Schlacht der türkischen Prinzen

Internationale Politik Seit zwei Wochen hat die Türkei einen neuen YouTuber. Ein Gangster und bewaffneter Arm der türkischen Regierung auf den Straßen packt aus.

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Auf YouTube erklärt Sedat Peker den sogenannten Prinzen den Krieg und Millionen von Menschen verfolgen diesen Kampf. Sechs Videos, die in zwei Woche hochgeladen wurden, haben rund 32 Millionen Views bekommen und sind ein steigender Trend auf dem Videokanal. Die Krieg führenden Kräfte zermürben sich gegenseitig. Erdoğan hat sich bisher zurückgehalten.

Keiner der nicht-zeremoniellen "Prinzen" ist in der Türkei so höflich wie Prinz Harry und will von sich aus auf seinen Anspruch auf die Nachfolge Erdoğans verzichten. Das Blut der Königsfamilie ist in der türkischen Geschichte am häufigsten bei solchen Kämpfen geflossen. Es ist ähnlich wie der Satz im Film Highlander "es kann nur einen geben". Das war die Realität, die im Osmanischen Reich lange Zeit sogar per Gesetz erlaubt war. Die Prinzen töteten sich gegenseitig, bis nur noch einer übrig blieb. Derzeit sind es zwei starke politische Figuren, die als mögliche Nachfolger Erdoğans gehandelt werden. Zwei Prinzen für eine Position als Anführer der Türkei. Wer sind diese Prinzen? Der Innenminister Süleyman Soylu und der vor ein paar Monaten zurückgetretene Wirtschaftsminister Berat Albayrak, der eigentlich ein "Schwiegersohn" ist. Mit dieser Wahl hat Erdoğan ein Dilemma. Er hält anscheinend seine zwei Söhne unpassend, für sein eigenes Amt in Zukunft zu bekleiden. Der Schwiegersohn soll das Dilemma lösen. Doch Erdoğan scheint in der Öffentlichkeit weder für noch gegen einen zu sein, er steht über ihnen.

Irgendetwas ist faul im Staate Erdoğan. Er ist erfahren genug, um zu wissen, dass es in den modernen Parteien der Türkei bisher gescheitert ist, die Väter durch die Söhne zu ersetzen. Beide Prinzen sind schon einmal von ihren Ämtern zurückgetreten. Soylu mobilisierte den Twitter-Mob und konnte an der Macht bleiben. Albayrak scheiterte kläglich. Bislang wurde vermutet, dass sich die beiden nicht mögen. Nun rückt die Intrige dieser beiden verfeindeten Fraktionen ins Rampenlicht.

Wer ist Peker?

Der YouTuber Peker drohte den Akademikern für den Frieden, dass er in ihrem Blut duschen würde. Er schickte Jeeps für die Islamischen Kräfte in Syrien, organisierte regierungstreue Kundgebungen, gewann Preise als Geschäftsmann des Jahres aus den regierungstreuen Medien und ließ seine Anhänger dem Großen Türkischen Reich die Treue schwören. Er war selbst jahrelang inhaftiert, einmal wegen seiner kriminellen Geschäfte und einmal, weil er für die regierungsfeindlichen, militärischen, nationalistischen Kräfte eintrat. Inzwischen verhält er sich Erdoğan gegenüber loyal. So begann sein Aufstieg als angeblicher Geschäftsmann.

Die YouTube-Videos haben einen Unterhaltungswert, besonders in der Zeit der Pandemie. Er zitiert aus vielen Büchern, auch aus dem 1937 von Mustafa Kemal hingerichteten alewitischen Kurdenführer Seyit Rıza und spricht über linke Figuren wie Che Guevara. Er beklagt die durch Armut verursachten Selbstmorde in letzter Zeit. Peker zeigt in seinen Videos auch verschiedene Bücher auf dem Tisch. Mario Puzos Roman "Narren sterben" soll dafür stehen, dass andere sich dumm verhalten haben und nun dafür büßen sollen. Das nächste Buch: "Wicked Messenger: Bob Dylan and the 1960s", geschrieben von Mike Marqusee. Man kann davon ausgehen, dass die türkische Übersetzung von Messenger als Prophet der Grund ist, warum dieses Buch auf dem Tisch gelandet ist. Auch Isaac Deutschers Titel für seine Trilogie über Trotzki trägt diesen Namen: "Der verstoßene Prophet: Trotzki". Das türkische Wort „Peygamber“ geht auf das persische Wort zurück, das eigentlich der Bote bedeutet. Welche Botschaft aber hat dieser Aussteiger? Wieder symbolisiert ein Buch seine Antwort: "Der Pate kehrt zurück" von Mark Winegardner.

