Lisa Eckhart: „Humor stellt sich über alles. Sogar über die Sterblichkeit“
Interview Die Kabarettistin Lisa Eckhart hat viele Fans und viele Feinde. Zuletzt erschien ihr zweiter Roman „Boum“. Gerade ist Eckhart mit ihrem neuen Programm „Die Vorteile des Lasters – ungenierte Sonderausgabe“ auf Tournee
Lisa Eckhart: „Humor ist das Allerwichtigste. Lachen muss da sein. Lachen ist für mich ein extrem souveräner Ausdruck, der uns Menschen gegeben ist“
Foto: Andreas Weihs/Imago Images
Die vielen Einladungen, die sie in diesen Wochen von Veranstaltern erhält, gelten entweder der Romanautorin oder der Kabarettistin. Lisa Eckhart hat sich gewissermaßen medial „verdoppelt“. Boum (Zsolnay) ist bereits ihr zweiter Roman. Als vor zwei Jahren Omama (Zsolnay) erschien, haben viele Leser wie Literaturkritiker ihn als kabarettistischen Bonustrack gesehen. Das ist Boum, der Trash und Comic als Kunstform einsetzt, in keiner Weise.
Überhaupt hat die Österreicherin Lisa Eckhart, die inzwischen in Leipzig lebt, einen außergewöhnlichen Aufstieg in die erste Reihe der Kabarettist:innen gemacht. Dabei stand vor zwei Jahren alles auf der Kippe, als man sie wegen eines bereits 2018 gesendeten Beitrags an den Pranger gestellt hatte. Der Vorwurf lautet
les auf der Kippe, als man sie wegen eines bereits 2018 gesendeten Beitrags an den Pranger gestellt hatte. Der Vorwurf lautete Antisemitismus. Mittlerweile trägt die Welle sie wieder, obschon ihr Scharfsinn nicht zum Kuscheln einlädt.der Freitag: Gebürtige Österreicherin, heute Leipzigerin. Sie haben in Österreich erste Bühnenerfahrung als Kabarettistin gemacht. Das war 2015. Sind Sie in gleichem Maße wie in Deutschland auch in Österreich populär?Lisa Eckardt: Das weiß ich auch nicht. Fürchte aber nicht. Sobald wir die Grenze überqueren, bei der ersten Raststätte, streckt sich mein Manager genüsslich und sagt: Jetzt erkennt uns niemand mehr! Er scheint tatsächlich recht zu haben.Lacht man in Deutschland anders?(Tiefes Luftholen.) Meine Anhänger nicht. Ich glaube, es gibt mittlerweile nicht mehr so viele Formen und Geschmäcker des Humors, sondern es tut sich ein Graben auf zwischen denen, die meinen, Humor ist etwas Schönes, Essenzielles, Souveränes und den anderen, die meinen, Humor ist entweder etwas Gefährliches oder Albernes, womit man sich als ernster Mensch nicht aufhalten sollte.Als es 2020 um einen Antisemitismusvorwurf gegen Sie ging, hat ein Kritiker über Sie geschrieben: Ihr kabarettistisches Konzept sei das Brechen von Tabus. Könnte man sagen: Lisa Eckhart hat Lust an der Provokation?Nein. Ich begreife mich als eine, die Provokationen aufgreift. Die Provokationen passieren um mich. Sie sind die Themen meiner Shows und ich verpack’ sie humoristisch. Aber ich bin angesichts der Übel dieser Welt harmlos.Bitte ein Beispiel dafür …Nein, da braucht’s kein Beispiel. Alle meine Themen muss ich ja irgendwoher schöpfen. Sie sind jetzt immer tagesaktueller geworden und nähren sich aus dem, was um mich passiert. Da liegen ja wohl die Provokationen.Ist Kabarett nicht ein Synonym für das Brechen von Tabus, von Stereotypen, von Vorurteilen? Ich sehe das überhaupt nicht negativ. Geht es vielleicht gar nicht anders als zu provozieren?Ich würde es nicht so definieren. Gerade jetzt. Womöglich hätte ich es