Alex chauffiert einen Terroristen quer durch Spanien. Er hat ihn 1984 kennen gelernt. Damals war Alex 17 und stand in Konkurrenz zu seinen Mitschülern, wer in den Ferien die weitesten Touren per Anhalter schafft. Alex schaffte es von Deutschland bis in eine kleine westfranzösische Stadt, wo ihm bei einer Comic-Messe die sieben Jahre ältere Montserrat begegnet. Sie lädt ihn ein, mit nach Spanien zu kommen. In Montses Bekanntenkreis trifft er Zubieta, der eine experimentelle Literaturzeitschrift herausgibt und Texte für eine Punk-Band schreibt.
Damals fiel Alex an Zubieta nicht nur dessen Begeisterung für die Comic-Figur Corto Maltés auf, einen gerechtigkeitsliebenden Vagabunden, sondern "immer wieder sein nervöser Blick über die Schulter". Mehr als zwanzig Jahre später ist Zubieta der bewaffnete Freund neben ihm auf dem Beifahrersitz seines Renault bei einer riskanten Fahrt durch Spanien. Riskant ist diese Reise, weil vor wenigen Tagen neben einem Foto von Zubieta in El Mundo zu lesen stand, Zubieta sei der neue Kopf der Terrorbande. Mithin hat er Spaniens Top-Terroristen im Auto.
Damit wird in Raul Zeliks Der bewaffnete Freund ein von der Polizei gesuchter Terrorist zum Protagonisten eines Romans. Solche Romane sind so selten nicht, aber werden meist im Schutze der Fiktion erzählt. Raul Zeliks Fiktion hält sich aber eng an die aktuellen spanischen Verhältnisse, wo eine baskische Organisation jahrzehntelang mit brutalem Terror ihren Unabhängigkeitskampf für das nordspanische Baskenland geführt hat und wo bis heute die Polizei mit eiserner Gewalt nach Mitgliedern dieser Organisation fahndet. Der blutige Kampf der Organisation, auch wenn er schon drei Jahre ohne Terror ausgekommen ist, hat bisher - zumindest nennt der Roman diese Zahl - 600 unschuldige Menschenleben gekostet. Das erste übrigens am 28. Juni 1960 - es war ein Baby. Im Gegenzug ermordete die staatliche Antiterroreinheit allein zwischen 1983 und 1989 dreißig Menschen außerhalb Spaniens, nämlich in südwestfranzösischen Städten. Als 2004 in Spaniens Hauptstadt Madrid ein blutiges Bombenattentat Hunderte Menschenleben kostete, da präsentierte die Regierung bereits am Abend die Schuldigen: die basikische Banda armada. Eine Anschuldigung, die sich später als haltlos erwies, die aber zeigt, wessen in Spanien eine Mehrheit die baskische Organisation für fähig hält.
Der Romanstoff ist also ein ziemlich heißes Eisen. Raul Zelik spielt nicht mit Pappkameraden. Warum er, der 1968 in München geborene, mit seinem dritten Roman plötzlich nach Spanien auf den Boden des Kampfes für und gegen eine baskische Autonomie geht, das hat sowohl in der Biographie des Autors wie im Roman plausible Gründe. Alex ist einer der vielen stellungslosen Sozialwissenschaftler, die sich mit Projekten über Wasser halten und für Festanstellungen auffallen müssen. Als sein alter Professor etwas für die Vision eines zu seinem Nutz und Frommen vereinten Europas tun will und eine Studie über die sich konstituierende europäische Identität anzettelt, bewirbt er sich und bekommt für ein halbes Jahr die Möglichkeit daran mitzuarbeiten. Dafür wählt er sich als Untersuchungsmodell Nordspanien, darin eingeschlossen die brisante Situation der Basken, da doch - so sagt Alex im Roman - "sich vom Rand aus, von der Ausnahme her betrachtet, der Normalzustand besonders klar erkennen lässt". Je tiefer der Roman dabei in seinen Debatten auf Antwort nach der Gewalt-Frage gegen alles, was aus sozialen oder kulturellen Gründen als nichtkonform und demzufolge störend angesehen wird, vorstößt, je negativer wird der Befund über die sich angeblich konstituierende europäische Identität. Am Ende wird Alex aus dem wissenschaftlichen Projekt aussteigen.
Haben wir es also bei Zeliks Roman Der bewaffnete Freund mit einem politischen Roman zu tun, der am Ende mit seinem Protagonisten aus der Terrorszene für diese plädiert und Sympathien weckt? So gefragt, verfehlt man mit Sicherheit die Intentionen des Autors. Der deutschen Gegenwartsliteratur können Stoffe, die noch ticken, sich noch nicht auf dem Weg in die Registratur befinden, durchaus nicht schaden. Die Aufgabe des Schriftstellers, der sich und seine Kunst ernst nimmt, darf, ja muss es sein, Themen öffentlich zu machen, die vom Rand her das Zentrum befragen. Man mag das politische Literatur nennen.
