Absage Nummer vier kam aus Wien. Nach den USA, Ungarn und Australien erklärte Österreichs Regierung, dem feierlichen Akt zur Unterzeichnung des UN-Migrationspaktes am 10. Dezember 2018 in Marrakesch fernbleiben zu wollen. Inzwischen verlängert sich die Liste der Nein-Sager weiter.
Was treibt die Wiener Koalition aus ÖVP und FPÖ dazu, dem seit Juli ausgehandelten „Globalen Vertrag für sichere, geordnete und geregelte Migration“ eine Abfuhr zu erteilen? Besonders die fremdenfeindlichen Ressentiments in den Reihen der FPÖ. Sie lassen die Abkehr vom Migrationspakt als logische Konsequenz des gemeinsam erstellten Regierungsprogramms erscheinen. Österreich reiht sich in eine seltsame Allianz ein, die in migrationspolitischer, vor allem migrationshistorischer Hinsicht so gar nicht zusammenpasst. Die zwei Siedlerkolonien Australien und USA, deren Existenz auf Masseneinwanderung von Weißen – inklusive ethnischer Säuberung der Ureinwohner – beruht, stehen Seite an Seite mit zentraleuropäischen Ländern, die keine lange Tradition als Einwanderergesellschaften aufweisen. Die Argumente gegen den UN-Pakt gleichen sich. Wien fühlt durch das multilaterale Agreement seine Souveränität bedroht und fürchtet, dass aus dem unverbindlichen Papier Schritt für Schritt ein Völkergewohnheitsrecht wird, das dereinst ein „Recht auf Migration“ festschreiben könnte. Außerdem vermische der UN-Pakt (Arbeits-)Migration und Asyl.
Schon im Hinblick auf die in Punkt 7 verbriefte Unverbindlichkeit des UN-Migrationspaktes sind diese Argumente nicht stichhaltig. Die Angst vor dem Verlust nationaler Souveränität wirkt lächerlich, angesichts der wirklich stattfindenden Migrationen, der durch sie ausgelösten Verwerfungen in vielen Staaten und der Erfahrungen des Sommers 2015, in dem die große Flucht vieler Muslime vor Grenzen nicht haltmachte.
Es ist der Regierung von Kanzler Kurz mit dem Coup gegen den UN-Vertrag wieder einmal gelungen, rechte Diskurshegemonie beim Thema Migration zu festigen. Der linksliberale Reflex, den Pakt nicht nur in Schutz zu nehmen, sondern ihm Progressivität und Menschenfreundlichkeit zu attestieren, zeugt davon.
Win-Win-Situation
Tatsächlich wurde aus schlechten Gründen das Richtige getan, denn dieser Migrationspakt ist aus zwei Gründen äußerst kritikwürdig. Da ist einmal das seitenlange Aneinanderreihen nichtssagender Formeln und Absichtserklärungen, die vom notwendigen Empowerment einzelner Migranten bis zur Win-Win-Situation aller Beteiligten reichen. Dort allerdings, wo inhaltliche Aussagen getroffen werden, folgt die Stoßrichtung des Paktes dem neoliberalen Menschenbild, das auf der Formel von „Jeder ist seines Glückes Schmied“ beruht, soziale und regionale Differenzen ignoriert und an die Thatcher-Formel erinnert, nach der ihr überhaupt die Kategorie „Gesellschaft“ unbekannt sei: „There is no such thing as society“, postulierte einst die Eiserne Lady.
Der UN-Vertrag negiert soziale Verwerfungen, regionale Disparitäten oder Kriege als Ursachen von Massenmigration. Das Wort „Krieg“ kommt im ganzen 34-seitigen Text nicht vor. Migration wird als individuelles Problem betrachtet. „Der Globale Vertrag setzt das Individuum ins Zentrum“, heißt es unter Punkt 15. Hilfe mag (und soll) ihm zugutekommen, aber ein weltweit gültiges Reglement läuft ohne die Erwähnung von Push- und Pull-Faktoren, ihrer Profiteure und Verlierer ins Leere. Anders formuliert: Es friert den herrschenden Zustand in einer immer ungleicher werdenden Welt ein.
Genau diese einfache Erkenntnis, dass nämlich Migration eine Folge von weltweiter Ungleichheit ist, weist der UN-Pakt zurück. Dort wird unter dem Punkt „Vision und Grundsätze“ (Punkt 8) klargestellt, dass „Migration eine Quelle des Wohlstandes, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ sei. Die Wirklichkeit sieht für die größten Opfer dieser Entwicklung – die Migranten – jedoch gänzlich anders aus.
Einen Migrationspakt zu schließen, ohne die Triebkräfte von Massenwanderungen zu benennen, keinen wie auch immer gearteten Ausgleich zwischen Zentralräumen und Peripherien zu fordern und stattdessen weltweite Verwerfungen zu individualisieren, heißt letztlich, einen Schlussstein in das Gebilde einer ungleichen Welt mit ihren Migrationsströmen zu setzen. Provokant formuliert, mischt sich die UNO damit in die Abfolge Schießen – Migrieren – Helfen ein, indem sie Hilfe managen will, ohne am Zustandekommen dieser menschenverachtenden Spirale zu rütteln.
Linke sollten eine solche Politik kritisieren und die Frage stellen, für wen Migration „eine Quelle des Wohlstandes“ ist. Damit käme wieder Schwung in eine zwischen liberalem Paradigma und rassistischem Diskurs oszillierende Migrationsdebatte.
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