Nicht harmlos

Personalie In Radebeul wird ein neuer Kulturamtstleiter gewählt. Der ist ein begabter Lyriker und Romancier – aber rechts. Es kommt zum Eklat. Und neu gewählt werden muss jetzt auch
Es geht nicht nur um Radebeul
Es geht nicht nur um Radebeul

Foto: imago/Hanke

Harmlos ist nicht, was da in Radebeul bei Dresden geschehen ist: Der Lyriker und Romanautor Jörg Bernig, dem nicht grundlos neu-rechtes Denken vorgeworfen wird, wird in einer Koalition aus CDU- und AfD-Stimmen zum neuen Kulturamtsleiter gewählt. Wieder macht Sachsen Schlagzeilen und der Schwur der sächsischen CDU, niemals mit der AfD, ist gebrochen. Was aus Sachzwängen und politischer Unaufrichtigkeit zu erwarten war. Nun hat am 25. Mai Radebeuls parteiloser OB Bernd Wendsche die Notbremse gezogen und von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht. Es muss in spätestens vier Wochen neu gewählt werden, Bernig ist dann wieder einer der Kandidaten.

Harmlos ist das nicht, auch für mich nicht. Ich bin ein erklärter Liebhaber seiner Gedichte. Nicht nur eines einzelnen Verses wegen wie: „in der schwarzen kastanie wintermager die amsel“ oder sein Gedicht Mittlere Jahre aus dem Band Wütengegen die Stunden von 2009:

„schon beim frühstück der blick aus dem fenster: zu spät / der morgenstern wieder einmal erloschen / überhaupt das da oben verwirrend

die kinder am tisch ihr plappern und lachen / kaum sind sie weg fällt alles / in seltsamste stille

jetzt ins offene gehn – hinaus und hinweg! / doch vom wünschen bleibt nichts übrig als wünsche/nie einsamer als in diesen stunden

vorm fenster schwankt eine magnolie im wind / das telefon klingelt dann steht es stumm / und die entfernungen wachsen“.

Eine Geschmacksprobe aus einem der neueren Gedichte aus dem Band in untergegangenen reichen von 2017:

„wie tanker die groß einstmals im hafen / vor augen uns lagen ziehen die jahre / davon und gehn als schaluppen zu / auf den horizont des vergessens“.

Ich habe ihn immer gern gelesen. Mein „erster Bernig“ war 2002 sein Roman Niemandszeit. Kein harmloser Roman, er übergeht nicht den brutalen Umgang tschechischer Revolutionsgarden mit den Deutschen 1945, als diese aus dem Land ihrer Geburt geschmissen wurden. Als deutsch-tschechische Versöhnung angesagt war, kam Bernig mit den Schattenseiten der Vertreibung und sprach für die Generation seiner Eltern. Versöhnung braucht die ganze Wahrheit. Bernig hatte recht. Der 1964 im sächsischen Wurzen Geborene ist ein respektabler Lyriker und Prosaautor, der das Poetische zu wahren weiß. Vielleicht war er dem, was ihm bald selbst passieren sollte, in seinem Roman Anders von 2014 schon ganz nah. Darin erzählt er von einem Geschichtslehrer namens Anders, der für unerwünschte Meinungen mit dem Vorwurf des Missbrauchs zum Schweigen gebracht und dessen Leben ruiniert wird.

Das bessere Deutschland

Inzwischen kann der Autor sagen: Ruiniert wie Anders, das bin ich selbst. Am 21. Dezember 2015 begann es. Es war die Zeit des ersten Höhepunkts der „Flüchtlingskrise“. Unter der Überschrift Zorn allenthalben hatte er über seinen Zorn und den Zorn anderer geschrieben. Seinen Artikel begann er mit der Schilderung von Gewaltäußerungen und Überfällen, mal im Supermarkt, mal in seiner eigenen Straße. Immer waren Geflüchtete beteiligt oder es sah so aus, als wären sie dabeigewesen. Der Artikel erschien fünf Wochen nach dem Pariser Terror im Konzertsaal Bataclan mit 89 Toten durch Dschihadisten. Bernig versicherte, er habe, was zu sagen sei, bereits vorher aufgeschrieben.

