Teure Blicke

Ausstellung David Hockney wird in Köln als penibler Handwerker gezeigt, Pop-Art-Pionier Richard Hamilton als Moralist. Beides ist im Zweifel anzuzweifeln
Ausgabe 04/2019

Seit sein Gemälde Portrait of an Artist (Pool with Two Figures) vergangenen November in New York für 90 Millionen Dollar versteigert wurde, gilt der britische Maler David Hockney als der teuerste lebende Künstler. Trotz dieses Superlativs baut die aktuelle Ausstellung im Kölner Museum Ludwig eher auf leise Töne. Der Film Love’s Presentation von James Scott aus dem Jahr 1966 zeigt David Hockney als peniblen Handwerker, der mit äußerster Akribie an seinen Radierungen arbeitet und dabei keinem Staubkorn gestattet, die Klarheit einer Linie zu beeinträchtigen. Im Voice-over erklärt Hockney Schritt für Schritt, wie er mit einer Nadel Spuren in die Wachsbeschichtung kratzt, mit welchen Chemikalien er die Platte danach behandelt und wie schließlich die fertige Grafik zum Vorschein kommt. Hockney, damals 29 Jahre alt, steht tief über das Säurebad gebeugt, das er wegen der Dämpfe doch extra aufs Fensterbrett seiner Londoner Wohnung verfrachtet hat, und wischt mit einem feinen Pinsel immer wieder hochkonzentriert über die Kupferplatte, um auch das letzte Luftbläschen zu vertreiben.

Auch der Zyklus, an dem David Hockney in diesem Film arbeitet, ist in der Ausstellung zu sehen: eine Illustration von 14 Gedichten des griechischen Autors Konstantinos P. Kavafis (1863 – 1933), die von flüchtigen erotischen Begegnungen junger Männer erzählen, von kleinen und daher umso poetischeren Liebesgeschichten, von der einsamen Suche nach Momenten des Glücks.

Damals war Homosexualität in England noch verboten, und Hockney illustriert daher fast ausschließlich private Räume. Vom sehnsuchtsvollen Warten in Tavernen und von den leisen Blicken in den Straßen bei Kavafis zieht er die Außenwelt ab. Was bleibt, sind intensive Studien junger Männer, unter Laken, im Bett, auf Sesseln, die einander umarmen oder sanft berühren. Die Drucke zeigen Szenen voller Zärtlichkeit, die in dünnen, zerbrechlichen Linien von der Sehnsucht nach Nähe erzählen. Vier Hörstationen in der Ausstellung präsentieren dazu zum ersten Mal überhaupt die Rezitationen der Gedichte durch David Hockney selbst, der damit das Statische der Texte akustisch ebenso in Bewegung bringt, wie es der Film mit der zum fragilen Körperumriss geronnenen Tinte tut.

Kunst wird Film

Love’s Presentation ist ein Künstlerporträt, dann aber auch wieder nicht: Vielleicht kann man ihn eher einen kunstdidaktischen Film nennen, der genauso gut im Schulunterricht zum Thema „Wie fertige ich eine Radierung an?“ zum Einsatz kommen könnte. Ohne jede Attitüde reduziert er den künstlerischen Vorgang auf das technische Verfahren, und das an sich ist schon eine so bescheidene Angelegenheit, dass sie ihren eigenen Superlativ verdient. Dies ist umso bemerkenswerter, als das emanzipatorische Pathos, das die Texte und Grafiken aufgrund ihrer schwulen Thematik zwangsläufig beinhalten, ganz im künstlerischen Prozess aufgehoben ist und damit völlig selbstverständlich wird.

Die Kölner Ausstellung setzt David Hockney neben dem Filmemacher James Scott auch zu dem Maler Richard Hamilton in Bezug. Alle drei gezeigten Künstler kannten sich vom Royal College of Art in London, wo Hamilton lehrte und Hockney und Scott studierten. Hockney/Hamilton. Expanded Graphics heißt die Schau, Scott aber ist es, der mit seinen Filmen jenseits der biografischen Nähe erst die Klammer bereitstellt, die diese beiden so verschiedenen Künstler hier verbinden kann.

Richard Hamilton, Erfinder der Pop-Art, fleddert die Konsumwelt und ihre Ikonen und wurde mit seinem verfremdeten Pressefoto, das Mick Jagger in Handschellen auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens zeigt und das auch diese Ausstellung bereithält, weltberühmt. James Scotts zweiter Film, Richard Hamilton von 1969, ist denn auch im Vergleich zu Love’s Presentation am anderen Ende der filmsprachlichen Skala angesiedelt, bunt und laut, eine enthemmte Collage aus Werbeanzeigen, Filmbildern und Nachrichtenclips. Die vielen durchgestrichenen Motive auf einem belichteten Negativstreifen in der Montage My Marilyn von 1965, die laut Hamiltons Statement im Film Marilyn Monroes Suizid kommentieren sollen, oder das aufgeblasene Filmnegativ von Bing Crosby im Bild I’m Dreaming of a White Christmas, das ihn kulturkritisch in einen schwarzen Sänger verkehren soll, machen deutlich, wo das europäische Verlangen nach Tiefe sich dann doch von Andy Warhols spiegelglatten Oberflächen unterscheidet. Trotz Pop-Art bleibt Hamilton hier Moralist, wogegen David Hockney mit fast schon klassischem Habitus an sein ebenso filigranes wie präzises Werk herangeht.

Scotts Künstlerporträts, so sagt er im Prolog von Richard Hamilton, wollen ihre Subjekte gerade nicht glorifizieren: „Das Wichtigste ist, Zweifel zu säen.“ Was bleibt, sind Dialoge und Metamorphosen: Text wird Bild und Sprache, Kunst wird Film. Expanded Graphics zeigt auf eindrückliche Weise, wie multimediale Präsentationen auch ohne Touchscreen und Drop-down-Menü ganz wunderbar gelingen können.

Info

Hockney/Hamilton. Expanded Graphics Museum Ludwig Köln, bis 14. April 2019

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