Deep End - Die Swinging Sixties sind vorbei

Filmkritik|filmPOLSKA Der beeindruckende Farbfilm des Altmeisters Jerzy Skolimowski zeigt ein abseitiges London der Siebzigerjahre.

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Während der Eröffnungsveranstaltung der Jerzy Skolimowski-Retrospektive am Donnerstag sprach ein Zuschauer den Ehrengast direkt an. Der Film Deep End habe ihn über viele Jahre begleitet und so nachhaltig geprägt, dass er sich einfach persönlich bedanken müsse. Skolimowski quittierte das überschwängliche Lob mit einem höflichen Lächeln und äußerte die Hoffnung, dass es anderen auch so gehe.

Am gestrigen Samstag ging es vielen so: Der Film lief in der Reihe zu Ehren des polnischen Regisseurs im angenehm gefüllten Saal des Zeughauskinos. Seit seinem dürftigen Kinostart vor 45 Jahren, entwickelte sich Deep End im Laufe der Siebzigerjahre durch persönliche Empfehlungen und mithilfe engagierter KinomacherInnen zu einem Klassiker der Mitternachtsvorstellungen. Abseits ernsthafter Kassenzwänge gab es den nötigen Raum für solch morbide Schönheit und absurden Witz.

Anhand des 15-jährigen Mike, der nach seinem Schulabschluss in einen Job bei der örtlichen Badeanstalt stolpert, zeichnet Skolimowski ein gebrochenes Bild des Swinging London der 60er. Der Beginn einer neuen Dekade eröffnet den Blick auf eine übersexualisierte und durchtriebene Gesellschaft. So wird Mike gleich an seinem ersten Tag in der Badeanstalt von einer wasserstoffblonden Dame heftig bedrängt. Nachdem sie zum Orgasmus gekommen ist, schickt sie den verängstigten Jugendlichen mit den Worten “You’re no use for me now” vor die Tür. Über die zehn Pfund Trinkgeld kann sich Mike nicht recht freuen.

Lediglich seine Mitarbeiterin Susan strahlt zunächst ein positives Bild von körperlicher Liebe aus. Sie umgarnt Mike und verbindet jugendlichen Leichtsinn mit selbstbewusster Sexualität. Jedoch muss er sich sowohl gegen ihren Verlobten als auch seinen alten Sportlehrer durchsetzen. Letzterer pflegt seit Jahren eine Affäre zur deutlich jüngeren Susan. Als Mike sie zusammen in der Umkleide sieht, weiß er sich nur noch mit dem Feueralarm zu helfen.

Auch jenseits der Badeanstalt ist Skolimowskis London ebenso durchtrieben. Eine Prostituierte mit Gipsbein, die ihr Zimmer mit allerhand Seilen und Flaschenzügen fernsteuert, hat es auf Mikes ersten Lohn abgesehen. Im Kino läuft ein absurder Aufklärungsfilm für Erwachsene, den Mike sich mit johlenden Männern anschaut, obwohl er eigentlich nur Augen für Susan in der Reihe vor ihm hat.

Die deutschen Krautrocker Can untermalen diesen abseitigen Strudel mit ausufernden Flächen, die Cat Stevens‘ Titellied, das von jugendlicher Unbedarftheit erzählt, schnell vergessen machen. Deep End ist Skolimowskis zweiter Farbfilm und nutzt gerade die Psychologie der Farben sehr bewusst. Während sich Mike immer tiefer in sexuelle Fantasien und realen Schund verwickelt, überstreicht ein alter Mann das abblätternde Grün des Schwimmbads mit grellem Rot. Es ist dasselbe Rot, das Mike aus Susans Ausschnitt blitzen sieht. Und ebenso ist es das rote Blut, das schließlich das Becken füllt und dem abseitigen Strudel ein drastisches Ende setzt.

Ursprünglich hier erschienen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 3. deutsch-polnischen Programms für junge Filmkritiker/innen und –journalist/innen der 11. Ausgabe von filmPOLSKA

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