vor zehn Jahren noch so verfochten, aber mittlerweile muss man die Definition für das Kabarett maßgeblich in der Unterhaltung suchen. Humor ist das Allerwichtigste. Lachen muss da sein. Lachen ist für mich ein extrem souveräner Ausdruck, der uns Menschen gegeben ist.Darf Kabarett im Sinne der Kunstfreiheit alles?Ja, aber nicht jeder darf Kabarett. Ich würde es so einschränken. Die, die sich bewährt haben und ein paar Instanzen durchlaufen haben, ein paar Gatekeeper, wie man so schön sagt, die dürfen dann auch alles. Aber nicht jeder ist Kabarettist, ist Humorist oder Satiriker. Das ist wie bei jedem anderen Beruf eine Lebensaufgabe. Man kann sich nicht einen Nachmittag zum Kabarettisten erklären, weil man gerade ein ungehobelter Ungustl sein möchte und sagen, an dem Tag war ich Kabarettist.Sie haben mal gesagt: Ich bin der Ansicht, dass Identitätsprobleme keine Priorität haben sollten, solange nicht jeder materiell-existentiell versorgt ist. Leuchtet ein – trotzdem stecken wir so tief in Identitätsdebatten: Warum?Weil einiges weggefallen ist, was uns identitär gefestigt hat: Glauben, Stände, Geschlecht. All das ist zerbröselt. Die Stände sind verdampft, die Geschlechter sind flüssig geworden. Man hat den metaphysischen Überbau zum Einsturz gebracht. Man schwebt sehr haltlos im luftleeren Raum. Ich bin die Letzte, die leugnen würde, dass das furchteinflößend ist.Also wird die Identität zum Rettungsring?Ich fände es sehr fad, wenn ich all mein Schaffen nur auf mein Frausein beschränken würde oder auf mein Österreichertum. Man ist doch selbst ein Mosaik aus verschiedensten Identitätspartikeln. Sich deshalb als Opfer zu begreifen, wenn nicht alle sanktioniert sind, wird dem Ganzen nicht gerecht.Das zeigt viel Intoleranz …Ich bin kein Verfechter der absoluten Toleranz für alles und jeden. Als Künstler bin ich sowieso immer auf der Seite der Kunstfreiheit, nicht auf der der Meinungsfreiheit. Betone immer, dass man das trennen muss. Unser Identitätspluralismus ist sehr akut geworden, weil wir zu einer gewissen Freiheit verdammt sind und wir diese Freiheit nach und nach ausgeweitet haben bis zur Unerträglichkeit.Gendern Sie in Ihren Texten? In Ihrem Roman Boum habe ich das nicht gefunden.Ich unterstelle das Gendern der Ästhetik. Ich meine, dass darin immer die größere Ethik steckt. Die Metrik des Satzes gebietet das Gendern. Wenn ich eine Silbe mehr brauche, bin ich Österreicherin. In einer amourösen Begegnung werde ich von mir als Österreicherin sprechen, weil ich auf mein Frausein verweisen möchte, wenn nicht, bin ich Österreicher. Wenn man das reglementiert und festlegt, geht so viel verloren, um das es mir einfach schade ist.Sie hätten mir ja auch sagen können, als Frau sind sie vom Gendern befreit. Sind sie davon befreit? Ich als Mann ja nicht.Als Frau darf ich einiges und es wird mir dann nicht angekreidet. Ob das jetzt ein Segen oder ein Fluch ist, weiß ich nicht. Heißt es entschuldigend für meine Inkonsequenz: Sie ist ja nur eine Frau!, könnte man das auch wieder als Sexismus begreifen.Sie haben nach dem Studium zwanzig Mal an Schauspielschulen vorgesprochen. Wenn Sie Schauspielerin geworden wären, wären Sie nicht Kabarettistin geworden?Wer weiß, was ich dann geworden wäre. Womöglich hätte ich es nicht ertragen, dass