Die damals alles entscheidende Frage war: Holt Deutschland sich mit den Geflüchteten auch Gefahr und sogar Gewalt ins Land? Diese Frage – im Supermarkt und am Stammtisch Dutzende, Hunderte Male von „besorgten Bürgern“ gestellt – wurde in den Medien nicht gestellt, da herrschte Begrüßungskultur. Bernig holte es nach: „Aber wir hören nichts von Kultur. Als hätte es Samuel P. Huntingtons These vom Clash of Civilizations nie gegeben. Der Grund für die Abwesenheit einer kulturellen Debatte liegt in der ökonomischen Fixierung – bei gleichzeitiger Unkenntnis der Komplexität von Kultur, einschließlich nicht zu verleugnender kultureller Gegensätze.“ Fünf Jahre später, also heute, ist diese Betrachtung weitgehend obsolet. Einen erhöhten Anteil von Männern aus muslimisch geprägten Kulturen an Gewalttaten in Deutschland gibt es nicht, aber wer konnte das Ende 2015 mit gesicherten Zahlen belegen, wo doch allein in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte tausend und mehr Straftaten hinzukamen. Auf dem Höhepunkt dessen, was „Flüchtlingskrise“ genannt wurde, überrollte die Angst die Supermärkte und Stammtische. Bernig wollte aussprechen, was in den Medien nicht vorkam. Durch ihn sollte es vorkommen. Was er vermutlich heute kaum noch wahrhaben will: Die Sächsische Zeitung garantierte ihm eine veröffentlichte Meinung!

Erinnerungen an Erfurt werden wach


Die Wahl des 56 jährigen Jörg Bernig zum Radebeuler Kulturamtsleiter am 20. Mai erregte Widerspruch nicht nur in der sächsischen Stadt. Bürgerinnen und Bürger protestierten, Kulturpreisträger drohten, ihre Auszeichnung zurückzugeben. Der parteilose Schriftsteller, den die CDU-Fraktion im Stadtrat vorgeschlagen hatte, hat sich mehrfach kritisch gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gewandt, auch in seiner „Kamenzer Rede“ 2016, bei der unser Autor moderierte.

Nach der Entscheidung im Stadtrat für Bernig, die an die Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) zum thüringischen Ministerpräsident im März erinnerte, da die AfD-Fraktion in Radebeul Bernig ihre Stimme gab, forderte der deutsche PEN den Schriftsteller auf, „ zu prüfen, inwieweit er seine Verpflichtung gegenüber der PEN-Charta wahrnehmen kann“. Bernig ist seit 2005 PEN-Mitglied. Der ebenfalls parteilose Oberürgermeister von Radebeul, Bert Wendsche, hat mittlerweile von seinem Recht auf ein Veto gegen die Wahl Bernigs Gebrauch gemacht. „Die durch den Beschluss bereits jetzt schon deutlich spürbare Polarisierung wirkt sich aus meiner Sicht negativ und nachteilig für die Stadt aus“, so zitieren die Dresdner Neusten Nachichten den Komunalpolitiker. Jetzt muss ernneut gewählt werden. Einer der Kandidaten ist Jörg Bernig.

Ich habe deshalb noch einmal ausführlich diesen Rückblick unternommen, weil ich glaube, dass am 21. Dezember 2015 die Stunde war, in der die Metamorphose des Lyrikers und Romanautors Jörg Bernig von einer öffentlichen Person in eine andere öffentliche Person begann. Damals nahm er den Weg zum Sprecher „besorgter Bürger“. Dafür zahlte er einen hohen Preis: Es traf ihn der Zorn derer, die sich mit Wort und Tag für Hilfe von Kriegsflüchtlingen einsetzten. Sie verstanden sich (und es war ihr gutes Recht) als das „bessere Deutschland“. Automatisch wurde damit Platz geschaffen für ein schlechteres. Die einen hoben Bernig auf den Schild ihres Zorns, die anderen rückten von ihm ab. Von seiner eigenen Roman-Figur Anders wusste er, dass man für die Anderen nie wieder in den Zustand der Unschuld zurückfindet.

Also nahm er die Sprecherrolle an. Zur Kamenzer Rede 2016 wurde er eingeladen, weil er in dieser Zeit sehr energisch für Toleranz plädiert hatte. Bernig hielt das Meinungsbild offen und plural. Denn Zensur sollte es in einem wiedervereinigten Land, dessen ostdeutscher Teil sie vierzig Jahre erlebt hatte, niemals mehr geben. In seiner Rede bezog er sich klug auf Lessing, benutzte den Leitspruch der Aufklärung, Kants Satz „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, als Basso continuo seiner Rede. Er nannte „Toleranz keine Einbahnstraße“ und verlangte von Geflüchteten Verständnis und Respekt vor dem Leben im Gastland. Bernig musste sich nicht als Denunziant von Geflüchteten angreifen lassen. In dieser Zeit unterrichtete er zu uns gekommene Syrer in Sprache und Landeskunde. Er bekannte sich in der Kamenzer Rede zu jenen Geflüchteten, „die unseres Schutzes würdig sind“. Beifall in der Kirche. In den letzten Redeminuten verstieg er sich zur Frage: „In welche Hände ist unser Land gefallen?“ Damit meinte er nicht die Geflüchteten, sondern die politische Klasse – allen voran Angela Merkel –, die als „Ingenieure des Gesellschaftsumbaus“ agierten. Sie hätten – unterstellte er – kein Interesse an einer Begrenzung der Einwanderung, sondern verfolgten die Absicht „die Einwohnerschaft Deutschlands ingenieurmäßig zu regulieren ..., beliebig über die Zusammensetzung der Bevölkerung zu entscheiden“. Dafür reicht das Wort „Quatsch!“ nicht mehr. Das ist nicht mehr harmlos. Bernig war beim Gedanken der „Umvolkung“ angekommen, ohne selbst das Wort zu benutzen.

