Die Propagandaschlachten des Kalten Krieges wurden nicht nur auf diplomatischem Terrain geschlagen, sondern besonders auch in der Kunst. Die Rivalität der politischen Systeme übertrug sich traditionell durch das ideologische Wetteifern zwischen ungegenständlicher und figurativer Darstellungsweise in die Malerei: Ein frühes Beispiel für diesen kategorischen Widerstreit war die American National Exhibition (ANEM), die 1959 in Moskau im Zuge eines gegenseitigen Kulturabkommens stattfand – ihr Pendant, die USSR Exhibition, eröffnete im gleichen Jahr in New York. Die ANEM war als „weiche Waffe“ des kalten Krieges konzipiert und sollte eine Leistungsschau des kapitalistischen Systems und seiner Konsumversprechen sein. Es ging dort um Mode und Waschmaschinen, um IBM-Computer, futuristische Küchen und Pepsi-Cola – aber eben nicht nur.
Im künstlerischen Teil der Schau sollten avantgardistische Werke von Mark Rothko, Jackson Pollock oder Willem de Kooning den Westen und dessen Vorzüge ästhetisch repräsentieren: als leuchtende Beispiele für individuelle Freiheit und künstlerische Autonomie. Dem entgegen stand wiederum der Versuch der KPdSU, das Publikum in Moskau noch vor Ort agitatorisch zu beeinflussen. Den abstrakten Expressionismus, der Form und Materialität des Kunstwerks betonte und sich inhaltlicher Repräsentation verweigerte, diskreditierte sie als dekadenten Ausdruck des imperialistischen Westens und seiner Eliten. Chruschtschow persönlich verhöhnte Pollocks Gemälde Cathedral, auf dem sich „nur verschiedene Kleckse und krumme Linien“ befänden, und kritisierte es als „unverständlich“. Seit 1934 hatte sich die Sowjetunion der ästhetischen Doktrin des sozialistischen Realismus verschrieben, den sie als progressive Kunst des Volkes ansah und den die Kritik im Westen umgekehrt als ästhetisch minderwertigen Kitsch verunglimpfte. Diese gegenläufigen künstlerischen Ansätze dienten als Austragungsorte ideologischer Differenzen der beiden weltpolitischen Blöcke, die sich bis in die deutsche Teilung hinein fortsetzten.
Gleich zwei Ausstellungen, denen jeweils die Sammlung von Peter und Irene Ludwig zugrunde liegt, widmen sich momentan diesem Ost-West-Systemvergleich: Während Der geteilte Picasso (der Freitag 39/2021) sich mit der unterschiedlichen Betrachtung des Künstlers in der BRD und der DDR befasst und dicht und schlüssig den Kontrast aufzeigt zwischen dem politisch engagierten Picasso, wie ihn die DDR verstand, und dem zum Genie verklärten Künstler der westdeutschen Rezeption, vergleicht The Cool and the Cold im Berliner Gropiusbau die Malerei der USA und der UdSSR aus den Jahren 1960 bis 1990 eher essayistisch und gliedert sie in eine chronologische, an globalen Ereignissen orientierten Zeitleiste ein. Welche Erkenntnisse aber lassen sich überhaupt aus solchen künstlerischen Systemvergleichen gewinnen? Inwiefern lässt sich der Dialog zwischen Kunst und Politik für ein erweitertes Verständnis der jeweiligen Bündnisse und der Bedingungen, unter denen die Menschen dort jeweils lebten, fruchtbar machen?
Auch in der Sowjetunion ist bei Weitem nicht alles Realismus, was sich als solcher ausgibt. Klischeeverdächtige Motive, von Landarbeit über Hochzeiten bis zum überstylten Glamour der Raumfahrt, werden ironisch gebrochen oder verfremdet. Dissidente gegenständliche Thematiken wie Krieg, Armut, Alkoholismus oder Trauer verschreiben sich nicht dem Narrativ des vorformulierten sozialistischen Erfolgswegs. Wladimir Jankilewskijs Atomstation von 1962 zitiert zwar im Titel den offiziellen Fortschrittsglauben und simuliert dabei die affirmative Beschäftigung mit technischen Fragestellungen, doch lösen sich die Umrisse des Gebäudes auf und zerfließen in farbige, spielerische und fast an Kinderbilder erinnernde Flächen, deren Deutung unklar bleibt.
Verblüffende Ähnlichkeiten
So einfach lässt sich die binäre Logik also nicht aufrechterhalten. Manchmal offenbart die unmittelbare Gegenüberstellung inhaltlich oder formal verwandter Bilder, etwa von Frank Stella und Wladimir Nemuchin, verblüffende Ähnlichkeiten, manches überschneidet oder verdoppelt sich sogar. Auch in den USA hält ab den 1960ern ein neuer Realismus Einzug: Die Pop-Art verarbeitet Werbegrafiken, Pressebilder und Comicstrips, die hyperrealistischen Ölgemälde von Richard Estes, der die Fassaden des Broadway als glitzerndes Spektakel in Szene setzt, überhöhen die Details städtischen Lebens. Dennoch bleiben manche Gegensätze offenkundig: Während sowjetische Gemälde immer wieder große Gruppen von Menschen unterschiedlichen Alters in Szene setzen, die gemeinsam arbeiten, singen oder auf dem großformatigen Familienfest (1966) von Galina Neledwa Wein trinken, Kuchen essen und tanzen, drehen sich US-amerikanische Freizeitsehnsüchte bei Tom Wesselmann oder Robert Bechtle immer wieder ums Auto als Inbegriff individueller Mobilität und Wohlstandsattribut der Mittelschicht. Gegenständliches bleibt seiner Zeit verhaftet, abstrakte Konfigurationen wie die Fünf Punkte (1962) von Lew Nussberg dagegen haben auch den Kalten Krieg schadlos überstanden.
Info
The Cool and the Cold Gropius Bau, Berlin, bis 9. Januar 2022
Der geteilte Picasso Museum Ludwig, Köln, bis 30. Januar 2022
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