Das Kapital, der Staat und das Verbrechen

Ein Paradebeispiel für den Zusammenhang zwischen Kapital, Staat und Verbrechen stammt aus dem Buch "Ein schöner Mord" von Ernest Mandel. Er weist darauf hin: in der regelmäßigen Forbes-Liste der reichsten Familien des Landes befanden sich 1982 drei Familien von bekennenden Gangstern unter den größten Vermögenden Nordamerikas. Man kann auf die Beziehung zwischen Mafia, Politik und Wirtschaft eingehen und den Film "Once Upon a Time in America" als ein gutes Beispiel für die Darstellung solcher Beziehungen anführen, die einen internationalen Charakter haben und nicht auf ein einzelnes Land beschränkt sind. Während die Figur Max Bercovicz im Film die eigene Identität verbergen muss, um ein angesehener Politiker zu werden, war Peker eine politische Figur, ein reicher Mann und gleichzeitig ein Krimineller, ohne seine Vergangenheit zu verbergen. Der Film bleibt realistischer als die türkischen Verhältnisse.

Die erste Enthüllung war, dass ein AKP-Abgeordneter eine Vergewaltigung mit Hilfe der Polizei und des Militärs vertuscht hatte und das 18-jährige Opfer, Yeldana Kaharman, das aus Kasachstan stammt, einen Tag später tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde, nachdem Kaharman das Verbrechen den Behörden gemeldet hatte. Der Vater dieses AKP-Abgeordneten ist Mehmet Agar, der in den neunziger Jahren Polizeichef und Innenminister war. Sedat Peker nannte ihn den Kopf des tiefen Staates. Mehmet Agar wird von Sedat Peker angegriffen, weil es vor kurzem eine Hausdurchsuchung in Pekers Villa gab, bei der seine Frau und Kinder sehr grob behandelt wurden und er dies als Verletzung seiner Ehre und als Verstoß gegen ein ungeschriebenes Gesetz sieht, dass Kinder und Frauen nicht angefasst werden dürfen. Er beginnt auch, den früheren Wirtschaftsminister Albayrak als den wahren Drahtzieher des Überfalls anzugreifen. Mehmet Agar hatte mit Gewalt und Drohungen einen Yachthafen in Bodrum in Beschlag genommen, um ihn für den Drogenhandel zu nutzen. Schließlich sei die 4,9 Tonnen schwere Kokainladung, die auf dem Meer in Kolumbien auf dem Weg in die Türkei abgefangen wurde, für diesen Hafen bestimmt gewesen, so Peker. Mehmet Agar und Albayrak steckten mehr oder weniger unter einer Decke, um ihre Geschäfte zu betreiben, die sich von den Medien über Ministerposten bis hin zu Drogengeschäften erstrecken, sagte er.

Dann gab es eine Wendung der Ereignisse. Der jetzige Innenminister Süleyman Soylu hielt sich zurück und begann, Peker zu attackieren. Peker sieht sich von Soylu verraten. Bisher hatte er zu Soylu gestanden und sie hatten viele Dinge gemeinsam geregelt. Jetzt plaudert er aus, dass Soylu die Informationen durchsickern ließ und dass gegen Peker ermittelt wird, so dass er vorerst das Land verlassen und auf Befehle von Soylu warten musste, um zurückzukehren. Soylu habe ihm persönlich Polizisten zu seiner Sicherheit zur Verfügung gestellt. Soylu führt einen Krieg gegen die Albayraks und Peker sieht sich als Instrument in diesem Krieg benutzt. Soylu bereichert sich und ist in das Geschäft mit der Erteilung von Baugenehmigungen beim Verkauf von Staatsland verwickelt. Peker fügte hinzu, er habe ihn selbst 20 Jahre unterstützt, damit er politisch aufsteigt.

