Der Kanzler wird ein friedliches Fest feiern können. Am dritten Adventssonntag geschah ihm so etwas wie ein vorzeitiges Weihnachtswunder. Von Gerhard Schröder in einem Hannoveraner Restaurant zu Speis' und Trank geladen, ließen sich die Gewerkschaften ihren Widerstand gegen das zentrale Projekt der Bundesregierung abkaufen, die Rentenreform. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, einer der entschiedensten Kritiker der rot-grünen Reformpläne, hatte Kreide gefressen, als er der fernsehenden Öffentlichkeit den »Kompromiss« zwischen Regierung und Gewerkschaften verkündete. Demnach werde die Bundesregierung das Rentenniveau bis 2030 nicht - wie geplant - auf 64, sondern auf 67 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens senken und den Beitragssatz auf maximal 22 Prozent begrenzen. Die Gewerkschaften geben dafür ihren Widerstand gegen eine kapitalgedeckte Privatvorsorge auf, die ohne Arbeitgeberbeteiligung allein aus den Taschen der Arbeitnehmer finanziert werden soll. Außerdem vom Tisch ist der so genannte Ausgleichsfaktor: Je länger ein Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, privat vorzusorgen, desto geringer fällt seine Rente aus.
Stattdessen feiert der »demographische Faktor« des letzten christdemokratischen Arbeitsministers Norbert Blüm, im Jahr 1998 von den sozialdemokratischen Wahlkämpfern als Schweinerei verteufelt, fröhliche Urständ. Ab dem Jahr 2011 sollen nämlich nicht nur, wie bislang vorgesehen, die Neurentner Abschläge hinnehmen müssen, sondern auch die Bestandsrentner. Begründung: Die alten Menschen leben länger, kassieren länger Rente - und deshalb muss die Rente gestreckt werden. Ein geradezu klassisches Déjà-vu-Erlebnis. Und was geschieht, wenn der Beitrag von 22 Prozent kein Rentenniveau von 67 Prozent hergibt? Wird der Beitrag erhöht, oder werden, was wahrscheinlicher ist, die Leistungen weiter gekürzt?
Ach ja, da war ja noch Bundesarbeitsminister Walter Riester, der schließlich auch beim Adventsschmaus in Hannover anwesend war, als unverdrossen lächelnder Zaungast freilich, als Komparse einer Vorstellung, bei der andere Regie führten. Die Beerdigung des von ihm zum Herzstück erklärten Ausgleichsfaktors wurde von den Koalitionsfraktionen bewerkstelligt, während Riester am anderen Ende der Welt, in Australien, ein Sozialabkommen unterzeichnete. Zurück in der Heimat, blieb es ihm überlassen, das zu verkünden, was andere ohne ihn ausgeheckt hatten. Ein gedemütigter, abgewirtschafteter Minister, der nur deshalb - noch - im Amt ist, weil des Kanzlers Bedarf an Rücktritten durch Reinhard Klimmt (Verkehr) und Michael Naumann (Kultur) derzeit mehr als gedeckt sein dürfte.
Mitleid hat Walter Riester nicht verdient, denn er hat, anders als seine Vorgänger, an der sozialen Rentenversicherung nicht nur herumdoktern, sondern sie dermaßen ausbluten lassen wollen, dass sie langfristig auf der Strecke geblieben wäre. Diese Gefahr besteht nach wie vor. Auch die Blümsche Komponente im neuen Gewande wird die Renten auf Dauer nicht sichern können.
Das Hauptproblem besteht nicht darin, dass die Rentner immer älter werden, sondern dass die Rentenversicherung aus Lohnanteilen der Erwerbstätigen finanziert wird, der Anteil der Löhne und Gehälter am Bruttoinlandsprodukt aber seit längerem rückläufig ist. Anders ausgedrückt: Hierzulande wird immer mehr Geld verdient, von dem keine Mark für die Sozialkassen abfällt. Der Sozialsektor und damit die Alterssicherung werden so von der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums abgekoppelt.
Diese verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen kann nur gelingen, indem jegliche Art von Einkommen, nicht nur Löhne und Gehälter, sozialversicherungspflichtig wird: Unternehmensgewinne ebenso wie Abgeordnetendiäten, Erbschaften, Dividende, Mieteinnahmen, Spekulationsgewinne beispielsweise. Eine solche Bürgerversicherung würde die Rente endlich sicher machen - mit mäßigen Beiträgen, einem ausreichenden Rentenniveau und genügend finanziellem Spielraum für Maßnahmen des sozialen Ausgleichs (etwa Kindererziehungszeiten, Rehabilitation, Hinterbliebenenversorgung). Mit einem derart durchgreifenden Reformansatz ist allerdings nicht zu rechnen. Im Gegenteil. Die Koalition wird Riesters Debakel nicht als Chance nutzen, das Reformvorhaben nochmals von Grund auf zu überdenken und so zu einer langfristig tragfähigen Lösung zu kommen. Geblendet von der Zustimmung der Gewerkschaften, wähnt sie sich jetzt auf dem richtigen Weg und wird das Gesetz par force durchpeitschen; durchaus im Sinne des Kanzlers, der den Christdemokraten keine Munition für die bevorstehenden Wahlkämpfe liefern will.
Man wird uns also eine Rentenreform bescheren, die den Versicherten ausschließlich Nachteile bringt: ein unzureichendes Rentenniveau, eine höhere Beitragsbelastung plus Aufwendungen für Privatvorsorge, Einschränkung der Rente bei Erwerbsunfähigkeit, Abbau der Hinterbliebenenversorgung - um nur die wichtigsten zu nennen. Frohlocken können die Arbeitgeber; ihr Beitrag zur Alterssicherung wird eingefroren. Ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Regierung hat ihnen eine alte Forderung erfüllt. Frohlocken kann außerdem die Versicherungswirtschaft, verspricht doch die staatlich subventionierte private Zusatzrente einen ebenso üppigen wie risikoarmen Reibach.
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