ich beim Theater Fremdtexte sprechen müsste. Das wäre mir als Erstes zuwider gewesen. Andererseits bin ich auch nicht abgeneigt gegen eine gewisse Form von Drill und Ordnung von außen. Womöglich hätte es mir ganz gut gefallen in der Rolle des devoten Zöglings in der Hand von irgendwelchen sadistischen Theaterprofessoren.Aus Ihrem Roman Boum, aber genauso aus den kabarettistischen Szenen, lese ich ein großes Vergnügen an Sprache heraus. Ist das so?Definitiv.Was stellt sich dabei für Sie ein?Sprachkünstler sind ja in dem Sinn besonders, weil sie mit einem Mittel arbeiten müssen, das andere für ihren Alltag gebrauchen, teils missbrauchen. Das muss weder der Musiker noch der Maler. Menschen werden mit Farben nicht ihre alltägliche Kommunikation führen. Insofern ist die Sprache eine große Herausforderung, weil man sich Milliarden Sprechern gegenübersieht, die glauben, dieses Instrument, das die Sprache ist, genauso zu beherrschen wie man selbst. Und dann noch etwas nicht Alltägliches, Sublimes, nämlich Kunst daraus zu schaffen, das ist schon sehr reizvoll. Es ist etwas sehr Qualvolles, aber darin liegt auch ein riesiges Vergnügen.Wie kam es zu dem Sprung von der kleinen Form zur großen Form des Romans?Ich glaube, die große Form war immer das, was ich wollte. Aber ich wusste, dass man als namenloser Schreiberling eine furchtbare Tortur vor sich hat, wenn man sich bei Verlagen vorstellt.Ach, Sie haben als Kabarettistin erst einmal das Bett für Ihre Popularität schaffen wollen?Genau. Anderweitig berühmt werden und dann kommen die Verlage zu mir.An Ihrem zweiten Roman Boum aus dem Herbst finde ich bemerkenswert, wie Sie einen Serienmord, die große Liebeslust einer jungen Frau aus Österreich und die Stadt Paris zu einer Handlung verbinden, die für mich – da können Sie jetzt aufschreien oder nicht – Trash und Comic ist. Trash ist auch eine Kunstform …Ja, ich freue mich über diese beiden Worte sehr.Gleichzeitig ist das aber auch ein ernstes Spiel mit Ober- und Unterwelt, mit Bürger und Clochard. An der Oberfläche des Textes kann ich lachen und mich vergnügen, aber darunter liegt noch ein ernstes Spiel. Richtig?Ich glaube, dass das immer Hand in Hand geht.Und meine Beschreibung der Mischung aus vergnüglicher Oberfläche und Ernst stört Sie nicht?Im Gegenteil. Ich finde die Trennung in E und U ungut. Ich meine, es bedingt sich gegenseitig. Man kann nicht das Eine ohne das Andere haben.Auf der Kabarettbühne entdecke ich bei Ihnen einen wachen politischen Durchblick. Muss man für Kabarett politisch links sein. Sind Sie es?Ich habe meine politische Ideologie immer als K&K bezeichnet, als kaiserlich und kommunistisch. Ich bin zum einen eine große Monarchistin. Ich halte die parlamentarische Monarchie für ein sehr geglücktes Modell. Mit einem entfernten Idol, das so wunderbar harmlos ist, weil es öffentlich niemals wie ein Politiker auftreten darf. Ich glaube, eine solche Vater- oder Mutter-Figur scheint den Leuten zu fehlen. Ich würde jedenfalls eine parlamentarische Monarchie ganz unsatirisch immer wieder verfechten.Schlagfertig zu sein, was Sie zweifellos sind, bedeutet im Kabarett auch zu wissen, wohin man schlägt: Wohin schlagen Sie bevorzugt?Ich finde es sehr amüsant, dass jetzt immer wieder diese Floskel vom nach unten Treten