Stadt der Monumente

Folgen des Embargos Die Künstler im Irak leiden unter der Isolation und reden nicht gern über Politik

Zwischen Tigris und Abu Nawas Straße reiht sich ein Fischrestaurant an das nächste. Doch die Tische bleiben leer, ihre Farbe ist längst verblichen. Nach zwölf Jahren Sanktionen gegen den Irak ist nur noch wenig übrig von der früheren Vergnügungsmeile Bagdads. Für Kunstfreunde allerdings bleibt die Straße ein kleines Paradies. Hier gibt es etliche Galerien für moderne Malerei und Skulptur, manche haben erst in den vergangenen Jahren eröffnet. Die Kunstszene des Iraks ist in der arabischen Welt berühmt. In anderen arabischen Ländern dominieren Impressionismus und orientalischer Realismus: Bilder von Alltagsszenen, Moscheen, Märkten in bunten Farben. Die Irakis sind experimentierfreudiger. Hier findet man jeden erdenklichen Stil der modernen Kunst. An die 4.000 Künstler gebe es, sagt Noori Al Rawi, Präsident der irakischen Künstlergesellschaft.
"Das ist die einzige Möglichkeit des Ausdrucks, die Intellektuelle in diesem Land haben", meint ein westlicher Diplomat. Die Irakis erläutern ihre Liebe zur Kunst anders. "Schon die Sumerer und Babylonier haben gemalt", sagt Nida Karim, Mitarbeiterin des Saddam Art Centers, dem Museum für moderne Kunst in Bagdad. Nida Karim ist selbst Künstlerin und die Tochter von Karim Resen, einem bekannten Künstler, der Symbole auf unebenen Flächen in Brauntönen herstellt. "Die Materialien macht er alle selbst", so seine Tochter. Diese Kreativität ist Ergebnis des Embargos. Farben und Leinwand gehören nicht zu den lebenswichtigen Produkten, die seit 1996 im Rahmen des UN-Programms "Öl für Lebensmittel" eingekauft werden dürfen. Künstlerbedarf ist also nur als sogenannte Schmuggelware zu haben und damit für die meisten Künstler zu teuer. Denn ihre Kunstwerke werden sie nur zu Spottpreisen los. Zwischen 100 und 200 Dollar kosten die meisten Bilder in den Galerien, selbst Ölgemälde bekannter Künstler, die im Museum ausgestellt sind, bekommt man für 300 Dollar.
Das Embargo hat vor allem die irakische Mittelschicht getroffen. Ärzte und Professoren verdienen weniger als zehn Dollar im Monat. Auch die Künstler sind dafür ein beredtes Beispiel, erläutert die französische Kunstautorin Alice Bséréni: "Ich habe mit Leuten gesprochen, die in den ersten Jahren der Neunziger ihren gesamten Hausstand verkaufen mussten, um zu überleben. Ihre Möbel, ihre Bibliotheken, alles was sie in ihrem Leben hatten."
Doch in den letzten Jahren sind viele Ausländer ins Land gekommen. Vor allem Geschäftsleute aus den Golfstaaten und Osteuropa interessieren sich für die Kunstwerke. "Inzwischen kann man ganze Sammlungen irakischer Künstler etwa in den arabischen Emiraten finden", sagt Bséréni. Zu den besten Kunden der Galerien gehören auch die UN-Mitarbeiter und das Personal europäischer Botschaften.
Heute klagen die Künstler vor allem darüber, dass sie keine Anregungen von außen bekommen. Zum Reisen fehlt den meisten das Geld. "Wenn wir wenigstens Internet hätten", sagt Nida Karim. Doch das ist im Irak erst seit einem Jahr erlaubt, viele Seiten sind gesperrt und private Haushalte bekommen keinen Zugang. Immerhin stellen einige Künstler ihre Werke im benachbarten Jordanien aus. Das belebt die Kunstszene in Amman, allerdings nicht immer zur Freude der jordanischen Künstler. Dort schimpfte die Künstlerin Aisha Razem in der englischsprachigen Tageszeitung Jordan Times im vergangenen Jahr: "Wenn die Regierung nichts gegen diesen irakischen Angriff unternimmt, müssen die jordanischen Künstler ihre Farben auf die Straße kippen und sich andere Arbeit suchen." Die Irakis drücken nicht nur die Preise für Kunstwerke. Ihre Kunst gilt auch bei den Kritikern als ausgereifter. Zudem kauften viele arabische Kunstliebhaber aus Solidarität mit der von Sanktionen gebeutelten irakischen Bevölkerung die Werke aus dem Nachbarland, berichtete die Jordan Times.
