Jonathan Meese nennt sich Kunst-Soldat, fordert die Unterordnung unter die Kunst-Diktatur und beklagt eine Welt, die statt großer Gedanken nur den Fetisch Individualität, statt Demut nur „Likes“ kennt. Meeses Programm heißt: Fraktur statt Schönschrift. Strammstehen statt demokratischer Willensbildung. Rechts oder Links gibt es nicht in seiner Superkunst. Überhaupt lehnt er das Politische ab und fordert dessen Zersetzung. So weit, so (pseudo-)totalitär. Dabei, so scheint es, liegt das Beste noch vor ihm: 2016 wird er bei den Bayreuther Festspielen einen Parzifal inszenieren.
In Berlin oder London kennt man Meeses Rhetorik als Ergänzung seiner gigantischen Werke. Nun performierte der künftige Wagner-Intendant in Israel, wo Richard Wagner ein Tabu und Kunst immer auch politisch ist.
Messias und Clown
Eingeladen hatten ihn das Tel Aviv Museum of Art und die Bezalel Kunstakademie, unmittelbar vor den Parlamentswahlen. Meeses Performance fand einen Tag vor Wahltag statt. Die Stimmung sei sehr geladen gewesen, sagt Elad Rosen, 32-jähriger Master-Student in Bezalel. „Ich denke, das ist der Grund, warum sich viele angegriffen fühlten“. Meese selbst sieht das alles weniger kritisch: „Wenn man mich nett einlädt, dann komme ich auch“. Gekommen ist er mit seiner Mutter Renate und einem beachtlichen Assistentenstab.
Die Performance – ein Künstlergespräch mit der Kuratorin Noami Lev und das anschließend hitzig verlesene Kunst-Manifest – hinterließ einen diffusen Eindruck. Soll man diesen bärtigen Mann im Trainingsanzug ernst nehmen? Oder ihn als den komischen Freigeist behandeln, für den man ihn auf den ersten Blick halten könnte? Ein nicht unwesentlicher Teil des Publikums umging die Frage, indem es den Neubau des Tel Aviv Museums kurz nach Beginn der Vorstellung verließ.
Meeses Spiel mit faschistischer Ästhetik dürfte das seine dazu beigetragen haben. Das Hakenkreuz müsse man endlich mal in Ruhe lassen, forderte er, auf die Verwendung des Symbols angesprochen, „damit es wegfliegt“. Meeses mit orgiastischer Gesichtsröte und präzise hingehacktem Deutsch vorgetragener Ruf nach „Machtergreifung der Kunst“ versteht man in Israel auch ohne nennenswerte Vorkenntnisse deutscher Sprache. „Der Standard-Israeli wüsste nicht, wie er so eine Arbeit verdauen soll“, sagt Tamar Hirschfeld, 29, und ebenfalls Master-Studentin in Bezalel. „Meese hat den Vorteil, dass er nicht von hier ist. Israelische Künstler würden für so eine Arbeit als linksradikal abgestempelt.“
Die Aufregung war also gesichert. Und der Leitartikel ließ nicht lang auf sich warten. Eli Azoulay, Feuilletonistin der linksliberalen Zeitung Haaretz, beschrieb die Performance als Werk eines berechnenden Geschäftsmannes. Meese gebe zu gleichen Teilen den Messias und den Clown. Die Doppelrolle sei durch den formelhaften Charakter seiner Rede zusätzlich verstärkt worden – „total art is super“ /„art is total freedom“/„art is total leadership“. Alles Inszenierung, meint Azoulay. Meese immunisiere sich erfolgreich gegen Kritik.
Diese Kritik verfolgt ihn auch in Deutschland, und umgekehrt perlten kritische Rückfragen nach den ethischen Konsequenzen seiner vorgeblich neutralen Kunst auch in Israel an ihm ab. Tonangebend ist das Bauchgefühl: Kunst muss an die Macht. „Das ist doch auch das objektiv Geilste, was man überhaupt sagen kann!“ Davon ist Meese überzeugt. Aber in Israel klingt das eben doch noch ein wenig anders. Uri Ganani, einen 32-jährigen Musikhistoriker, irritierte vor allem, dass Meese sich als Künstler so stark auf Wagner bezog: „Wie Meese gab sich Wagner als Prophet“, meint Uri. „Er wollte die restlose Auflösung des Lebens in Kunst. Und wie Meese hatte Wagner keine Argumente.“
Wagner polarisiert auch in Israel, vielen, erklärt Uri, gilt er als Soundtrack des Nazismus. Anderen gilt die Furcht vor Wagner als konservativ. Postmodern und cool sei, wer Wagner rehabilitieren wolle. „Die Diskussion ist absurd. Wagner ist in Israel eine Leerstelle, die Leute kennen seine Musik kaum, weil jede Berührung mit Wagner privat bleibt. Meese kommt also nach Israel und stellt sich einem jüdischen Publikum als neuer Wagner vor. Für ihn ist das Kulturerbe. Sein Publikum hat dieses Wissen nicht. Mich erinnert das an Wagners eigene Schriften über die Juden als ein Volk ohne Musikalität. Meeses Performance hier hatte etwas extrem Kolonialistisches!“
Innerhalb des Kunstkontextes
Dass Meese die Bayreuther Bühne einen ideologiefreien Raum der totalen Kunst nennt und vorschlägt, sie „zum Staatsmodell“ auszuweiten, entkräftet den Vorwurf nicht gerade. Später, in einer privaten Lehrstunde mit der Bezalel-Master-Klasse, gab sich Meese dann weniger messianisch-diktaorisch. Es wurde geraucht und getrunken, man debattierte offen und leidenschaftlich. Meese unter ihnen und die 1929 geborene Mutter Renate stets an seiner Seite.
„Wir wollten Meese nicht noch einmal reden hören“, sagt eine Studentin, „sondern etwas Unkonventionelles machen. Jeder überreichte ihm ein persönliches Geschenk. Ich las einen Brief auf Deutsch vor. Da ging es um München, Heidelberg, Stuttgart, emotionale Orte für mich. Meine Großmutter stammte aus Deutschland und starb im Holocaust. Meese lachte nicht einmal. Und seine Mutter schien wirklich berührt. Das rechne ich den beiden hoch an.“
Innerhalb des Kunstkontexts finde er Meeses Ideen fesselnd, meint Elad Rosen. „Er bleibt aber ein wirrer Purist. Wie Meese zu sagen, alle Ideologien seien gleich, und daraus eine holistische Theorie zu stricken, ist hier einfach unverantwortlich und gefährlich. Israels Kulturszene ist einem breiten Angriff von rechts ausgesetzt! Die Welt beschränkt sich leider nicht auf unsere Studios.“
Unterm Strich hat Meese sein Ziel wohl erreicht. Die Einladung nach Israel verschaffte ihm eine willkommene Legitimation seiner kunsttotalitären Mission. Und wie bilanziert Meese selbst? „Israel ist sehr stark ideologisch aufgeladen. Man merkt aber auch, dass Ideologie keine Chance mehr hat, das sind hier letzte Zuckungen. Politisch, religiös oder wirtschaftlich sind Probleme nicht mehr lösbar. Und militärische Lösungen sind zynisch. Was bleibt, ist die Kunst.“ Na denn.
Hanno Hauenstein-Pöppel, Jahrgang 1986, fliegt für journalistische und andere Projekte öfter nach Tel Aviv
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