Was mir auffällt: Am Anfang seiner politischen Einlassungen steht am 21. Dezember 2015 ein kleiner Artikel, der sich vorgenommen hatte, auszusprechen, dass es nicht nur Begrüßungsjubel an den Bahnhöfen gab, sondern auch warnende Stimmen vor einem Konflikt der Kulturen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jörg Bernig aus seiner Gegenstimme, die Ende 2015 allen Anspruch auf öffentliche Wahrnehmung hatte, ein ideologisches Gebäude gezimmert hat, das ganz hart auf neu-rechte Positionen zusteuert. Logische Folge von Stigmatisierung? Was einem Schriftsteller nicht unterläuft, zeigte sich in den weiteren Texten Bernigs: in die Sprache zogen Vokabeln der Gewalt ein. Die Überschrift seiner Veröffentlichung im Cicero im Septermber 2017 hieß Als wir nicht erschossen wurden. Der Titel stellt eine Verbindung zu den Leipziger Montagsdemos während der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 her. Da wäre am 9. Oktober 1989 auf die Demonstranten, die auch gegen Unfreiheit des Denkens und Redens in der DDR protestiert hatten, um ein Haar geschossen worden. Damit hat Bernig die Verbindung zwischen heutigen „Gesinnungskorridoren“ – so 2018 die Wortwahl von Uwe Tellkamp – und der fehlenden Meinungsfreiheit aus DDR-Tagen geknüpft. Bekanntlich hat die AfD in ihren Landtagswahlkämpfen sich als Vollender der Herbst-Revolution angeboten. Harmlos ist das alles nicht mehr. Seitdem hat er seine Ideologie weiter ausgebaut. In seinem Essay Da mittendrin wir – zur besseren Kenntlichmachung seines Übertritts ins neu-rechte Lager erschienen in einer Edition mit dem Namen „Exil“ – geht’s auf den Begriff der Nation zu: Wer über Individualität, Nation, Heimat, Volk nachdenkt, der „muss in Deutschland den Stahlhelm“ aufsetzen.

Auf der Suche nach Beifall

Was als ein demokratischer Vorgang begann – jemand besteht darauf, nach den demokratischen Regularien des Pluralismus eine Gegenmeinung zum Mainstream zu äußern – führte zur Ausgrenzung. Wer, wenn er klug ist wie Jörg Bernig, findet sich damit ab? Unter Beifall neuer Freunde fing er an, aus seiner Meinung ein mehrstöckiges Haus zu bauen.

Ich wollte den Weg nachgehen, den Jörg Bernig, der Dichter, in den letzten fünf Jahren genommen hat. Ob ich alles richtig deute, weiß ich nicht. Ich wollte vorsichtig sein. Viel hängt mit der Lage im Land zusammen. Es geht nicht nur um Radebeul. Der Weg des Dichters ist ein tragischer Vorgang und ein symptomatischer. Denn er zeigt an, dass die Teilung unserer Gesellschaft fortgeschritten ist. So wie es Protest gegen seine Wahl gibt, gibt es in diesen Tagen auch Unterstützung für ihn.

Ich sage von mir, dass ich Sympathisant des Dichters Bernig bin. Ich darf mich nicht seinen Freund nennen, so intensiv ist unser Kontakt nicht, aber seiner Literatur bin ich bis jetzt ausnahmslos zugetan. Als ich die Nachricht von seiner Wahl erhielt, schrieb ich in größter Naivität ihm diese kurze Mail: „Lieber Jörg – willst Du das Amt wirklich antreten? Da werden Hunderte Dir auf die Finger gucken. Die aus Radebeul nicht gezählt. Ich glaube sagen zu dürfen, das ist kein leichtverdientes Geld. Als entfernter Freund aus Leipzig, der Deine Gedichte und Romane seit Niemandszeitsehr schätzt, schreibe ich, dass Du als Endfünfziger wichtige Literaturzeit an einen zweifelhaften Job gibst. Nach sechs Monaten Probezeit möchte sich auch keiner abberufen lassen. Deinen Stempel (neu-rechts, wie ich überall lese) und von AfD-Gnaden haste auch weg.“

Für solche verharmlosenden Sätze von mir war er nicht mehr zu erreichen. Es kam eine kurze Antwort von ihm, die mich auf später vertröstete: „Bin in Eile“. – Wohin bist du unterwegs? – Harmlos ist das alles nicht.

Michael Hametner ist Literaturkritiker und Autor. Zuletzt erschien von ihm Kopfkino, ein Porträt des Malers Hans Aichinger

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