auftaucht. Dabei müsse man auf der Bühne doch eigentlich nach oben treten. Kritiker werfen mir gern vor, ich würde nach unten treten.Tatsächlich? Das ist mir aus Ihren Programmen nicht bewusst.Es ist eine bizarre Floskel, die sich etabliert hat. Ich stimme dann zu, dass ich nach unten trete, wenn damit gesagt werden soll, dass ich überheblich bin. Humor ist überheblich. Humor stellt sich über alles. Sogar über die Sterblichkeit. Insofern ist das die Aufgabe: von oben auf die Dinge herabzublicken. Man wird immer sagen: Man lacht über etwas und leidet unter etwas. Der Humorist steht immer über den Dingen. Namhafte Kabarettisten, die ihnen von den Reichen und denen da oben erzählen, die möge man doch bitten ihre Kontoauszüge darzulegen. Denn es ist völlig lächerlich, dass ein Kabarettist, der im Fernsehen Sendungen hat, sich noch mit denen da unten identifizieren möchte. Das ist hochgradig heuchlerisch. Das geht nicht. (Lacht.)Ich habe nach Ihrer Schlagfertigkeit gefragt. Sind Sie es? Gegen wen?Würde ich nicht für mich beanspruchen. Es ist eine Eigenschaft, die sich im Dialog offenbart. Ich bin auf die Bühne gegangen, um dem Dialog zu entfliehen. Weil ich immer sehr unfähig war zu einem sozialen Eins-zu-eins-Kontakt, bin ich auf die Bühne geklettert, um von dort aus sicherer Entfernung eine anonyme, willige Masse vor mir zu haben, die sich leichter beherrschen lässt als in einem unberechenbaren Gespräch ein zu eins.Wie grenzen Sie sich vom tagesaktuellen Kabarett ab?Mittlerweile neige ich dieser Form etwas mehr zu. Es war ein absurder Anspruch etwas Zeitloses zu machen, das niemals Untertitel bedürfe. Aber da habe ich gelernt, dass auch im Zeitgeschehen Dinge für die Ewigkeit stecken. Das Zeitgeschehen wird dann nur noch für die historischen Aficionados herausgefiltert werden können, aber das Essenzielle bleibt darin enthalten.Ist Ihr Roman Boum ein Corona-Produkt? Hat das Vornehmen eines am Ende 365-Seiten-Romans auch mit dieser unfreiwilligen Lockdown-Ruhe zu tun?Ja. Ich habe ihn vorgezogen. Er war schon geplant, hätte aber ein Jahr später herauskommen sollen. Jetzt kam er als Frühchen. Aber trotzdem kräftig.Kennen Sie eine Unsicherheit vor Publikumsbeschimpfungen oder gar Übergriffen. Es gab 2020 beim Hamburger Literaturfestival Harbour Front Drohungen gegen ihre Sicherheit, sodass der Auftritt abgesagt wurde. Ist davon eine Verunsicherung zurückgeblieben? Wir wissen, dass die Hassszene nicht rational handelt. Macht es Sie befangen?Nein, nein, im Gegenteil. Seit 2020 bin ich um einiges freier geworden. Vorher gab es die Angst, weil immer wieder das Damokles-Schwert über mir hing, was wird es sein. Es muss sich irgendwas gegen mich finden lassen. Die Humoristen werden regelrecht abgegrast, um zu sehen, wem kann man welches Päckchen zuschieben. Die, die lachen, sind für die Hasser eine unerhörte Kaste. In diesen Zeiten, wird immer gesagt, müsse man ernst sein. Nein, jetzt habe ich keine Angst mehr. Man hat mir alles um die Ohren gehauen und ich stehe immer noch. Sie haben ihr Pulver verschossen. Auch das ist eine Floskel, aber das ist mal eine, derer ich mich gerne bediene: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich sehr ungeniert. Das trifft völlig zu.
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