Für die Künstler in Bagdad jedoch ist der Blick nach Europa gerichtet. Nach Paris oder London würde sie gern, erzählt Nida Karim. Es ginge ja schließlich nicht nur darum, Bilder zu verkaufen, sondern auch neue Impulse zu bekommen. Vielleicht nach Beirut? Schließlich sei der Libanon für sein liberales Klima und eine lebendige Kulturszene bekannt. "Das wäre schon etwas", sagt die 25-Jährige. Doch sie lächelt gequält. Möglich ist das für sie nicht.
Der Präsident der irakischen Künstlergesellschaft erzählt, dass er in den achtziger Jahren häufig in Europa war, allein dreimal in Berlin. "Aber seit dem Golfkrieg bekommen wir keine Visa mehr für Europa", sagt Noori Al Rawi. Auch Einladungen gibt es kaum noch. Die Ausstellungen irakischer Kunst, die in Europa gezeigt werden, zeigen fast alle die Werke von Exil-Irakern. Manche Veranstalter befürchten, dass die Künstler mit dem Regime sympathisieren. So etwa die evangelische Akademie Bad Boll, die im Sommer 2001 spontan eine Ausstellung mit Mukhallad al-Mukhtar absagte. Der Künstler und Museumsdirektor stehe im Verdacht, das Image seiner Regierung aufbessern zu wollen, hieß es damals. "Tatsächlich haben sich viele Künstler über die schwersten Jahre des Embargos mit Auftragsarbeiten für die Regierung gerettet", sagt Bséréni. An jeder Straßenecke in Bagdad hängen Gemälde im realsozialistischen Stil: Kämpfende Soldaten, ein jubelndes Volk, darüber Saddam Hussein mit Blick in die Weite. Dazu kommen die Denkmäler: Monument der Märtyrer, Monument des Widerstands und immer wieder Saddam mit ausgestrecktem Arm. Bagdad wird auch die "Stadt der Monumente" genannt. "Die Künstler sind nicht politisch, aber sie brauchten Geld", erklärt die französische Kunstkritikerin Bséréni. In den Galerien und Museen haben die wenigsten Werke eine deutliche politische Botschaft. Nur das Leid von Kindern und Frauen taucht immer wieder auf. Der Bildhauer Mohammed Ghani schafft Frauengestalten mit vertrockneten Brüsten. Die Skulpturen des Künstlers Fawad Hamdi sind Kinder ohne Arme und Beine, manchmal ohne Kopf und Augen. "Sie zeigen die Verkrüppelung unserer Kinder durch die abgereicherte Uranmunition", sagt der Künstler.
Die 300 Tonnen Uranmunition, die von den Amerikanern im Golfkrieg verschossen wurden, haben vor allem den Süden des Landes verstrahlt. Dort ist die Rate an Missgeburten um das Doppelte gestiegen, die Krebsrate bei Kindern um das Fünf- bis Sechsfache. Die radioaktive Verstrahlung ist auch Thema der Werke des Künstlers Shakir Khalid. Eines seiner Bilder im Saddam Art Center zeigt ein Baby, darüber eine Dollarnote hinter der ein Radioaktivitätssymbol leuchtet, die Köpfe von George W. Bush und Ariel Sharon thronen darüber. Doch solch politischer Symbolismus gefällt vielen nicht. "Ich denke, die Künstler sollten sich lieber auf unsere Jahrtausende alte Kultur besinnen", sagt Nida Karim und findet im Kreis ihrer Kollegen Zustimmung. Taucht einmal etwas Politisches auf, wird es nicht gern zugegeben. Man ist vorsichtig gegenüber Journalisten. Die 31-jährige Fadia Mohammed etwa malt aufgerissenes Papier, das Menschen darstellt. Ein Bild zeigt Papierköpfe, alle grau nur einer gelb. "Die grauen sind alle tot", sagt sie. "Alle arabischen Nationen schweigen zum Palästinakonflikt, nur eine nicht." Sie meint den Irak. Die irakische Regierung kritisiert nicht nur lautstark Israel und die USA, sondern zahlt auch jeder palästinensischen Familie, die ein Mitglied im Krieg gegen Israel verloren hat, 25.000 Dollar. Doch fragt man Fadia Mohammed, ob ihr solche Aussagen in ihren Bildern wichtig sind, antwortet sie, es sei nur eine Laune gewesen, sie habe da was im Fernsehen gesehen.

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