Broder und die Klimadebatte

Medientagebuch Im Zweifel für den Zweifel: Beim Thema Erderwärmung werden Laienmeinungen gerne für wissenschaftliche Fakten genommen. "Manufactroversy" nennt man so eine Debatte
Broder und die Klimadebatte

Foto: Adrian Dennis / AFP

Das Vorgehen des Umweltbundesamtes erinnere an die Reichskulturkammer von Joseph Goebbels, und Deutschland befinde sich auf dem Weg in eine zweite DDR, schreibt Henryk Broder in der Welt. Auf Twitter legt der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, nach: „Umweltbundesamt in Reichsklimakammer umbenennen“.

Grund für die Aufregung: Das Umweltbundesamt hat eine Broschüre zur Klimaforschung herausgebracht. Die Behörde kritisiert darin einige Journalisten dafür, dass sie den Forschungsstand falsch wiedergeben. Namentlich erwähnt werden etwa der ZDF-Filmemacher Günther Ederer und Michael Miersch, Ressortleiter für Forschung und Technik beim Focus.

Ederer, Miersch und andere sogenannte „Klimaskeptiker“ behaupten wahlweise, dass der Mensch keinen Einfluss auf das Weltklima habe, dass es überhaupt keine Klimaerwärmung gäbe oder zumindest, dass der Einfluss des Menschen auf das Klima vernachlässigbar sei. Vertreten werden diese Thesen vorwiegend von fachfremden Wissenschaftlern, von Laien mit Privattheorien und nicht selten von Journalisten. Dabei scheuen die „Klimaskeptiker“ nicht, einander widersprechende Theorien zu vertreten, denn übrig bleiben soll am Ende nur eins: der Zweifel, die Idee, dass alles irgendwie unklar ist.

Eine wissenschaftliche Debatte findet praktisch nicht statt. Wissenschaftler haben für derartige „Kontroversen“ inzwischen ein eigenes Wort kreiert: eine Manufactroversy, eine konstruierte Kontroverse. Ob Klimawandel, Evolutionstheorie oder die Gefahren des Passivrauchens: In Medienberichten wird gerne die „andere Seite“ beleuchtet. Was dabei oft zu kurz kommt: Bei der anderen Seite handelt es sich in den genannten Fällen um Laienmeinungen, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden.

Das bedeutet nicht, dass es keine Unklarheiten und keinen weiteren Forschungsbedarf gibt. Und diese werden ausgeschlachtet, um den Eindruck des Zweifels aufrechtzuerhalten. Dazu gehört etwa das Zitieren von einzelnen Studien, die aus dem Rahmen fallen.

Vergangene Woche veröffentlichten Forscher in der Fachzeitschrift Nature Geoscience eine Studie zur Klimasensitivität. Damit bezeichnet wird die voraussichtliche Temperaturänderung bei einer Verdopplung der Kohlendioxidkonzentration in der Erdatmosphäre. Die Neuberechnungen lagen im unteren Bereich dessen, was in früheren Studien prognostiziert wurde. Zahlreiche Schlagzeilen der Form „Erde erwärmt sich nicht so schnell wie befürchtet“ waren die Folge.

„Es gibt über 20 Studien zur Frage der Klimasensitivität, die alle zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen kommen“, erklärt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegenüber dem Freitag. „Die neuen Zahlen sind fast identisch mit unseren eigenen Berechnungen, die wir bereits 2006 publiziert haben.“

Spiegel Online entfernte einen Artikel zum Thema einen Tag später, entschuldigte sich für die missverständliche Darstellung und ersetzte den Text durch eine korrigierte Version. Ob der Artikel freiwillig berichtigt wurde oder ob hier die Reichsklimakammer am Werk war, lesen wir vielleicht in einer der nächsten Kolumnen von Henryk Broder.

Hanno Böck ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über den Klimawandel

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