Am Ende des Wahlkampfs im Norden zeltet Robert Habeck. Noch nicht ganz wach und ungekämmt twittert er, grüner Vizeministerpräsident in Schleswig-Holstein, morgens Selfies und „Guten Morgen, #Küstencamp. Ein Land wartet auf uns!“, abends Fotos von Flensburger-Pils-Kästen.
Habeck hat Parteifreunde aus ganz Deutschland in eine Jugendherberge mit Campingplatz in den Norden geladen. Nachts liegt er im novemberwettrigen Frühling im Schlafsack, tagsüber schwärmt er mit den anderen aus, Ahrensburg, Flensburg, Norderstedt. Sie kämpfen. Für die Grünen und ihr Überleben in der Regierung von Schleswig-Holstein. Und für grüne Politik im Bund.
Das Küstencamp ist eine Habeck-Idee, seine „klare strategische Überlegung“. Eine, die schöne Bilder liefert: die Grünen nicht elitär, nicht miesepetrig, dafür mit Lagerfeuer, der Natur verbunden, irgendwie cool. „Hat geklappt“, sagt er später. 12,9 Prozent. Die Partei ist nicht weg. Sie ist da, und mit ihr Habeck.
Habeck, 47, gibt der Partei ein neues Gesicht. Nicht nur weil er sich anders als die etablierten Anzug-Grünen lässig kleidet. Meist Jeans. Immer ohne Krawatte, was mit einem Witz zusammenhängt, den er machte, als er vor 13 Jahren grüner Landesvorsitzender wurde. Einer fragte, ob er nun auch Schlips trage. Er: „Was ist der Unterschied zwischen dem Kuhschwanz und einem Schlips? Der eine bedeckt das ganze Arschloch.“ Und: „Das ist zu einer Art Eid geworden“, sagt Habeck. Er kann das. Sich verkaufen. Und die Grünen auch.
Nachrichtenmagazine spekulieren längst, er solle Bundesvorsitzender werden, die Partei retten, die derzeit so seltsam ermattet wirkt. „Laber Rhabarber“, sagt Habeck. Er werde in Kiel bleiben, er wolle Minister werden. Das habe er gesagt. Er hat dazu schon ein Video „Tünkram“ ins Internet gestellt. Im Schneidersitz auf einem Steg erklärt er, er wohne in einem Land, „wo ein Handschlag gilt, wo ein gegebenes Wort ein gegebenes Wort ist. Und so soll es auch für mich gelten“. Das wirkt ein wenig absurd, weil Schleswig-Holstein mit Barschels „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ bekannt geworden ist für Intrigen, auch für Lügen. Aber Habeck meint das ernst. Zumindest jetzt. Solange die Regeln so sind, wie sie sind. Bei den Grünen kann ein Landesminister nicht zugleich Bundesvorsitzender sein.
Dabei reizt ihn die große Bühne. Habeck wollte dieses Jahr eigentlich Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl werden und eine „Aufstellung finden, die uns nicht bei neun Prozent verrecken lässt“. Dafür hat er extra auf die Spitzenkandidatur in Schleswig-Holstein verzichtet. Doch dann wählte die Parteibasis neben Katrin-Göring-Eckardt den bundesweit bekannteren Cem Özdemir, der Vorsprung hauchdünn, 75 Stimmen von 34.000. Habeck hat das gegrämt.
Daraufhin versprach er, „120 Prozent“ bei der Wahl im Norden zu geben. Er distanziert sich dabei immer wieder von der Bundespartei, twittert etwa: „@Gruene_SH, das ist die richtige Antwort auf sechs Prozent im Bund gestern. Neue Umfrage zwölf Prozent.“ Es wirkte fast etwas beleidigt, in jedem Fall triumphierend. Er machte klar: So kann es gehen! Das ist der Testfall! Seht her!
Zwar sagt er, der Bund sei nun Sache der anderen. Er werde keine Ratschläge geben. Aber man muss nur zuhören, wenn er beschreibt, was seinen Erfolg, den der Grünen im Norden, ausmacht, warum ihr Ergebnis „supi“ ist. So sagt er das am Wahlsonntag. „Supi“ ist Habeck-Sprech. Keine „Eines ist doch klar“-Polit-Floskeln. Habeck kann reden, plaudern, einfach gut mit den Leuten. Das ist das eine.
Er duzt selbst den Vizepräsidenten des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes, seinen politischen Gegner, den er selbst wohl nie „Gegner“ nennen würde. Denn – und das ist das andere – er will weg vom Image der grünen Besserwisser- und Verbotspartei.
Fünf Jahre hat er jetzt das Büro im zehnten Stock eines Betonklotzes in Kiel, Blick auf die Förde. Seinen Job nennt er „Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und alles, was draußen ist“. Oft gehe es um das Einkommen der Leute, um die Existenz. Fischer sollen weniger Dorsch aus dem Meer holen, Bauern weniger Schweine in ihren Ställen zusammenpferchen, Bürger Strommasten vor ihrer Haustür und höhere Stromkosten akzeptieren. Habeck: „Wir haben aber nie gesagt: Wir sind die Grünen, wir haben Recht, sondern: Wir sehen euer Problem, liebe Leute.“
Was das praktisch heißt? Weil Tiere gequält, Vorschriften zur Hygiene verschlampt wurden, habe er den größten Schlachthof Norddeutschlands in Bad Bramstedt für vier Wochen geschlossen, aber nicht „ideologisch für immer dichtgemacht“. Er habe zugesagt, Castoren in Schleswig-Holstein zu lagern, die aus der Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield zurückkommen, „weil das Problem gelöst werden muss, auch wenn ich mich mit Atommüll nicht beliebt mache“. Habeck meint: „Mit diesem untypischen Verhalten haben wir Respekt gewonnen.“
Er ist der Mann für Kompromisse. Er nennt das „wertorientiertes Problemlösen“, mit dem sich die „Wirklichkeit verändern“ lässt. Er plädiert für Pragmatismus. „Der progressiven Sache hilft es nicht, wenn sie in Schönheit stirbt.“ Habeck steht für einen Politikstil, nicht für links oder rechts. „Gott sei Dank“, sagt er. Wenn es sein müsse, dann heiße links für ihn, „fortschrittlich, weltoffen“ zu sein.
Er kann sehr allgemein bleiben. Das macht vieles möglich. Derzeit will er von einer Jamaika-Koalition mit CDU und FDP nicht viel wissen, da es zu wenig „Gemeinsamkeiten bei innerer Sicherheit, bei Einwanderung“ gebe. „Wir müssen die Ampel, die Koalition mit SPD und FDP möglich machen“, sagt er. Unter SPD-Mann Torsten Albig schließt die FDP das allerdings aus.
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