Le Départ - Radikale Filmkunst mit Pop-Appeal

Filmkritik|filmPOLSKA Zur Eröffnung der Retrospektive zu Jerzy Skolimowski zeigte das Zeughauskino den vierten Film des Regisseurs, Le Départ von 1967

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Der polnische Filmregisseur und Schauspieler Jerzy Skolimowski
Der polnische Filmregisseur und Schauspieler Jerzy Skolimowski

Foto: TIZIANA FABI/AFP/Getty Images

Am Donnerstag startete im Zeughauskino die große Retrospektive des Gesamtwerks Jerzy Skolimowskis. Der Regisseur sei nach wie vor eine Kraftquelle für das polnische Kino, so Jörg Frieß in seinem Grußwort zu Beginn des Abends. Damit nimmt der Leiter des geschichtsbewussten Kinos Bezug auf Skolimowskis neuen Film 11 Minutes, der die elfte Ausgabe des filmPOLSKA-Festivals am Mittwoch eröffnete.

Wie passend diese Metapher der Kraftquelle tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die 13 verschiedenen Skolimowski-Filme, die das Zeughauskino im Rahmen von filmPOLSKA bis Mitte Mai zeigt. Bis in die frühen Sechzigerjahre reicht Skolimowskis Œuvre zurück, als er Drehbücher für Andrzej Wajda und Roman Polanski verfasst. Noch vor seinem ersten Regiestück schreibt sich der damals 22-jährige tief in die polnische Filmgeschichte ein.

Der wortwörtliche Start der Retrospektive, Le Départ von 1967, ist Skolimowskis vierter Film als Regisseur. Wie der Altmeister selbst auf dem Podium erklärt, wurde er nach ersten Erfolgen in Polen vom Herausgeber eines belgischen Automagazins finanziert. Skolimowski nähert sich dessen Liebe für schnelle Rennwagen im Film auf eine ganz spezielle Weise: filmisch. So paart sein Film schmeichelnde Zentralperspektiven auf 911er Porsche und Ford Mustang mit einer radikalen Montage, die die Geschwindigkeit dieser Autos erfahrbar macht.

In Jump-Cuts folgen Seitenspiegel im Detail, aufflackernde Lichter des nächtlichen Brüssels, quietschende Reifen, spritzender Straßendreck aufeinander. Und am Lenkrad dieser wilden Fahrt: Jean-Pierre Léaud als manischer Hedonist. Zu dieser Zeit bereits als Nouvelle Vague-Liebling bei Truffaut und Godard bekannt geworden, spielt er hier einen den kleinkriminellen Frisör und Autofreak Marc. Obwohl er Mädchen wie teuren Autos chancenlos hinterherjagt, prägt ihn eine aufbrausende Egomanie. Mit jeder Wand, gegen die er rennt, holt er weiter Anlauf.

Erst als die junge und wesentlich reifere Michèle ihm nach langem, hahnenhaften Getue tatsächlich Nähe signalisiert, bricht Marc zusammen. Sein Geschwindigkeitswahn und die teuren Autos, die kriminellen Spielchen und auch sein adoleszentes Umwerben erscheinen sich ihm plötzlich als pure Oberfläche, mit der er tatsächlich kollidiert und sich so schnell nicht erholt.

Skolimowski spielt dazu permanent mit der oberflächlichen Haltung des Films selbst. Während einer Autoshow laufen minutenlang Bikinimodels zu laszivem Jazz auf die Kamera zu. Die Models verwandeln sich in reine Körperlichkeit, werden zu stumpfen Physiognomien im Detail der Einstellung. Parallel dazu zeigen sich die entrüsteten Gesichter älterer Damen im Publikum, von dauergewelltem Haar gesäumt. Skolimowski karikiert Werbekultur und Spießigkeit gleichermaßen. Oder er verbindet sie in den vielen perfekten Automobilfamilien, die von allgegenwärtigen Werbeplakaten auf die Straße lächeln.

Mit seinen vielen Extremen entwickelt sich Marc als personifizierter Kommentar auf die dargestellte Welt. Sein geklauter Porsche soll Michèle beeindrucken, wie es ihm die Welt des Konsums beigebracht hat. Das Objekt seiner Begierde weist ihn aber mal spielerisch, mal kühl ab. Im Hintergrund dieser Szene: eine belgische Dreikinderfamilie auf glücklicher Ausflugsfahrt. Marc ist, das legt nicht nur die beeindruckende Parallelmontage dieser Szene nahe, in der unauflösbaren Paradoxie von Hedonismus und Spießigkeit der Werbekultur gefangen.

Erst zum Ende hin zeigt ihm Skolimowski, der zusammen mit Andrzej Kostenko das Drehbuch verfasste, einen Ausweg aus der widersprüchlichen Lage: die eigene Schüchternheit. Das Autorennen ist nicht mehr wichtig und Michèle, die er endlich ins Bett gekriegt hat, bekommt lediglich einen zärtlichen Kuss auf die Hand.

Aus einer beeindruckend rasanten Inszenierung von Autos und Lifestyle – nicht zu Unrecht bleibt später der Begriff Swinging Sixties hängen – entwickelt sich Le Départ zu einer Parabel über Konsumkultur, die schließlich die Zärtlichkeit des Privaten zelebriert. Dabei verliert Skolimowski jedoch nie den begeisterten Blick für die durchaus attraktive Welt der Geschwindigkeit und der Schönheiten in Bikinis, die auf absurde Art und Weise Autos bewerben. Aber er bewahrt sich in seinem ersten Film außerhalb Polens auch den weitsichtigen, ungehetzten Blick osteuropäischer Prägung, der sich nicht allzu sehr von kurzlebigem Konsum blenden lässt.

Den Abend der Eröffnung beschließt ein eher schmuckloses Q&A mit dem Regisseur. Hinter dunkler Brille erläutert er knapp, aber nicht unfreundlich, einige Details bezüglich des Films. Beispielsweise habe er immer noch nicht seinen Goldenen Bären bekommen, den Le Départ 1967 in West-Berlin gewonnen hat. Und auch die sozialistische Presse zeigte sich damals positiv gestimmt ob der kritischen Anklänge des Films. Dass Skolimowski bereits damals beide Pole mit einem bahnbrechenden Film verband und auch ein westliches Filmfestival für sein Werk begeistern konnte, nahm sie ihm aber übel.

Ursprünglich hier erschienen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 3. deutsch-polnischen Programms für junge Filmkritiker/innen und –journalist/innen der 11. Ausgabe von filmPOLSKA

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