Alles ruhig für eine Million Jahre

Finden Von nun an soll der Atommüll streng wissenschaftlich und demokratisch versenkt werden. Ehrlich jetzt?

Wenn Bundesumweltminister Peter Altmaier etwas anpackt, will er erstens mit allen reden und zweitens die Sache gütlich und schnell erledigen. Ob diese Strategie aufgeht, erscheint bei der Suche nach einem Lager für hochradioaktiven Müll zumindest zweifelhaft. Denn auch der neue Umweltminister muss die alte, hochbrisante Frage beantworten: Kann das 1977 mehr oder weniger freihändig ausgewählte Gorleben in Ostniedersachsen Ort des deutschen Endlagers sein?

Bevor man sich auf das verminte Gelände dieses jahrzehntelangen Streits begibt, sollte man einen Schritt zurücktreten. Wie müsste ein Auswahlverfahren aussehen, mit dem eine Bundesregierung hoffen darf, zwei grundlegende Ziele zu erreichen: Sicherheit einer atomaren Lagerstätte und gesellschaftlichen Frieden?

Zunächst die Technik: Ein wissenschaftlich optimales, möglichst objektives Auswahlverfahren müsste dazu führen, den tatsächlichen besten Standort in Deutschland zu finden. Dass ein solches Prozedere im Falle Gorlebens nicht stattgefunden hat, ist inzwischen bekannt. Die politische Entscheidung dominierte die wissenschaftliche Überprüfung.

Selbst wenn die Bundesregierung diesen Fehler bei der Ausarbeitung ihres geplanten Gesetzes für die Endlagersuche nicht mehr machte, ist freilich eine Einschränkung eingebracht. Da politischer Konsens besteht, dass man den Müll nicht exportieren will, kann es nur um ein relativ sicheres Lager gehen. Denn die geografische Beschränkung der Suche auf Deutschland führt wahrscheinlich zu Abstrichen bei der Eignung der Anlage. Das weltbeste Lager wird man in Deutschland wohl nicht finden.

Ernsthaftigkeit gefordert

Zweitens die Akzeptanz: Wer die bitteren Auseinandersetzungen und Straßenschlachten der vergangenen drei Jahrzehnte nicht wiederholen will, muss die Bundesbürger so in das Verfahren einbeziehen, dass sie gehört werden, ihre Interessen eine Rolle spielen und ihre Mitwirkung nicht folgenlos bleibt. Nur ein ernsthafter Prozess der Bürgerbeteiligung kann schließlich zu gewisser Akzeptanz führen.

Diese grundsätzlichen Schritte hat vor zehn Jahren bereits der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) skizziert, ein vom damaligen grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin eingesetztes Wissenschaftler-Gremium. Die 18 Experten schlugen unter anderem vor, möglichst mehrere Orte in Deutschland darauf zu prüfen, ob abgebrannte Brennelemente unter der Erde für eine Million Jahre sicher gelagert werden könnten, ohne sie wieder an die Oberfläche zu holen.

„Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung müssen ernst genommen werden“, hieß es außerdem im AK-End-Abschlussbericht vom Dezember 2002. Die Wissenschaftler empfahlen ein mehrstufiges, plausibles und transparentes Beteiligungsverfahren, um den Bürgern schon vor der eigentlichen Erkundung an einzelnen Standorten eine Mitwirkung beispielsweise bei den Kriterien der Suche zu ermöglichen. Allerdings blieb der AK End damals folgenlos. Ein Grund: Die Atomkonzerne, die die Endlagersuche finanzierten, hatten kein Interesse, weitere Milliarden für die zusätzliche Exploration auszugeben. Bis heute hat alleine Gorleben rund 1,6 Milliarden Euro gekostet.

Bei seinem neuen Anlauf stützt sich Umweltminister Altmaier nun auf einen Gesetzentwurf seines Vorgängers Norbert Röttgen, der wiederum in großen Teilen auf den Vorarbeiten des AK End basiert. Als Grundsätze nennt das Umweltministerium in seinem Entwurf unter anderem: „Vorrang der Sicherheit in einem wissenschaftsbasierten Verfahren“ sowie einen „transparenten und fairen“ Auswahlprozess.

Dieser vielversprechende Ansatz beruht nicht nur auf deutschen Erfahrungen, sondern auch auf einem Planungsprozess, der in der Schweiz abläuft. Dort ist eine Endlagersuche im Gange, bei der mehrere mögliche unterirdische Lagerstätten begutachtet und gegeneinander abgewogen werden. Die Bevölkerung hat Gelegenheit zur Mitsprache. In etwa zehn Jahren soll eine Volksabstimmung über die endgültigen Standorte stattfinden. Doch obwohl das Schweizer Verfahren vorbildlich aussieht, geht es auch dort nicht ohne Kritik ab. So hat kürzlich der Atomexperte Marcos Buser seine Mitarbeit eingestellt, weil seiner Ansicht nach das Verfahren durch die Interessen der Industrie bestimmt ist.

