In Mykki Blanco könnte der Hip-Hop eine neue Heldin gefunden haben. Ihr bürgerlicher Name lautet Michael David Quattlebaum Jr. Bei unserem Treffen im winzigen Backstagebereich eines Berliner Clubs stellt er, oder auch sie, sich schlicht als Michael vor. Es ist halb zwei morgens, in einer halben Stunde wird Michael hier als Mykki Blanco auftreten. Das entsprechende Outfit hat der großgewachsene New Yorker schon an: ein meterlanger Flechtirokese, befestigt an seinen echten Haaren, dazu ein verwaschenes T-Shirt mit Hanf-Motiven und Hotpants.
Der Transgenderkünstler mischt die amerikanische Hip-Hop-Szene zurzeit mit extrovertierten Auftritten und Videos auf. Mal ist er als schnellratternde Rap-Queen in Frauenkleidern, mal jungenhaft und in Baggy-Pants zu sehen. Die Cross-Dressing-Taktik ist für viele im machistisch geprägten, oft homophoben Hip-Hop eine Provokation.
Quelle: Youtube
In seinen Videos vereinigt Blanco den Rapstil Braggadocio – die konkurrenzbetont-prahlerische Attitüde der alten HipHop-Schule, bei der Männer damit angeben, wie viel Geld sie haben und wie viele Frauen sie flachlegen – mit Drag, der Kunst der genderspezifischen Verfremdung. Das sei kein Widerspruch, sagt Blanco, sondern gehe auf seine eigene Diskriminierungsgeschichte zurück: "Als femininer, schwuler Mann wirst du täglich verfolgt. Leute haben immer wieder die schlimmsten Sachen zu mir gesagt, da wird man dickhäutig. Ab einem bestimmten Moment hatte ich immer ein Messer im Rucksack, so aggressiv war ich", erzählt er. "Das alles kommt aus einem Klima der Angst – daher auch der Braggadocio. Er ist ein Spiel mit Unsicherheit, meiner eigenen und jener der Leute, die mich so behandelt haben." Halb ironisch setzt er hinzu: "Battle-Rap war eben Überlebensinstinkt!"
Mal aggressiv, mal ironisch
Dementsprechend präsentiert sich Blanco auf der Bühne mal geladen aggressiv, mal verspielt selbstironisch. Blanco inszeniert Realness – im Hip-Hop das oberste Gebot – als Camp, als Übertreibung: Was Realness für ihn bedeutet? "Authentisch sein, sich selbst und seiner eigenen Geschichte treu bleiben. Das ist essenziell. Menschen vergessen ihre eigene Geschichte zu schnell." Lachend fügt er hinzu: "Außerdem könnten Leute sonst ja sagen, du bist ein Fake!"
Damit ist Blanco dem klassischen Hip-Hop-Erbe näher, als man vermuten könnte. Hip-Hop entstand als Protestkultur und bahnte sich als Ausdrucksmittel schwarzer Männer den Weg, die in der Musik ihre eigene Unterdrückung verhandelten. Das Spiel mit Fremdzuschreibungen, ob aneignend, entlarvend oder abwertend, war dabei seit Beginn Teil dessen. Der ‚Nigger‘ als Bürgerschreck des weißen Mainstreams ist hierfür das prägendste Beispiel. Entsprechend verortet Blanco sich auch eher in der Black-, als in der Queer-Community: "Ehrlich gesagt: Ja, nimm das Schwule mal für einen Moment raus. Ich bin halt ein komischer schwarzer Typ", sagt Blanco.
Und statt mit moralinsauren Erklärungen aufzuwarten – das hieße im Hip-Hop-Kontext, Homophobie mit politisch korrektem Zeigefinger zu benennen und zu verurteilen –, hat Blanco sich zur Aufgabe gemacht, die Szene durch Eskapismus und Sex aufzumischen. "Ich kann dir keine großen Ratschläge geben, die Welt zu verbessern, lieber bringe ich dich ins Fantasieland und zeige dir einen Teil meiner Kultur."
