Für alles offen

Catwalk Zwischen Pop und Event - die lit.Cologne als Literaturfestival neuen Typs

Es gibt kein Entkommen. 600 meist junge Zuhörer drängen sich auf einem so genannten "Literaturschiff", um einer Lesung des Songwriters, Malers und Schriftstellers Funny van Dannen zu lauschen. Das Schiff legt ab, das Bier fließt und der Autor liest und kalauert - von Hähnchen mit Achselrasur, Kaffeeklatsch bei Gott oder einem Wanderpanda als Sexsklaven. Es sind naiv-absurde Gutenachtgeschichten, angereichert mit viel Religion und Tante-Martha-Milieu - und literarisch garantiert rückstandsfrei.

Mit solchen Veranstaltungen erwies sich die lit.Cologne auch in diesem Jahr wieder als gefundenes Fressen für den Kulturapokalyptiker. Das hat die Macher allerdings nie gestört. 2001 gegründet, war das Festival von Beginn an als Literaturfest neuen Typs geplant. "Wir wollten gleich groß anfangen. Wer zu klein denkt, geht im Kulturzirkus gleich unter", sagte Werner Köhler einmal, einer der drei Leiter. Der Termin unmittelbar vor der Leipziger Buchmesse war dabei als Kampfansage gemeint. Das Gerangel um mediale Aufmerksamkeit oder den neu ausgelobten Deutschen Hörbuchpreis spielte nur eine Nebenrolle.

Der zur ersten Ausgabe propagierte Slogan "Literatur ist Pop!" zeigte, dass die lit.Cologne sich einer popkulturellen Aufladung der Literatur verschreibt, die der elitär-miesepetrigen Literaturpräsentation den Fehdehandschuh hinwirft. Als Orientierung dienen dabei weniger Literatur- als Filmfestivals. Ablesbar nicht nur an der Dichte des zehntägigen Veranstaltungsreigens, der ständig das Gefühl erzeugt, etwas zu verpassen. Wichtiger ist der auch dieses Jahr wieder inszenierte Catwalk der Celebritäten von Louis Begley bis Martin Walser, von Liza Marklund bis Jonathan Franzen oder von Donna Leon bis Henning Mankell, die in gesponserten Festivallimousinen durch die Stadt gefahren werden. Und wer hierzulande nur ein halber Star ist, der bekommt einen vollwertigen an die Seite gestellt. Wie der Schriftsteller William Boyd, der seinen Roman Ruhelos zusammen mit Martina Gedeck vorstellte. Dass die Schauspielerin das Hörbuch zum Roman eingelesen hat, ist dabei ein mehr als willkommener Zufall. Und so erzählte nicht nur William Boyd von seinem Spionageroman über eine Unterabteilung des britischen Secret Service, sondern auch Martina Gedeck von ihren Erfahrungen bei Robert de Niros Agentenfilm Der gute Hirte. Boyd oder Gedeck - es ist nicht zu entscheiden, wer die immerhin 740 Zuhörer in die unwirtliche Gymnasiumsaula gelockt hat. Es sind solche "Paketlösungen", die dafür sorgen, dass bereits zu Beginn der lit.Cologne drei Viertel der 135 Veranstaltungen ausverkauft waren, was etwa 48.000 Karten entspricht.

Derart gut besuchte Lesungen sind in Köln trotz eines rührigen Literaturhauses nicht selbstverständlich. Immer schon fühlte man sich hier der sinnlichen Unmittelbarkeit von Malerei, Musik und Medien näher als dem Buch. Von einer literarischen Tradition kann in Köln denn auch keine Rede sein; erst nach 1945 haben Autoren wie Böll, Wellershof, Brinkmann, Becker, Wallraff die Stadt auf der Landkarte des Wortes verzeichnet. Doch auch hier leistet die lit.Cologne Hilfestellung: Bei der Boyd-Gedeck-Lesung wird mehr über das Buches geredet als daraus vorgelesen. Anders gesagt: die Lesung wird vom monologischen Exerzitium zum publikumswirksamen Dialog dramatisiert und frönt damit zugleich der kölschen Vorliebe fürs "Verzällen" (deutsche: Erzählen). Dass dies auch positive Seiten haben kann, führten dann Clemens Meyer und Andreas Veiel vor. Während Veiel nach Stück und Film nun ein Buch über den Mord unter Potzlower Jugendlichen vorlegte, las Meyer aus seinem Roman Als wir träumten. Die Kombination erwies sich als glücklich, weil beide großes Interesse am Werk des jeweils anderen zeigten und angeregt über Gewaltdarstellung, literarische Montageprinzipien und das Verhältnis von Authentizität und Fiktion diskutierten.

Man tritt den lit.Cologne-Machern nicht zu nahe, wenn man von der Einpassung der Literatur in ein Event-Konzept spricht. Ablesbar nicht nur an der Dramatisierung der Leseform oder an Leseorten wie Schiff, Polizeipräsidium oder Sporthochschule. Sondern vor allem an einem äußerst dehnbaren Literaturbegriff, der von Hochkultur bis Trash alles einschließt. Ob Martin Walser oder Henning Mankell, ob Helge Schneider oder Clemens Meyer - Köln ist für alles offen. Von Veranstaltungen zu Edgar Wallace, Vicky Baum oder zum Hypochondrismus gar nicht zu reden. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Schielen auf Marktgängigkeit, dass Entdeckungen auf der lit.Cologne kaum zu machen sind. Wenn unbekannte Autoren wie der Ungar Krisztián Grescó präsentiert werden, dann nur an der Hand von so genannten Paten, in dem Falle von Péter Esterházy. Wagnisse geht man allenfalls mit dem umfangreichen Kinderliteraturprogramm ein.

Die Kölner überschätzen sich gerne. Schon der Schriftzug lit.Cologne offenbart in Groß- und Kleinschreibung, wo man sich selbst sieht. Auch die Bewertung als "weltweit erstes populäres Bücherfest" mag übertrieben sein, doch die lit.Cologne zeigt mit ihrem weitgehend aus Einnahmen und Sponsoren-Geldern bestückten Etat von knapp einer Million Euro und ihrem erstaunlichen Zuschauerzuspruch, wie Literaturfestivals ohne öffentliche Förderung in Zukunft aussehen könnten. Ob das allerdings für mehr Leser sorgt, bleibt dahingestellt.


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