Ungeschickt formuliert

In Deutschland liegt die Sache noch komplizierter. Gleich am Anfang des Gesetzesverfahrens hat das Umweltministerium einen folgenschweren Fehler gemacht. Verräterisch heißt es im Text, „zusätzlich zum Salzstock Gorleben“ würden „gegebenenfalls“ weitere Standorte in das Auswahlverfahren einbezogen. Diese Formulierung steht im Entwurf zwar in eckigen Klammern und wird damit als verhandelbar gekennzeichnet. Doch nun ist sie in der Welt. Der Effekt: Die Regierung hat sich dem Verdacht ausgesetzt, mit ihrem neuen, angeblich auf Konsens ausgelegten Verfahren doch wieder nur das alte Ziel zu verfolgen, Gorleben gegen alle Widerstände durchzusetzen.

So lautet die Frage nun: Kann es überhaupt ein befriedendes Auswahlverfahren geben, wenn das Wendland im Rennen bleibt? Nicht nur die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, sondern auch Greenpeace und manche Grüne in Niedersachsen verlangen, dass Gorleben weder in die Suche einbezogen noch jemals zum Endlager ausgebaut wird. Die logische Konsequenz ist die Forderung nach dem sofortigen und endgültigen Abbruch aller Erkundungsarbeiten im östlichen Niedersachsen.

Greenpeace-Mitarbeiter Tobias Riedl begründet diese Position so: „Mit Gorleben gibt es kein ergebnisoffenes Suchverfahren.“ Wenn der Salzstock ein möglicher Standort bleibe, befürchtet Riedl, werde die Wahl schließlich doch wieder auf Gorleben fallen – trotz der Gefahr von Wassereinbrüchen und anderer Risiken am möglichen Atomlager.

Diese Bedenken teilt zwar auch ein prominenter Gorleben-Kritiker wie Grünen-Frakionschef Trittin. Er lehnt es aber – zusammen mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und SPD-Chef Sigmar Gabriel – ab, das Wendland ganz von der Liste zu streichen. Dahinter mag folgendes Kalkül stehen: Wer Gorleben rausnimmt, kann die Bayern und Baden-Württemberger nicht überzeugen, eigene Standorte untersuchen zu lassen. Ohne Gorleben gäbe es keine Alternativen, das Verfahren wäre wieder einmal blockiert. Und das wollen Altmaier, Trittin und Gabriel verhindern.

Konsens gibt es nie

Der Weg, dieser Blockade auszuweichen, hat allerdings seinen Preis. Solange Gorleben im Verfahren bleibt, und falls sich der Ort schließlich vielleicht sogar als der relativ sicherste Platz für die Lagerung abgebrannter Brennelemente erweisen sollte, wird es keinen gesellschaftlichen Frieden und keine Rechtssicherheit geben. Die Gegner werden weiter die Glaubwürdigkeit des Auswahlverfahrens in Zweifel ziehen. Straßenblockaden und Polizeieinsätze werden uns weiter beschäftigen. Ein juristischer Prozess folgt dem anderen. Wenn Gorleben jedoch in einem fundierten und transparenten Suchverfahren zugunsten eines anderen Standortes ausschiede, wäre die Lage eine andere. Dann könnten sich die Vorteile einer nachvollziehbaren Kriteriensuche und einer fairen Bürgerbeteiligung entfalten. Nach einem offenen Verfahren würden vermutlich mehr Bürger letztlich die Entscheidung akzeptieren.

Aber gesellschaftlicher Frieden? Dieser Hoffnung sollte man sich nicht hingeben. Das beste Bürgerbeteiligungsverfahren und die plausibelste wissenschaftliche Auswahl können nicht darüber hinwegtäuschen, welche grundsätzliche Gefahr von dem neuen Atomendlager ausginge. Tausende Tonnen hochradioaktiven Mülls ein paar hundert Meter unter der Erdoberfläche? Angeblich sicher verpackt für eine Million Jahre? Ein paar Kilometer vom nächsten Dorf und der benachbarten Stadt entfernt? Welche Gemeinde soll das mitmachen, welcher Vater dabei ruhig schlafen? Mit dem Atommüll bleibt eine Last, die noch sehr lange spalten wird.

Hannes Koch ist Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

Die weiteren Beiträge des Wochenthemas zur Endlager-Suche:

Essay: Gorleben wird leben

Zeitleiste: Der lange Weg zum deutschen Endlager

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden