Die politische Klasse Frankreichs ist sich einig: Der Brandanschlag gegen das Satire-Magazin Charlie Hebdo, dessen Redaktionsräume in der Nacht zu Mittwoch durch einen Molotow-Cocktail zerstört wurden, sind als Angriff auf die Pressefreiheit zu werten. Premierminister François Fillon (UMP) sagte, die Freiheit der Presse sei ein Grundwert der Demokratie, daher müsse „jeder Angriff auf die Pressefreiheit mit größter Entschiedenheit verurteilt werden.“. Auch Innenminister Claude Guéant verurteilte den Anschlag und rief alle Franzosen dazu auf, sich mit dem Magazin solidarisch zu erklären. Der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, François Hollande, zeigt sich ebenfalls solidarisch mit dem Blatt und seinem Team.
Hintergrund dieser Solidaritätsbekundungen ist die Vermutung, dass der Anschlag von radikalen Islamisten verübt worden sein könnte. Innenminister Guéant sagte, ein islamistischer Hintergrund der Tat könne zumindest nicht ausgeschlossen werden. Es wird nach zwei Unbekannten gefahndet, die ein Augenzeuge bei der Flucht beobachtet hat.
Die Redaktion von Charlie Hebdo ist sich offenbar sicher, dass sie von Islamisten angegriffen wurden: Immerhin hatte das Blatt schon 2006 wegen des Nachdrucks der berüchtigten Mohammed-Karikaturen Drohungen erhalten, auch jetzt gingen nach Aussagen des Chefredakteurs Charb religiös-fundamentalistische Hassmails in der Redaktion ein. Auch die Website des Magazins wurde in der Nacht zu Mittwoch gehackt und mit Fotos von Mekka und dem Schriftzug „No God but Allah“ versehen. Noch ist ein islamistischer Hintergrund natürlich nicht bewiesen – alle Anzeichen scheinen aber bisher darauf hinzuweisen, dass nach den Attacken auf Mitarbeiter der dänischen Jyllands-Posten hier ebenfalls ein islamistischer Angriff auf Presseorgane zu verzeichnen ist.
Gab’s sonst noch Reaktionen auf die Angriffe gegen Charlie Hebdo? In den Kommentarspalten von Politically Incorrect wird mal wieder fleißig gegen „Musels“ gehetzt, die französischen Rechtsextremisten des Front National versprechen, dass Marine LePen die Franzosen vor Terrorismus schützen könne. So langweilig, so erwartbar. Spannender ist die Reaktion von Mohammed Moussaoui, seines Zeichens Präsident des „Französischen Rates der islamischen Religion“ (Conseil français du culte musulman, CFCM), eines islamischen Dachverbandes. Er verurteilte den Anschlag deutlich, machte aber auch klar, dass eine Karikatur des Propheten Mohammeds „von Muslimen als Beleidigung aufgefasst“ werde. Damit ist eine alte Debatte wieder auf auf dem Tablett, die auch nach den Mohammed-Karikaturen geführt wurde: Hat Satire das Recht oder vielleicht sogar die Pflicht, sich über Religionen lustig zu machen?
Kleines Update:
Auf der Facebook-Seite von Charlie Hebdo stehen zum Anschlag mittlerweile knapp 15.000 Kommentare – von Solidaritätsadressen bis Gewaltandrohungen in allen möglichen Sprachen ist da fast alles dabei. Wer zu viel Zeit hat und des Französischen mächtig ist, kann hier mehr erfahren.
Die Mitarbeiter des Satire-Magazins sind mittlerweile in die Redaktionsräume der Tageszeitung Libération gezogen.
Kommentare 6
Aus meiner gestrigen Kurznotiz:
"In seiner Transgression ist Charlie Hebdo unparteiisch. Erst im Dezember 2010 wurden die Redakteure in einem Prozess wegen Verleumdung freigesprochen, den eine der rechtsextremen Szene zuzurechnenden Gruppe angezettelt hatte. Gegenstand des Streites war eine Ausgabe mit dem Titel „Sonderausgabe Papst“.
Stéphane „Charb“ Charbonnier erklärt gegenüber AFP: „In 19 Jahren Charlie Hebdo hat es 13 Prozesse mit der extremen Rechten gegeben und einen mit den Muslimen. Und trotzdem finden wir uns in der Lage wieder, dass man hundert Mal mehr über Zeichnungen spricht, die die Muslime betreffen als über die zu Katholiken, Juden, Buddhisten oder anderen Religionen.“
dieausrufer.wordpress.com/nachbarn/201111-2/
Ehe ich es vergesse: Herzlich willkommen, Hanning Voigts!
