Krieg ist konkret. Kunst ist es auch. Wo es der Kunst gelingt, den Krieg spürbar zu machen, landet sie mit Glück einen Wirkungstreffer. Wer sich die Ausstellung Phone Calls from the Cemetery and Other Stories der dritten Kölner Pluriversale ansieht, der fühlt sich danach möglicherweise ein wenig wie ein angeschlagener Boxer.
Ein Schwerpunkt der dritten Ausgabe der Reihe, die über drei Monate Veranstaltungen quer durch alle künstlerischen Disziplinen verquickt, ist der Krieg in der Ukraine. Zum Beispiel in der kleinen Stadt Zhdanovka (Schdaniwka) nordöstlich von Donezk, in der heftige Gefechte stattfanden. Hier hat die Künstlerin Alevtina Kakhidze ihre Kindheit verbracht, ihre Mutter lebt noch heute dort. Der einzige Ort der Stadt, an dem es noch Netzempfang gibt, ist der Friedhof. Von dort aus ruft die Mutter ihre Tochter regelmäßig in Kiew an und erzählt von ihrem Alltag: Sie lebt weitgehend im Keller, seit mehr als einem Jahr hat sie nicht mehr richtig geschlafen. Eine Nachbarin wird bei einem Angriff getötet. Zwischendurch macht sie Erdbeeren ein. Alevtina Kakhidze übersetzt die Gespräche in kindlich anmutende Zeichnungen, die ebenso die Erinnerungen an ihre Heimat aufrufen, wie sie in rot gezackten Explosionen den Einbruch der Gewalt in die ehemals behütete Welt ihrer Kindheit zeigen.
Brisante Dialoge
Nicht nur Alevtina Kakhidzes Mutter telefoniert auf dem Friedhof, auch andere Bewohner stehen zwischen Grabsteinen, das Handy am Ohr. Bizarrer, auch symbolischer könnte eine Szene, die den Alltag an einem Kriegsschauplatz beschreibt, kaum sein. Wohl auch deshalb haben sich die beiden Kuratoren Ekaterina Degot und David Riff dazu entschlossen, den Titel der Installation für die Gesamtschau zu übernehmen und lediglich um den Zusatz „und andere Geschichten“ zu ergänzen.
Wie zeichnerische oder kartografische Arbeiten zeichnen auch die gezeigten Videoarbeiten oft die Topografie konkreter Orte nach. Regular Places etwa unterlegt statische und manchmal fast idyllische Aufnahmen einer Kreuzung, eines Parks oder einer Unterführung aus Charkiw, der Heimatstadt des Künstlers Mykola Ridnyi, auf der Tonebene mit aggressiv gebrüllten Parolen wie „Ruhm der Ukraine!“ oder „Tod unseren Feinden!“.
Phone Calls from the Cemetery ist eine mit acht Werken überschaubare, dadurch aber nicht minder beeindruckende Gruppenausstellung ukrainischer und russischer Künstler im neuen Academyspace des Pluriversale-Kollektivs, das sich hier endlich auch einen festen Veranstaltungsort in der Kölner Kulturszene erobert hat. Verdient hat es den allemal: Durch ihre klare politische Positionierung und den Anspruch, theoretisch wie ästhetisch brisante Dialoge in Gang zu bringen, verknüpft die 2012 gegründete Akademie der Künste der Welt Kunst, Film, Literatur, Vorträge, Musik, Aktivismus und Theater zu interdisziplinären, thematisch aber gebündelten Reihen.
Dabei soll ausdrücklich auch diskursiven Formen Raum gegeben werden. Ein ganztägiges Symposium mit dem Titel (Gegen) den Krieg denken suchte am Eröffnungswochenende nicht nur nach Ansätzen für ein postkommunistisches Europa, sondern fragte auch nach anderen Krisenschauplätzen wie Syrien, Libyen oder Irak. Wie konkret ist die Drohung eines neuen Faschismus in Kroatien oder Russland? Ist der Krieg in der Ukraine ein Bürgerkrieg, eine Invasion oder doch eher ein Unabhängigkeitskrieg? Wohin geht die Entwicklung, welchen Weg nimmt sie zwischen Reform und Revisionismus, auch in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens?
Mit ganz anderen Fragen trat Hito Steyerl am Eröffnungsabend zu ihrer Lecture Performance an. Die Künstlerin und Filmemacherin, die bei der Biennale in Venedig den deutschen Pavillon bespielt, ist in den vergangenen beiden Jahren wiederholt nach Kobane und die gegenüberliegende türkische Grenzstadt Suruç gereist. Statt Augenzeugin des Kriegs zu werden, fand sie sich jedoch als Teil einer ratlosen Zuschauermenge wieder, die sich auf den Hügeln rund um Kobane versammelte wie das Publikum einer Theateraufführung und nach dem Krieg und dessen Darstellern Ausschau hielt, ohne ihn zu finden.
Angelehnt an Harun Farockis Essayfilm Erkennen und verfolgen von 2003 nutzte Steyerl ihre Reisen als Ausgangspunkt für eine Reflexion über den Einsatz und die Macht der Bilder beim Töten. Den Tönen widmete sich anschließend der Klangkünstler und House-Produzent Kassem Mosse, der Klänge und Geräusche zu einer raumfüllenden Soundcollage verband. Wer allerdings glaubte, darin Kriegslärm zu hören, erlag einer Täuschung: Plastikplanen im Wind, knackende Zweige, Jeepmotoren oder zoomende Kameraobjektive suggerierten abstrakte Szenarien, deren Auslegung allein dem Zuhörer überlassen blieb.
Info
Pluriversale III Köln, bis 18. Dezember, academycologne.org
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