen Zeitung vom 26.09.2008 gewesen sein: „Von der Arbeitslosigkeit auf den Laufsteg“: Geschichten von Frauen, die ungewöhnliche Wege einschlagen, um Selbstbestätigung, Würde, Selbstachtung und Lebensperspektiven wieder zu erlangen - als Beitrag von Regisseurin Katka Schroth zum städtischen Themenjahr „Arbeitswelten“.

Und wie das so ist in den Arbeitswelten, ständig wird rationalisiert und hier wurde zuerst der Autor eingespart, bzw. die Autorin. Wie schon beim Fußballfan-Spektakel werden reale Menschen mit ihren authentischen Haltungen auf die Bühne gestellt und wenn sie schon einmal da sind, erzählen sie auch ein wenig von sich. Doch während die Fußball-Krawallmacher noch ihre eigenen Aufreger vom Sportplatz mitgebracht hatten, geht es in "Unten und Oben" bemerkenswert konfliktscheu zu. Es ist eben so, wie es ist: die Einen sind Unten und bleiben auch dort. Die Oben können eh nichts dafür, wollen doch nur das Beste: eine örtliche Model-Agentur wurde von der Arbeitsagentur unterstützt, hat sich aber anscheinend schon wieder in Wohlgefallen aufgelöst. Das Thalia bringt nun einen realen Arbeitsvermittler aus dem Amt in der Schopenhauerstraße auf die Bühne, dazu die ehemalige Inhaberin einer Wachschutzfirma. Die sollen also "Oben" sein. Unten sind drei hoffnungsvolle Models, zwei Russland-Deutsche und eine Brasilianerin. Wahrscheinlich waren Halles Ureinwohnerinnen zu muffelig beim Rollencasting des Thalia, von dem die Lokalzeitung kürzlich in den höchsten Tönen schwärmte. Und wahrscheinlich hat die Arbeitsagentur auch dieses Casting bezahlt und vergütet ihrem Mitarbeiter auf der Bühne seine Überstunden nach gültigem Tarifvertrag. Wenigstens spricht er so. Die Models berichteten Kleinteiliges von einigen wenigen Auftritten und Fotoshootings. Ein örtliches Konfektionshaus hatte eine Modenschau in Auftrag gegeben und hinter den Kulissen gab es Sekt. Einmal war RTL da und wollte kleinere Differenzen im Projekt skandalisieren, aber es gab keinen Skandal, mangels Masse. Die aufregendste Geschichte erzählte noch die Wachschutz-Chefin, die auch mal Kaufhaus-Detektivin in besagtem Konfektionshaus war. Ausführlich typisierte sie die Arten möglichen Fehlverhaltens in einem Kaufhaus - der Regelverstoß ermöglicht Machtausübung. (Und wenn man mal ein Schreiben von der Arbeitslosen-Verwaltung bekommt, zählt das auch seitenlang mögliche Verstöße gegen irgendwelche Regularien auf.) Vor ihrer Karriere als Chef-Aufpasserin wurde die "da Oben" selbst bei einem Regelverstoß erwischt und gnadenlos gefeuert - weil sie sich im Selbstgespräch verplappert hatte und glaubte, es hörte sie niemand. Sie schimpfte leise auf irgendwelche undisziplinierten Kunden vor sich hin, doch die Tür war nur angelehnt und dahinter lauerten Lauscher. Das war auch schon die interessanteste Geschichte des Abends. Insgesamt wirken Handlung und Akteure wie in Watte herumtappend, ringsum die nass gewordene Zuckerwatte städtischer und arbeitsamtlicher Fördermittel. Das Stück dauerte auch nur 50 Minuten, danach schlichen die Zuschauer wie geprügelte Hunde durch finstere Straßen heim. Regietheater anscheinend ohne Regisseur und kein Autor - nirgends.

"Unten und Oben" steht am Mittwoch, Donnerstag und Sonnabend nächster Woche wieder auf dem Spielplan des Thalia-Theaters Halle/S., also am 11., 12. und 14.11. um 20.00 Uhr in der Kardinal-Albrecht-Str. 6.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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