Das Ergebnis ist queere Subversion. In der schillernden New Yorker Kunstszene ist Blanco damit sogar nicht allein. Dort beweisen auch Künstler wie Zebra Katz und Nicki Minaj: Queer-Rap ist keine Einzelerscheinung mehr.
Aber ist damit das Bild des Rappers als notorischem Schwulenhasser insgesamt brüchig geworden? In Ansätzen ja. Dieser Aufbruch beschränkt sich jedoch noch auf einen ziemlich kleinen Kreis: eine Reihe Mitzwanziger, die in der liberalen New Yorker Szene Drag und schwulen Vogue-House-Dance mit Hip-Hop und R’n’B verschmelzen. Als sich hingegen der Rap-Star Jay Z zeitgleich zu Barack Obamas Bekenntnis für die Homo-Ehe ebenfalls für mehr Schwulenrechte aussprach, war die Hip-Hop-Community irritiert bis geschockt.
Die Reaktionen waren ein besonders deutliches Beispiel für die Orientierung des Hip-Hop-Mainstreams an heteronormativen Befindlichkeiten, ganz zu schweigen von der abgedroschenen Geld-und-Bitches-Attitüde vieler Rapper. Beispiele, dass sich auch abseits des Queer-Rap etwas ändert, gibt es nur vereinzelt, etwa die als lesbisch und bisexuell geouteten Mitglieder des Hip-Hop-Kollektivs Odd Future aus L.A., Syd tha Kid und Frank Ocean. Sie rappen zusammen mit dem politisch unkorrekten Vorzeige-Bösewicht Tyler the Creator.
Und lassen sich Einflüsse des Queer-Rap im Mainstream beobachten? Blanco sagt, es ginge ihm nicht darum, den Mainstream zu reformieren. Er wolle eine komplett neue Fangemeinde: „Auf Sichtbarkeit kommt es an! Meine Darstellung soll schwulen Schwarzen wie mir helfen – und ehrlich gesagt auch allen anderen, die sich wie Außenseiter oder Freaks vorkommen.“
Konservative Schlagseite
Für die verbreitete Homophobie im Rap macht Blanco vor allem die krasse soziale Ungleichheit verantwortlich. Die schwarze Community, die den amerikanischen Hip-Hop hauptsächlich trägt, sei im Vergleich zur weißen Mittel- und Oberschicht noch immer deutlich bildungsschwächer und finanziell benachteiligt. Dies erkläre die führende Rolle der Kirche in der Black-Community und damit auch die konservative Schlagseite im Hip-Hop.
Kurz vor seinem Auftritt bemerkt Blanco noch, Lady Gaga habe die Pop-Industrie daran erinnert, welch immense Zahlkraft das schwule Publikum heute habe. Also doch ein Flirt mit dem Mainstream? Michael alias Mykki Blanco wirkt verlegen. Er könne es eben kaum glauben, dass sein Traum, viele Leute zu erreichen, gerade wirklich in Erfüllung gehe.
Gleich darauf betont er seine Unabhängigkeit. Es sei ihm wichtig, keinen Erwartungshaltungen gerecht zu werden – auch nicht jenen von einem schwulen oder Trans-Publikum. "In meinem neuen Video bin ich nicht Drag", sagt er. "Das liegt aber nicht daran, dass ich ein breiteres heterosexuelles Publikum erreichen will. Sondern ich will klarmachen, dass ich ein Freigeist bin und nur mache, wonach mir der Sinn steht. Wenn ich Lust auf ein Video im pinken String-Bikini habe, mache ich das. Will ich als chassidischer Rabbiner auftreten, um auch mein jüdisches Erbe zu würdigen, dann mach ich das. Die Kreativität und das Spektakel stehen an erster Stelle."
Mykki Blancos schräges Gender-Spiel kann man so auch als aktualisierte Fassung der Losung verstehen, mit der Hip-Hop einst antrat: "Keep it real!", bleib’ kantig, lass dich nicht passend machen. Blanco verabschiedet sich mit einem Handkuss und rennt hinaus. Die schweren Hip-Hop-Bässe erfüllen bereits den Club.
Hanno Pöppel berichtete zuletzt im Freitag über das Wiederaufflammen sozialer Proteste in Tel Aviv
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