Redefreiheit für die Wut

Sachsen Jens Wonneberger nimmt seine Helden ernst. Auch die, bei denen es zur AfD nur ein kleiner Schritt ist
Ausgabe 07/2020

Aus Beschreibungen wie diesen steigt ein Tag auf: „Der Nebel hatte Perlen an die Fäden der Spinnen gereiht, und dann fing alles zu triefen an, es tropfte von den Zweigen ...“ Eine bemerkenswerte Erzählgabe, so tief ins Sichtbare einzudringen, bis das Unsichtbare hervortritt. Mission Pflaumenbaum heißt der nunmehr achte Roman von Jens Wonneberger. Der in der Nähe von Dresden geborene Autor, dessen Erzählweise mit der des jungen Wilhelm Genazino verglichen wurde, ist ein stiller. Mit keinem Roman hat er bisher den Durchbruch geschafft. Mission Pflaumenbaum wird dieses Gesetz vermutlich nicht umstoßen. Man muss es für den bald 60-Jährigen bedauern.

Ist man als Leser abgetaucht in die Beschreibungen und eingetaucht in den Erzählfilm, erschrickt man genauso wie Kramer, der plötzlich etwas Hartes und Spitzes in den Rücken bekommt: Rottmanns Gehstock. Rottmann ist nicht nur für Kramer, sondern auch für den Leser der Aufdringliche. Er, heißt es im Roman, ist der Wutbürger. Jens Wonneberger richtet sein Erzählen nicht zu einer Provinzidylle aus, sondern zeigt, wie Zorn und Wut im kleinsten Winkel der Welt angekommen sind. Der Schauplatz liegt im Osten, in Wonnebergers Heimat Sachsen, wo schon mal in Schrebergärten Reichskriegsflaggen im Wind knattern und sich mit Pegida- und AfD-Sätzen mischen. Leicht macht es sich der Autor mit ihren Urhebern und Sympathisanten nicht. Zumindest einem von ihnen gibt er im Roman ein Recht auf seine Wahrheit.

Kramer ist Ende 50, Bibliothekar, alleinstehend, kein Handy, Gelegenheitsraucher, aufgeklärtes Weltbild, ausgenommen Technisches. Er besucht seine Tochter, die mit ihrem Mann vor einigen Wochen in einen Ort gezogen ist, halb Kleinstadt, halb Dorf, wo sie ein Haus erworben haben. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist schwach mit Empathie ausgestattet, vielleicht weil die Tochter mehr mit der Mutter verbindet, die ihren Mann verlassen hat. Kramers Leben, das eines Bibliothekars, in dessen Welt oft Bücher der lebendigste Teil sind, war ihr zu wenig.

Beim Aussteigen aus dem Bus fällt er Rottmann in die Hände. Einem Mann mit Knieproblemen und Gehstock, Anfang, Mitte 70. Der kennt Kramer nicht, braucht aber einen willigen Adressaten für seine Schimpfreden. Die Ortsführung begleitet er mit Kommentaren wie: Hier geht’s bergab, hier ist es zu Ende, hier ist alles zu spät. Wir sind in der Provinz, in der sächsischen. Hier läuft das Leben gemächlich, wenn es denn noch läuft, und es wird gemächlich erzählt. Wonneberger umkreist diese Welt, indem er von ihren Wettern und Geräuschen, von Fahrzeugspuren in weichem Boden oder vom Regenwasser in notdürftig mit Bauschutt aufgefüllten Fahrrinnen erzählt.

Mit Rottmann aber verdunkelt sich der friedliche Winkel. Der Stolz des Ortes war seit 100 Jahren eine Weberei für Gurte. Vom Taschengurt bis zum Gurt für industrielle Verwendung – Transmissionsriemen! Im Krieg besonders überlebenswichtig die Gurte für Fallschirme und Lichtmaschinen. Mit der Wende war Schluss. Die Treuhand hat das Volkseigentum an den Falschen verkauft. Der fährt die Produktion runter, schaltet sie irgendwann ganz ab und erfreut sich von nun an an der im Fabrikkauf inbegriffenen Villa.

Diese Gurtweberei war Rottmanns Leben. Es gärt in ihm, nein, es dröhnt: Die stillgelegte Fabrik arbeitet in seinem Körper weiter. Ihr Lärm treibt ihn aus dem Sessel. Er streunt herum und greift sich einen wie Kramer. Beklagt sich bei ihm über die Welt, die ihm zum Leben geblieben ist, nämlich keine. Da mag es eine Schnittmenge mit Pegida und AfD geben, aber Wonneberger nimmt seinen Rottmann ernst, gibt ihm Redefreiheit. Der Autor hat in all seinen Romanen seine Figuren ernst genommen, obwohl es gar nicht so leicht ist, wenn es um das Bezeugen von Provinzkindheit und Tristesse der Gegenwart geht, um Verlierer und arbeitslose Schulfreunde, die dich vollquatschen über die Ungerechtigkeit der Welt.

Ja, wo ist die Welt denn gerecht?! In Berlin, Paris und New York auch nicht. Wonneberger weiß es und kehrt als Erzähler immer wieder zurück in die Welt zukunftsloser Leben, wo sich Ungutes zusammenbraut. Er verteidigt es nicht, verschweigt es aber auch nicht. Er protokolliert es in bester Erzählkunst. Nun schon seit 2004, in acht Romanen, auf deren Personenzetteln vorwiegend Gehemmte und Verzagte zu finden sind, die gehemmt und verzagt in Erzählungen agieren, die man schnell und durchaus richtig Kammerspiel nennt. Die aber niemand leichtfertig klein nennen sollte.

Info

Mission Pflaumenbaum Jens Wonneberger Müry Salzmann 2019, 192 S., 19 €

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