Peker erklärt der Öffentlichkeit die krummen Geschäfte mit Namen, Orten und Details der beiden Kräfte, die sich um Erdogans Nachfolge streiten. Sicherlich werden noch mehr Verbrechen ans Licht kommen. Unter den sechs Videos von Sedat Peker gab es in den ersten Tagen der Veröffentlichung noch keinen einzigen Kommentar. Inzwischen kommentieren immer mehr Menschen, denn es ist bereits klar geworden, dass Sedat Peker diesen Kampf nicht so leicht verlieren wird, da die Kosten eines möglichen Sieges der Gegenseite in die Höhe schießen. Die türkische Staatsanwaltschaft ist ebenso untätig und schaut nur zu. Nicht eine einzige Enthüllung oder Anschuldigung Pekers wurde bisher widerlegt. Aber Soylu musste reagieren und forderte die Staatsanwaltschaft auf, die Vorwürfe zu untersuchen, das geschah nur mit seiner Zustimmung.

Was macht Erdogan in diesem Kampf?

Nur die großen verschwörerischen Kräfte in der Türkei oder im Ausland, die gegen Erdogans Regierung sind, haben ein Argument vorgelegt, um Pekers Aussagen zu bestreiten. Freud beschreibt in seinem Buch "Totem und Tabu" das Paradox eines mächtigen Herrschers. Wenn er so viel Macht hat und alles diktieren kann, was ist dann mit den schlechten Dingen, die als Folge seiner Entscheidungen passieren? Die Massen bringen ihre Herrscher ständig um. Erdoğan mischt sich überall ein und will kontrollieren, wobei er zwischen den Dingen trennt: den guten Dinge, die er getan haben soll (die angeblichen guten Punkte lassen sich jedoch nicht finden), und den schlechten Dingen, die eigentlich durch interne und externe böse Kräfte verursacht wurden. In der Türkei würde Erdoğan jedoch dafür stehen, dass er den Schaden von diesen Kräften reduzieren würde, ohne ihn wäre der Schaden viel größer.

Nun hat Peker angekündigt, das kriminelle Geschäft der türkischen Politik im Syrienkrieg bekannter zu machen. Das bedeutet wohl, dass die Politiker durch die Geschäfte reicher geworden sind, obwohl sie ihr Handeln nach außen hin als im nationalen Interesse dargestellt haben. Dabei bedient sich Peker des Narrativs, dass ihm der türkische Staat heilig sei und das Problem nur darin bestünde, dass einige Politiker:innen ihr Amt missbrauchen würden, wobei er auch Erdogan als Präsidenten verteidigt, der angeblich nichts von solchen Geschäften mitbekommt. Die Fraktionen innerhalb Regierung versuchen, sich auf der einen Seite zu bereichern, indem sie die illegalen Geschäfte im Lande betreiben und die staatlichen Eigentümer ausplündern. Diese Konflikte sind alles andere als friedlich. Die Medien, die Mafia und die Minister bekämpfen sich gegenseitig um staatliche Möglichkeiten.

Sedat Peker war nicht der erste, der eine solche Karriere machte. Der Urvater der türkischen Kriminellen war Topal Osman. Topal Osman ermordete mit seinen bewaffneten Banden während des Völkermords an den Armeniern unzählige Armenier und Griechen und später die Kurden in Kocgiri. Er war ein Nationalheld und sogar der Chef der persönlichen Schutztruppe von Mustafa Kemal. Als er selbst politische Ziele verfolgte, wurde er ermordet und seine Leiche 1923 vor dem Parlament aufgehängt. Kein politischer Mord oder Massaker ist bisher in der Türkei ohne staatliche Zustimmung oder direkte Organisierung geschehen.

Egal, wer diesen Krieg gewinnt, Erdoğan wird versuchen, sich am Ende als Sieger zu präsentieren. Erdoğan, der zu Beginn seiner politischen Karriere arm war, hat sich und seine Familie durch dubiose Geschäfte reich gemacht und den gleichen Weg eingeschlagen, den auch andere Politiker gerne gehen würden. Erdoğans Land ist der Prototyp der heiligen Dreifaltigkeit, in dem sich Politik, Kapital und Mafia in seiner reaktionären, bonapartistischen Art vereint haben und wo wir nun von einem neuen YouTuber aufgeklärt werden.

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