Diese Zeitschrift kenne ich leider nicht. Der im Text geäußerte Erstverdacht ist natürlich naheliegend bzw. nicht absurd. Wenn ich lese, wer alles schon die Redaktion mit Prozessklagen überzogen hat, und an Norwegen denkend, möchte ich aber doch sagen: erstmal gesicherte Ermittlungsergebnisse abwarten.
@ed2murrow
@j-ap
herzlichen dank! an den ton hier werde ich mich noch gewöhnen müssen. aber solange inhaltlich was passiert, soll es ruhig knallen...
Normalste Sache der Welt: Der Pulverdampf hat sich noch nicht verzogen, und schon geht es los mit den jeweiligen Nützlichkeits- und Opportunitätserwägungen. Ad eins: Obwohl rein alles danach aussieht, dass der Anschlag das war, wonach er eben aussieht, wird – je nach politischer Opportunität – islamistische Urheberschaft entweder mit den üblichen MItteln (Ohrenwackeln, Relativieren, Vergleichen) in Frage gestellt oder aber schon mal präventiv nach Kräften gebrandmarkt nach dem Motto »Diesmal ist der Rubicon überschritten.« Einerseits ist mit dem üblichen Peinlichkeitsfaktor zu rechnen, wenn sich die entsprechenden politischen Lager & Protagonisten etwas eindeutiger und kleinteiliger zu dem Ereignis positionieren. Andererseits kann es diesmal richtig spannend werden. Die gröbsten Fragen hier schon mal zeitnah gestellt:
Charlie Hebdo & Pegida. Im linkskritischen, deutschen Anti-Pegida-Milieu ist CH bislang nicht gerade blendend weggekommen – eher so wie eine Light-Variante von PI. Auch der Freitag berichtete in der Vergangenheit eher kritisch über das französische Post-68er-Satiremagazin und seine strikt antireligiösen Positionen. Persönlich prognostiziert dürfte die Solidaritätsdichte auf dem rechts-mittigen Spektrum am größten ausfallen, während es nach links hin langsam zu der Position »Selber schuld. Wenn die so einen Sch**** bringen.« ausdiffundiert. Folglich dürften – Szenario eins – die Pegida-Demonstrationen von dem Terroranschlag am meisten profitieren, gefolgt von AfD & Co., für die der (angeblich) drohende Untergang des Abendlandes quasi das Heimspiel ist.
Charlie Hebdo & die Web-2.0-Antifa. Da die Attacke von Paris die bislang schwerste gegen die Meinungs- und Pressefreiheit in Europa ist, dürfte sich jedoch auch das bürgergesellschaftlich-linke Spektrum zu besonderer Solidarität herausgefordert fühlen. Charlie Hebdo als Anlass zu einem neuen »Aufstand der Anständigen«? Einerseits liegen in dem Bild zwar einige Koordinaten schief. Andererseits – nach dem Motto: »machistische Kampfautomaten in der Ukraine, und nun auch hier« – lässt sich ein potenzieller »Aufschrei« gegen die Attacke derart prima mit den Kernanliegen der westlichen Welt in Einklang bringen, dass zumindest mir persönlich nicht klar ist, welches Lager von dem Anschlag mehr »profitiert«. Zumal auch publikative.org vor Weihnachten die These aufgestellt hat, dass die Stoßrichtung von Pegida keinesfalls antiislamistisch ist, sondern vielmehr durch grundlegenden deutschen Antisemitismus grundiert. Möglichkeit zwei so: Die Empörung über den Anschlag kommt nicht den rechten, sondern den linken Kräften zugute.
Meine persönliche Prognose ist, Sorry vielmals, weitaus pessimistischer. Die im Bermuda-Dreieck Solidarität mit Israel / Solidarität mit »den Muslimen« / Solidarität mit Putin und Solidarität mit dem Westen zerfaserte und sich jeweils zweckinkrementell positionierende Linke wird durch den neuerlichen Anschlag noch zerfaserter, noch zerstrittener und noch interventionsunfähiger. Sowohl auf der Seite der Bürgerrechte + Meinungsfreiheit als auch auf der notwendiger Anti-Kriegs-Interventionen sowie der gegen rassistische Bestrebungen.
Fazit: Ihr könnt gern »betroffen« sein (und diese Betroffenheit lang, breit und wortgewandt zum Ausdruck bringen). Ich bin nicht betroffen. Ich für meinen Teil bin – langsam richtig – besorgt.
Sh… ittt; definitiv Kommentar unter falschen Beitrag platziert. Andererseits ist der Artikel derart aktuell, dass er ohne jegliche Abänderung den Terroranschlag vom Januar 2015 zum Thema haben könnte.