In jedem Fall schreibt Zelik - und nicht erst in diesem Roman - in Verantwortung gegenüber dem, was er wahrnimmt. Aus den Fragen, die ihm das Wahrgenommene stellt, entsteht eine Literatur, die in Diskurse hinein will oder sie anstiften, die nicht nach Ewigkeitsrechten schielt und sich als im Moment wichtig begreift. Plädiert wird für den Terroristen Zubieta in Zeliks Roman, wie manche Rezensenten glaubten insinuieren zu müssen, schon gar nicht. Immer wieder hält Alex dem bewaffneten Freund auf seinem Beifahrersitz die Untaten seiner Organisation vor, fragt nach dem "identitären Wahn" und ob er vorhabe, das Baskenland vor Europa und der Welt einzuschließen. Immer wieder ist Alex dem politischen Nervenzusammenbruch näher, als dem Stolz, als Chauffeur für den Kopf der Organisation etwas Verbotenes zu tun und der Macht eins auszuwischen.
Die Leistung des Romans liegt darin, dieses nicht nur literarisch brach liegende Stofffeld zu betreten. Sie liegt in den im Roman geführten Debatten, die um so leichter vonstatten gehen, je polarisierter das Figurenpersonal ausgerichtet ist. Alex hat seinen Terroristen Zubieta, Alex hat seinen resignierten Freund Rabbee, einen coolen Musikkritiker, Alex hat seinen europagläubigen deutschen und seinen spanischen Professor, der vor blinder Regierungstreue und Terroristenhass schon Personenschutz in Anspruch nehmen muss. Fast alle Figuren haben ein Gegenüber. Als Alex Zubieta den Terror und das Töten vorhält, antwortet ihm der Mann der Organisation so: "Bevor wir Politiker angegriffen haben, ist jahrlang nichts passiert. Alle hatten sich im Konflikt eingerichtet. Eine Demonstration mit 150.000 Leuten, ein in die Luft gesprengter Sendemast - das interessiert niemanden: Die Regierungen in Vitoria und Madrid haben erst verhandelt, als die Situation eskaliert ist. Als immer mehr Leute unter dem Konflikt gelitten haben." Tod und Chaos als Strategie des Terrors. Zubieta redet im Roman nicht drum rum. Alex will ihn nach diesem Bekenntnis nicht länger im Auto. In den Debatten, für die Zelik seinen Figuren eine Menge Tatsachen-Argumente mitgibt, aktuelle, wenig bekannte, schlagende, bedenkenswerte, ist der Roman gut. Er will nicht nur hinein in bestehende Europa-Diskurse, er führt selbst einen. Einen kulturkritischen, bei dem an Walter Benjamin und Giorgio Agamben angeschlossen wird.
Zelik weiß, dass er als Schriftsteller den Diskurs selbstverständlich in einer Handlung unterbringen muss. Die besteht vor allem aus den zwei Reisen quer durch Spanien und einer dabei erschwerend ins Spiel kommenden Erkrankung Zubietas. Dass diese Autofahrten mit dem Top-Terroristen des Landes riskante Unternehmungen sind, die bei der nächsten Polizeikontrolle schon auffliegen können, macht aus dem Buch zwar noch keinen Kriminalroman, aber geben ihm Atmosphäre und Spannung. Leider wird Alex in der zweiten Buchhälfte als Figur immer monotoner. Der Autor scheint nichts mehr für ihn tun zu können, weil er ihn vor allem inquisitorisch braucht, damit er Zubieta immer wieder ins Kreuzverhör nimmt. Ein wenig zuppeln noch Menschen-Geschichten an Alex herum: die bis heute gekränkte Ex-Frau Katharina und ihr gemeinsames Kind Hanna, für das Alex erst kurz vor der letzten Romanseite sein Herz entdeckt, und der sehr rätselhafte, man könnte auch sagen: blasse schwule Freund Rabbee, der glücklicherweise früh aus Spanien wie aus dem Roman abfliegt. Zeliks Roman Berliner Verhältnisse (Freitag 42/2005) hinterließ einen deutlich stärkeren literarischen Eindruck. Andererseits: Das Interesse an seiner Literatur wird nach der Lektüre von Der bewaffnete Freund eher größer. Denn Zelik hat den Blick für Fragen und Zusammenhänge, die man auch kennen will. Und er hat den moralischen Takt, den Leser nicht mit schnellen Antworten abzuspeisen.
Im Herbst erscheint im selben Verlag ein Roman, den Zelik zusammen mit Petra Elser übersetzt hat: Der gefrorene Mann von Joseba Sarrionandia (Freitag 6/2005). Dieser Roman und sein Autor spielen bei Zelik bereits eine große Rolle. Zubieta hat in Der bewaffnete Freund Sarrionandia aus dem spanischen Gefängnis befreit, warum Alex wohl zum Dank an Zubieta den Dienst als Chauffeur nicht ausschlägt. Über diesen Roman wird in Zeliks Roman gesagt, er erzähle über einen Mann, der gefriert, der sein Gedächtnis und seine Sprache verliert. In solche poetischen Bereiche stößt Zelik selbst nicht vor, weshalb sein Roman ja auch nicht Der gefrorene Mann, sondern Der bewaffnete Mann heißt, was vermutlich viel über die Differenz beider Bücher sagt.
Raul Zelik: Der bewaffnete Freund. Roman. Blumenbar, München 2007, 320 S., 18 EUR
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