Anfang Juli 2018 trat die Konfrontation zwischen der absteigenden Weltmacht USA und ihrem präsumtiven Nachfolger China in eine neue Phase. An diesem Tag erhöhte Washington die Schlagzahl in der sich seit Jahren aufschaukelnden wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung. An die Stelle von Nadelstichen traten Vorschlaghämmer, mit denen das ökonomische Geflecht der beiden Giganten auseinandergerissen werden soll. Per präsidialem Erlass wurden chinesische Produkte im Umfang von 35 Milliarden Dollar mit einer 25-prozentigen Wareneinfuhrsteuer, vulgo Zoll, belegt. Dies entspricht knapp 15 Prozent der gesamten chinesischen Exporte in die USA. Peking antwortete adäquat, es sah sich „gezwungen, die nötigen Gegenmaßnahmen einzuleiten“. Donald Trump verlautete daraufhin, die Zollschrauben um ein Vielfaches weiterzudrehen, bis das extreme Handelsbilanzdefizit der USA mit China abgebaut sei.
Die Differenz im gegenseitigen Außenhandel beträgt zurzeit 375 Milliarden Dollar, wobei China für 500 Milliarden Waren in die USA und diese umgekehrt für 125 Milliarden Waren nach China liefern. 30 Jahre zuvor lag der Wirtschaftsaustausch bei null Milliarden Dollar; dies nur zur Erinnerung daran, dass Menschen dies- und jenseits des Pazifiks auch ohne Handelsbeziehungen überlebten.
Altkleider zerstören Jobs
Nun macht sich Panik breit. Der Handelskrieg ist längst ausgerufen, ihm könnte ein Schießkrieg folgen, besonders wenn man die vom Konkurrenzwahn zerfressene liberale Analyse weltweiter Machtverhältnisse zugrunde legt. Sie gilt westlichen Medien- und Politikkreisen als unumstößliches Dogma und hat über die Ideologie nachholender Entwicklung auch in China Fuß gefasst. Welche Produkte mit immer größeren Container-Schiffen die Weltmeere kreuzen oder demnächst entlang gigantischer, von China gebauter Schienenstränge Kontinente durchqueren, woher die Rohstoffe dafür kommen, wo einzelne Komponenten zusammengesetzt werden, um an weit entfernten Absatzmärkten Wegwerfgesellschaften zu versorgen, solche Fragen werden thematisch – wenn überhaupt – der Ökologie oder Philosophie überantwortet. Dort soll über die Sinnhaftigkeit menschlichen Seins diskutiert werden. Beim Thema Weltwirtschaft und Entwicklung haben grundsätzliche Überlegungen aber nichts verloren. Doch gerade dort wären sie unabdingbar und hätten das Potenzial, Antworten für eine friedliche Zukunft zu finden.
Wie volkswirtschaftlich sinnlos weltweiter Handel sein kann, zeigt sich mittlerweile in den allermeisten Sektoren, wenn die Güterketten für ein einzelnes Produkt immer länger werden. Selbst der Abfall folgt der Logik der Grenzenlosigkeit. So werden etwa in Deutschland und Österreich Millionen Tonnen Altkleider gesammelt, nach Osteuropa verfrachtet, dort von billigen rumänischen Händen sortiert, anschließend mit dem Logo einer gemeinnützigen Organisation versehen und nach Afrika verschifft, um umgeschneidert und anschließend auf den Märkten angeboten zu werden. Die Zerstörung der lokalen Textilindustrie ist die Folge. Als 2016 mehrere afrikanische Staaten beschlossen, den Import von Altkleidern zu verbieten, stieg die entsprechende Lobby im Namen der Nachhaltigkeit und des eigenen Profits auf die Barrikaden. Ihr stärkster Verband, die in den USA ansässige Recycled Textiles Association (RTA), brachte Kenia, Uganda und Tansania dazu, ihre Importverbote aufzuheben. Einzig der ruandische Präsident Paul Kagame blieb – bislang – standhaft. „Für Ruanda hat es höchste Priorität, unsere eigenen Produkte – auch eigene Textilien – herzustellen“, meinte er.
