Sie, er und der liebe Gott

Was läuft Unsere Autorin genießt die absolut lebensechte Unvernunft von „Fleabag“. Spoiler-Anteil: 25%
Ausgabe 20/2019

Die namenlos bleibende Hauptfigur von Fleabag (Phoebe Waller-Bridge, von der auch Idee und Drehbuch zur Serie stammen / Amazon Prime) sitzt im Beichtstuhl einer Kirche. In der Hand ein Glas Whisky fängt sie an, sich dem Priester hinter der Wand zu offenbaren. Anders als von Kennern vorheriger Episoden vielleicht erwartet, erzählt sie nicht von sexuellen Eskapaden und zwischenmenschlichen Verfehlungen. Stattdessen spricht sie von ihrer Sehnsucht: danach, dass ihr jemand jeden Morgen sagt, was sie anziehen, was sie essen, was sie mögen oder hassen soll. Sie möchte jemanden, der ihr vorgibt, wie sie zu leben hat. Denn so, wie sie es bisher angestellt hat, ist es falsch. Glaubt sie.

Diese Szene aus der zweiten Staffel (ab 17. Mai auf Amazon Prime verfügbar) bringt auf den Punkt, was an Fleabag so gut ankommt. Da ist der dunkle, flapsige Humor, der unpassende Dinge wie Beichten und ein Glas Whisky zusammenbringt. Und da ist das Lebensgefühl der Hauptfigur: die Überforderung in einer Welt voller Möglichkeiten, der Wunsch nach Orientierung. Den teilen nicht nur Anhänger populistischer Parteien und fundamentalistischer Religionsgemeinschaften. Selbst für Menschen, die Widersprüche und Vielfalt grundsätzlich aushalten, ist es nicht immer leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und viele fühlen sich dadurch wie in einer Coming-of-Age-Story gefangen, obwohl sie, wie Fleabag, keine 13 mehr, sondern 33 sind. Oder noch älter.

Ganz so orientierungslos wie in der ersten Staffel ist die „Fleabag“ (im Kontext der Serie am besten mit „Schlampe“ zu übersetzen) in den neuen Folgen nicht mehr. In der ersten Staffel wurde nach und nach ersichtlich, dass hinter ihrem Hang zur Promiskuität und dem Talent, ihr nahestehende Menschen in unangenehme Situationen zu bringen, jede Menge Trauer und Wut stecken. Trauer um den Verlust ihrer Mutter und den ihrer einzigen Freundin. Wut über ihre eigene Rolle bei letzterem Todesfall. Fleabag durchlebte in der ersten Staffel eine ähnliche Phase des Nihilismus wie der Lokalredakteur Tony in After Life (der Freitag 15/ 2019), der sich nach dem Tod seiner Frau nicht mehr großartig um Konventionen scheren mag. Tony testet Grenzen des Mach- und Sagbaren aus – aus Rache, aus Gleichgültigkeit, mit Sicherheit aber auch, um den Punkt zu finden, ab dem es ihm selbst wieder was ausmacht. Fleabag tat es ähnlich.

In der zweiten Staffel nun hat sie sich gebessert, konventionell gesprochen. Sex als Ersatzhandlung ist weniger geworden, das Meerschweinchen-Café läuft, mit der Schwester (Sian Clifford) und deren Problem-Ehemann (Brett Gelman) gab es länger keinen Umgang. Erst zu einem gemeinsamen Essen, bei dem die Hochzeit von Fleabags Vater (Bill Paterson) mit der anstrengenden Patin (Olivia Colman) geplant werden soll, kommt die ziemlich neurotische Familie wieder zusammen. Prompt endet der Abend mit einer Fehlgeburt, einer Schlägerei und einer Fleabag, die sich in den anwesenden Priester (Andrew Scott) verguckt. Das daraus resultierende Dreiecksverhältnis – sie, er, der liebe Gott – bestimmt den Großteil der zweiten Staffel. Natürlich ist es pure Ironie, dass ausgerechnet die altmodische Religion der zeitgeistigen Fleabag Grenzen setzt.

Es gibt verschiedene Gründe, warum Fleabag so unbedingt sehenswert, kurzweilig und – häufig unangenehm – berührend ist. Einer ist die schon erwähnte Orientierungslosigkeit. Ein anderer der Umgang mit Trauer. Die ist bei Fleabag mit Ratlosigkeit verbunden und oft auf diese unrealistische Weise komisch, in der reale Trauersituationen komisch sein können. Etwa wenn in einem Rückblick die Beerdigung der Mutter gezeigt wird: Da sprechen die Trauergäste reihenweise Fleabag ihr Beileid aus – und können nicht anders, als sie im selben Atemzug für ihr gutes Aussehen zu loben. So oft wird Trauer mit Stille und Andacht verknüpft. Fleabag bricht damit und zeigt stattdessen die verwirrenden, die dummen Seiten.

Der größte Trumpf von Fleabag aber ist natürlich die Titelheldin: eine Protagonistin in den 30ern, bei der es nicht um das Ticken der biologischen Uhr oder die Karriere in irgendeinem Selbstausbeutungsberuf geht. Fleabag lässt sich mit unterhaltsamen, aber unpassenden Männern ein, provoziert die angehende Stiefmutter, kennt Einsamkeit und Dinge, die nicht glücklich machen. Ihre Ratlosigkeit und Unvernunft fühlen sich so absolut echt an wie das ausbleibende Happy End.

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