Diese Technik ist tot

Nachhutgefechte Der Streit um Laufzeitverlängerungen täuscht darüber hinweg, dass das Atomzeitalter unweigerlich zu Ende geht

Stellen wir uns vor, die Autoindustrie kämpfte darum, ihre alten Golfs, Mondeos und Astras statt 16 Jahren 20 Jahre fahren lassen zu dürfen. Zusätzlich hätte sie sich verpflichtet, keine Nachfolgemodelle zu entwickeln. Niemand würde daraus schließen, dass das Automobil eine zukunftsträchtige Technologie darstellt.

Eine Technologie aber, die nicht durch neue Anlagen modernisiert wird, ist tot. In der hitzigen Debatte um die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke droht dies in Vergessenheit zu geraten. Die Atomkonzerne möchten ihre alten Kraftwerke länger laufen lassen. Sie bemühen sich hierzulande aber nicht darum, neue zu bauen. Der Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP schließt den Bau neuer AKW ebenfalls aus. Auch die Rede von der „Renaissance der Kernenergie“ in China, Russland und anderen Staaten geht in die Irre: Manche Anlagen werden geplant, aber wenige tatsächlich gebaut. Und von Letzteren profitiert die deutsche Industrie kaum.

Der Streit darum, wer wie viel von den aus einer Laufzeitverlängerung ersprießenden Gewinnen abschöpft, ändert nichts daran: Der Ausstieg aus der Atomkraft ist seit zehn Jahren beschlossene Sache. Was jetzt stattfindet, sind Nachhutgefechte. ­E.­ON, RWE, Vattenfall und EnBW versuchen, das Ende hinauszuschieben und so einige Milliarden mehr zu verdienen. Dass ihnen das gelingen könnte, ist ärgerlich, ändert aber im Grundsatz nichts an der Lage.


Die sieht in einem Kabinettsbeschluss der schwarz-gelben Bundesregierung so aus: Die heutige Entwicklung fortgesetzt, wird der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen – unter anderem Wind, Sonne und Biomasse – 2020 in Deutschland fast 40 Prozent betragen. Das ist doppelt so viel Energie, wie die Atomkraftwerke derzeit produzieren. Selbst beim Festhalten am Ausstiegstermin um 2022 würde also keine Stromlücke entstehen. Im Gegenteil: Atomstrom ist überflüssig und wird durch saubere Elektrizität problemlos ersetzt. Nach 2020 geht es mit wahrscheinlich höherem Tempo weiter.

Die Bundesregierung hat damit erneut anerkannt, dass die große Frage längst entschieden ist: Wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus? Sie wird im wesentlichen auf Öko-Energie beruhen. Das ist die schlichte Wahrheit. Atom, Kohle und Erdöl werden ersetzt. Ihnen kommen nur noch unterschiedlich lange Gnadenfristen zu.

Der Verzicht der Konzerne auf Neubau hat einen wesentlichen Grund. Neue Atomkraftwerke sind im Gegensatz zu den bestehenden kaum noch so zu errichten, dass sie für die Betreiber einen Gewinn abwerfen. Das liegt unter anderem an den gigantischen Nebenkosten, die nicht mehr zu verdrängen sind. Zum Beispiel die ungelöste Endlagerung droht die Einkünfte der atomaren Stromherstellung aufzufressen. Während die Kosten der Atomkraft steigen, verläuft die Entwicklung bei den sauberen Energien andersherum. Diese Energiequellen werden lukrativer statt teurer – für Wirtschaftsunternehmen ein ziemlich starkes Argument.

Zur Zeit bewegt sich in der Bewegung nicht viel

Trotzdem ist die aktuelle Debatte von Bedeutung. Sie wird die Energiewende zwar nicht verhindern, könnte sie aber wohl verlangsamen. Denn wenn die AKW länger laufen und es deshalb mehr Atomstrom gibt, sinkt der Druck, die regenerativen Quellen schnell auszubauen. Hinzu kommt der missliche Umstand, dass die vier Konzerne mit ihrer innovationsfeindlichen Obstruktionstaktik viele zusätzliche Milliarden Euro verdienen werden.

Wie könnte der Kompromiss aussehen, um den Regierung und Konzerne augenblicklich streiten? Die Laufzeit pro Kraftwerk würde um durchschnittlich zehn Jahre verlängert. Wenn die Restlaufzeit von alten auf neue Anlagen umverteilt werden könnte, dürften uns die letzten tätigen AKW noch etwa bis zum Jahr 2040 begleiten. Dafür müssten die Konzerne jährlich 2,3 Milliarden Euro in Form der neuen Brennelementesteuer oder einer vertraglich vereinbarten Abgabe zahlen. Vermutlich kommt noch ein Betrag hinzu, den die Unternehmen in den Ausbau der erneuerbaren Energien investieren.

Es sieht nicht so aus, als wenn die in die Jahre gekommene Anti-Atom-Bewegung dieses Geschäft verhindern könnte. Ernsthafte, massenhafte Gegenwehr gab es in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in Lüchow-Dannenberg, weil dort die Atomtransporte, das Zwischenlager und das geplante Endlager Gorleben als Kristallisationspunkte taugten. Um bundesweite Wirkung zu erzielen, ist das zu wenig. Die Menschenkette zwischen den norddeutschen Kraftwerken Brunsbüttel und Krümmel im April war zwar ein Erfolg. Aber zur Zeit bewegt sich in der Bewegung nicht viel. Die Initiativen stehen vor einem Dilemma: Es wird nichts Neues gebaut, die Kraftwerke laufen einfach ein bisschen weiter. Da scheint die Mobilisierung schwierig zu sein.

Auch ist es unser Glück, aber ein Problem für die Protestbewegung, dass seit Tschernobyl 1986 alles halbwegs glatt läuft in den Kraftwerken – von kleineren Pannen wie im Vattenfall-AKW Krümmel abgesehen. Wegen der relativen Unfallfreiheit gerät allmählich aus dem Blickfeld, dass Atomkraft eine Hochrisikotechnologie ist. Man kann ihr vielleicht einen positiven Beitrag zum Klimaschutz attestieren – wenn sie nicht hunderttausende Menschen verstrahlt.

Hannes Koch ist Wirtschaftsjournalist in Berlin

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