Hamburg, deine Bauwagen

Räumung Der Bezirk Hamburg-Mitte will unbedingt eine kleine Wagenburg loswerden. Das könnte sogar für die Regierung der Hansestadt heikel werden

Dieser Tage braut sich in Hamburg etwas zusammen. Markus Schreiber (SPD), Amtsleiter im Bezirk Mitte, will um jeden Preis den Wagenplatz „Zomia“ im Stadtteil Wilhelmsburg räumen lassen. „Wir ziehen diese Sache jetzt durch“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. „Wenn nichts Unvorhersehbares geschieht, dann ist der Bauwagenplatz Ende November Geschichte.“ Doch die 15 Bewohner des Platzes wollen bleiben. Als letztes Rechtsmittel haben sie eine Petition bei der Hamburgischen Bürgerschaft eingereicht, über die am Montagnachmittag entschieden werden sollte. Für den Fall einer Räumung haben schon zahlreiche Unterstützer zu Demonstrationen aufgerufen – es könnte einen heißen Protestwinter geben.

Bauwagenplätze sind in Hamburg ein heikles Thema. Nach der Räumung des Platzes „Bambule“ im November 2002 gab es monatelange Auseinandersetzungen. Schon damals war Schreiber der zuständige Bezirkschef. Die Initiative zur Räumung der „Bambule“ kam vom damaligen Innensenator Ronald Schill, dessen erklärtes Ziel es war, alle Wagenplätze der Stadt aufzulösen. Schills rechtspopulistische „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ hatte bei den Bürgerschaftswahlen ein Jahr zuvor 19,4 Prozent der Stimmen erhalten und mit der CDU unter Ole von Beust die jahrzehntelange SPD-Vorherrschaft beendet. Das Vorgehen gegen „Bambule“, aber auch gegen soziale Einrichtungen und Projekte der Drogenhilfe machte Schill für viele Hamburger zum Hassobjekt. Im Sommer 2003 zerbrach seine Koalition mit der CDU.


Als die Gruppe Zomia im November 2010 eine Industriebrache in Wilhelmsburg besetzte, stand das Wort „Bambule“ daher von Anfang an im Raum. Die 15 Bewohner – teils Studierende, teils Menschen, die ihr Leben im Bauwagen gestalten wollen – wurden im Rahmen einer Notlösung für den Winter bis April geduldet. Seitdem gibt es ein zähes juristisches Tauziehen. Zuletzt scheiterten die Bauwagenbewohner mit einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht. Rein juristisch gesehen kann also geräumt werden. Schreiber, der dem rechten Flügel der Hamburger SPD zuzuordnen ist und sich selbst gerne als „Bezirks-Sherriff“ inszeniert, hatte von Anfang an klargemacht, dass er keinen Wagenplatz akzeptieren werde. Er beruft sich auf das Hamburger Wohnwagengesetz, das dauerhaftes Wohnen im Bauwagen untersagt. Die Bezirke können derartige Plätze allerdings durchaus dulden – in Altona wurden gerade die Verträge für zwei andere Wagenplätze um jeweils fünf Jahre verlängert.

Für die Gruppe Zomia steht daher fest, dass Amtsleiter Schreiber ihren Platz aus politischer Überzeugung räumen will. In der Tat steht der SPD-Politiker schon lange für eine rigide Ordnungspolitik: Im September hatte er eine Brücke in der Nähe des Hafens mit einem Stahlzaun absperren lassen, um Obdachlose dort am Übernachten zu hindern. Die öffentliche Empörung war groß, es gab Proteste und Demonstrationen. Als selbst aus der eigenen Partei Kritik kam, musste Schreiber einlenken und den Zaun nach nur neun Tagen wieder abbauen lassen. Nun sieht Schreiber im Falle Zomia eine neue Gelegenheit, sich durchzusetzen. Mit seinen allein regierenden Parteigenossen im aktuellen Senat könnte er sowieso noch eine Rechnung offen haben: Er hatte vor der Wahl im Februar mehrfach öffentlich erklärt, dass er sich das Amt des Bausenators zutraue. Als Bürgermeister Olaf Scholz sein Kabinett zusammenstellte, wurde Schreiber allerdings nicht berücksichtigt.

Gefühlte innere Sicherheit

Somit könnten die nächsten Tagen und Wochen auch zeigen, wie der SPD-Senat mit den politischen Hardlinern in der eigenen Partei umgeht. SPD-Rechte wie Schreiber und der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs fürchten schon jetzt, bei der nächsten Wahl wieder Probleme mit dem Thema „innere Sicherheit“ zu bekommen. „Wir haben zwei tiefe Prägungen“, sagte Kahrs der Welt über sich und Markus Schreiber. „Der Konflikt um die Hafenstraße, den wir als Jusos erlebten, und die Abwahl von 2001. Beide hatten mit dem Gefühl von mangelnder innerer Sicherheit zu tun. Und in die Falle dürfen wir Sozialdemokraten nie mehr hineingeraten.“ Im Umgang mit Obdachlosen und Bauwagenplätzen scheint Schreiber in diesem Sinne beweisen zu wollen: Innere Sicherheit können wir auch.

Unklar ist, ob Bürgermeister Scholz und der Senat auf diese Linie einschwenken. Zumindest beim Thema Obdachlosigkeit hat Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) sich von Schreiber distanziert und in diesem Winter ein verbessertes „Winternotprogramm“ für Obdachlose aufgelegt. Im Falle Zomia hält sich der Senat bedeckt. Offenbar hofft man, der Bezirk Altona könnte das Problem lösen: Aus der SPD-Bezirksfraktion wurde bereits geäußert, dass die Wagenbewohner dort generell willkommen seien.

Der Konflikt um den Wagenplatz Zomia rührt allerdings auch an anderen Konfliktlagen in der Stadt: Die „Recht auf Stadt“-Bewegung weist schon länger auf die Gentrifizierung in vielen Vierteln hin, Wohnungsnot und explodierende Mieten stehen ganz oben auf der politischen Agenda. Da wird der Konflikt in Wilhelmsburg offenbar von vielen Seiten aufmerksam beobachtet. Initiativen wie das Gängeviertel und die Hafenstraße, aber auch Gruppen aus der autonomen Szene haben sich mit Zomia solidarisch erklärt. An einer Demonstration unter dem Motto „Wir ziehen das jetzt durch – Zomia bleibt“ nahmen Anfang November 2.000 Menschen teil. In dieser politischen Gemengelage dürfte es für den Senat ziemlich heikel werden, Amtsleiter Schreiber die Räumung von Zomia einfach durchgehen zu lassen.

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Geschrieben von

Hanning Voigts

journalist – „das unglück muss überall zurückgeschlagen werden“

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