Was ist das für ein großartiger, weil vor Fabulierlust strotzender Roman! Und Trottel, so der Titel, ist der zweite dieser Art von Jan Faktor, und auch er war für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert, wie schon 2010 Georgs Sorgen um die Vergangenheit. Faktor, der 1951 in Prag geboren wurde und 1978 der Liebe wegen ins damalige Ost-Berlin wechselte, steht singulär in bester tschechischer Tradition von Jaroslav Hašek und Bohumil Hrabal. Er schreibt im Ton des Übermuts nichts weniger als eine Kultur-, Sozial- und Sittengeschichte. Das mache ihm mal einer nach. Er schlängelt sich als Erzähler durch seine zwei Leben. Im ersten Roman ist es das Prager Leben als Heranwachsender im von Frauen geführten bürgerlichen Haushalt, im zweiten
Haushalt, im zweiten das eines hinter der Existenz eines Handwerkers versteckten Weges zum Schriftsteller und „linken Antikommunisten“.Bei Faktor herrscht der Geist der Erkenntnis: Wir sind noch mal davongekommen. Mit einem anderen Bruder im Geiste, nämlich Ernst Jandl, könnte er sagen: „Mir ist so anders, als mir war, als mir noch nicht so anders war.“ Aus dieser Differenz blickt der Autor auf sein Leben und gewinnt daraus seine Komik. Faktor zählt zur Generation der in den Nachkriegssozialismus ungefragt hineingezogenen Schriftsteller, in deren Leben es um etwas ging, weil darin oft alles Spitz auf Knopf stand. Zu bestaunen ist, wie sie es erzählen. Faktor hat die Erfahrung, dass das Leben im Osten ein subversiver Coup war, zum ästhetischen Eigensinn erzogen.Subversive Erfahrung legt die Kunstfigur eines Trottels nahe. Denn ob jemand wirklich einfältig, dumm und ungeschickt ist oder sich nur als solcher mit Lebensuntüchtigkeit tarnen wollte, war im Osten oft nicht zu unterscheiden. Einem Trottel blieben ideologische Übergriffigkeiten erspart. Faktor bewegt seinen Antihelden bisweilen chaotisch durch Stoff und Zeit, ruft sich von Kapitel zu Kapitel zur Ordnung, entschuldigt mögliche Wiederholungen, weil er das Geschriebene nicht noch einmal durchgelesen hat, und treibt so durch reichlich Vor- und Rückgriffe und allein 262 Fußnoten durch ein halbes Jahrhundert im Leben des erzählenden Ich.Diese Komposition ist alles andere als trottelig, sondern die Unlogik des Lebens selbst. Dazu gehört der Freitod seines hochbegabten Sohnes mit 33 Jahren. Dessen wachsende Lebensuntüchtigkeit infolge manisch-depressiver Schübe vermochten Vater und Mutter nicht aufzuhalten. Der Erzähler kommt nach seinem schon in Prag abgebrochenen Studium der Digitalwissenschaft und nach seiner Arbeit als Brötchenausfahrer nun bei dem an, was im Sozialismus dringlich war: der Reparatur von Haushaltsgeräten und anderen Alltagsgegenständen, die mit dem Talent kreativer Improvisation wieder ins technische Leben zurückgeholt werden konnten. Ein sozialistisches Nischenleben also, das einem Weg zum Schriftsteller nicht im Weg stand, sondern ihn eher begünstigte. Das gab es in vielen Varianten gerade im Prenzlauer Berg, der dissidentischen Künstlerkolonie in Ost-Berlin. Ihr – die mal als marxistischer Untergrundzirkel auftrat, mal als Aktionskreis – flicht Faktor keine Lorbeerkränze, sondern schließt sie in seine satirische Fabulierlust ein. Erst ist es der „von konkurrenzlos belesenen Trotzkisten“ postulierte Linksradikalismus, dann ist die Rede von „promiskuitiven Politbräuten aus den Oppositionskreisen vom Prenzlauer Berg“. In dieser Künstlerszene wird eisern um Abstand zur Obrigkeit gerungen. Anderssein ist das Dogma. Die Wohnungen mussten schockierend sein und die Erziehung der Kinder auf ihren „ganz geringfügig staatsfeindlichen Geburtstagsfeiern“ musste es auch sein. Eine Sittengeschichte kennt auch die fragwürdigen Sitten.Der Erzähler teilt gegen Anwälte aus, die als „Gelenkschmierbeutel des Staates“ ihre Mandanten aus der Aktivistenszene an die Stasi verrieten, und gegen Kirchenleute, die im Kampf für den Frieden nicht mehr wussten, auf welche Seite sie gehörten. Plötzlich befindet sich Faktor mitten in einem Wenderoman, erschrickt selbst darüber, weil diese Kategorie in seinem ästhetischen Programm gar nicht vorgesehen ist. Auch die kunsttheoretischen Einlassungen des in der Erzählzeit zum Schriftsteller gewordenen Erzählers sind wegen ihres Eigensinns überaus lesenswert. Dem vollkommenen Werk wird widersprochen und die Wendung zum Fragmentarischen verteidigt und natürlich zur Albernheit als dem „mimetischen Residuum in der Kunst“.Apotheker und LügopädenPolitik kommt als Erinnerung des Körpers in das Erzählen. Ein ganzes Kapitel widmet der Autor – wie es scheint mit den Kenntnissen eines approbierten Apothekers –, dem Thema Antidepressiva ihren unheilvollen Wirkungen. Immer wieder feiert und erfindet er mindestens hundert Anredeformen wie Studentissinnen und Studentate oder Machtturbolader und Lügopäden.2018 hat Jan Faktor den Italo-Svevo-Preis erhalten, der bevorzugt literarisch bedeutende, aber wegen ihres ästhetischen Eigensinns in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannte Autoren aus der Stille holt. Damals war sein Renommee mit dem Erstroman Georgs Sorgen um die Vergangenheit schon aufgebraucht und er versank in die Stille. Das sollte sich mit Trottel nicht wiederholen. Man würde einen Schriftsteller und seine tschechische und deutschee Fabulierkunst verkennen, dessen Texte ihren eigentlichen Wert „weit unterhalb der wahrnehmbaren Verlaufskurve der linearen Wortaneinanderreihung haben“.Placeholder infobox-1