Wareneinfuhrsteuern bergen Positives in sich; freilich nicht für die branchenführenden Konzerne, deren Überleben an weltweit verzweigten Güterketten hängt. Über den gesamten Globus spannen sie Netze von billigster Arbeitskraft, umweltignorantester Rohstoffgewinnung und Transportwegen, steuerschonendstem Gewinn und absatzsichersten Märkten. Jede Wareneinfuhrsteuer stört diesen Ablauf und setzt weltwirtschaftlich tätigen Akteuren zu, die sich daran gewöhnt haben, dass politische Interventionen über die Welthandelsorganisation WTO, Freihandelszonen und Investitionsschutzabkommen ihren Spielraum erweitern. Neue Zölle weisen nun in die Gegenrichtung.
Bei Vernunft besehen, böten solche Wareneinfuhrsteuern, auch die gegenseitig von Washington und Peking verhängten, eine Chance, den menschlichen Lebenszyklus mit seiner regionalen Verankerung wieder in den Mittelpunkt einer Ökonomie zu stellen, deren Wortstamm und ursächlicher Sinn sich vom griechischen Oikos – dem Haushalt – ableitet.
Eine immer kleinteiliger werdende Arbeitsweise bei gleichzeitig immer großräumiger verteilten Standorten könnte durch integrierte, ganzheitliche Produktionsverhältnisse ersetzt werden, die das Wissen um den Arbeitsvorgang und damit auch um den gesellschaftlichen Nutzen des jeweiligen Produkts erhöht. Einfuhrzölle würden generell zur Verkürzung von Güterketten, also zur Reduktion von Transportwegen beitragen. Selbst ihre direkte Besteuerung wäre denkbar. Produktionsstandorte könnten auf diese Weise Absatzmärkten näher rücken. In weiterer Folge würden auch Lohndifferenzen für Unternehmen an Attraktivität verlieren, würden doch die damit am Billiglohnstandort eingesparten Kosten durch die Einfuhrsteuer am Absatzmarkt zumindest teilweise aufgehoben. Zölle wären somit auch ein Mittel zur Zurückdrängung des ungleichen Tausches, der unserem von Kapitalinteressen getriebenen Gesellschaftssystem seinen Stempel aufdrückt. In einem Satz: Zölle könnten zu einer regionalpolitisch, ökologisch und kulturell wünschenswerten Entflechtung beitragen, zu einem Wirtschaftssystem mit menschlichem Augenmaß.
Könnten, würden, wären. Der Konjunktiv ist angebracht. Denn Trumps Idee eines Protektionismus, dem die Einführung neuer Zölle folgt, ist aggressiver Natur. Sein Wording unterstreicht dies. Er will die chinesischen Rivalen in die Knie zwingen. Regionalität und Ökologie sind Begriffe, die in seinem Vokabular nicht vorkommen. Die Wareneinfuhrsteuer ist ihm eine Waffe, der andere Angriffe folgen könnten. Zum militanten Charakter der US-Zollpolitik und der gleicher Logik verhafteten, wiewohl defensiven Antwort Chinas kommt noch die Tatsache, dass die ökonomische Verzahnung der allermeisten Staaten – sowohl im Zentrum wie an der Peripherie – eine notwendige Entflechtung erschwert.
Die Exportwirtschaft in Ländern wie Taiwan, Südkorea, Ungarn, Tschechien oder der Slowakei ist zu mehr als 60 Prozent (in Luxemburg zu 70 Prozent) von industriellen und finanziellen ausländischen Inputs abhängig. In Deutschland und Russland betrifft die „Global Value Chains Participation Rate“ 50 Prozent der Ausfuhren, in den USA 40. Sich daraus ergebende Abhängigkeiten stellen die Hürden für das oben beschriebene menschliche Augenmaß in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung dar. Sie sind aber zugleich Kennziffern jener Überdehnung, die ein Weitermachen wie bisher nicht mehr erlauben. Daraus lässt sich Hoffnung schöpfen, den Motiven Trumps und seiner Widersacher zum Trotz.
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