Himmlische Warteschleife

Theater Als Claus Peymann und das Berliner Ensemble im Februar mit Brechts Mutter Courage zum Teheraner Fadjr-Festival reisten, hatten die kulturkritischen ...

Als Claus Peymann und das Berliner Ensemble im Februar mit Brechts Mutter Courage zum Teheraner Fadjr-Festival reisten, hatten die kulturkritischen Eiferer wieder eine große Stunde. Mit dem Gastspiel kollaboriere der theatrale Berufsrevoluzzer mit dem iranischen Regime, anstatt ihm durch eine Absage eine Lektion zu erteilen.

Es war die alte Koexistenzfrage, die sich auch Roberto Ciulli vom Mülheimer Theater an der Ruhr gestellt hat, als er vor zehn Jahren den Theateraustausch mit dem Iran ins Leben rief. Damals, also noch unter dem Reformer Chatami, reiste das Mülheimer Ensemble auf Einladung erstmals nach Teheran. Im Gegenzug holte man für die Gastspielreihe Theaterlandschaft iranische Produktionen nach Deutschland. Die aktuelle Ausgabe des Mini-Festivals (3. bis 7. September) fiel mit sechs Gastspielen ungewöhnlich umfangreich aus, obwohl für Ciulli die Kollateralschäden der Präsidentschaft Ahmadinedschad unübersehbar sind: "Das Theater leidet unter dem politischen Druck."

Nichtsdestotrotz war der kritische Impuls der Aufführungen verblüffend. So schaffen Autor und Regisseur Siamak Ehsaei und die Emruz Theater Group in dem Stück Terminal eine Situation von beckettscher Ausweglosigkeit. Eine Köchin, eine Friseuse und eine Putzfrau verkürzen sich im Waschraum eines Busbahnhofs die Zeit mit dem Tranchieren von Hähnchen, Boden schrubben und dem Kämmen einer Perücke; vor allem aber mit Erzählungen aus der Jugend, die sich zu bedrängenden Visionen aus Blutströmen, erster Liebe und Selbstmord verdichten. Als sich ein Lichtschacht öffnet, packen die drei Frauen ihre Sachen, gehen aber nicht. Ein Bild eines existenziellen wie politischen Wartezustands, in dem Monotonie und Traumata sich bedingen und Auswege ungenutzt bleiben.

Terminal mit seiner Doppelbedeutung aus Bahnhof und Endstation mochte noch als becketthafte Stilübung durchgehen. Wie allerdings die religiösen Stücke auf ironische und sarkastische Weise mit Transzendenz umgingen, das verblüffte im Wissen um die iranische Zensur dann doch. Zwar wirkte Sacrificed der Mani Theatre Group um das Mitleid eines Schächters von Schafen mit religiösen Opfertieren ästhetisch amateurhaft. Die Ironie liegt jedoch darin, dass sich ein Opferlamm bei Gott beklagt, arbeitslos geworden zu sein, weil sich die Menschen gegenseitig abschlachten. Weiter ging dann Tala Motazedis in seinem Stück Cadence, das einen Muslim, einen Atheist und einen Buddhist in einer himmlischen Warteschleife zusammenführt. Die drei stecken in Strampelanzügen, protzen mit ihren Glaubensmorden und bauen aus beleuchteten Würfeln kleine Sandburgen der Religion. Von 1.000 Jungfrauen keine Spur. Stattdessen staucht ein weiblicher Engel die fundamentalistischen Rowdies zusammen.

Dass der Atheist Ciulli so viele religiöse Stücke eingeladen hat, überraschte. Der Grund dürfte in der bis heute populären Tradition dramatisierter Heiligen- und Legendenerzählungen im iranischen Theater liegen. In diesem Umkreis bewegte sich die Afshin Hashemi Group mit dem Stück Hassan, der Diw und der schmale Weg hinter dem Berg. Da die Menschen nicht mehr träumen können, macht sich Hassan auf den Weg, um den Engel der Träume zu befreien. Ein kleiner Kreis dient als Spielort und darin entfesseln die fünf Schauspieler einen Imaginationssturm aus Schauspiel, Musik-, Schatten- und Puppentheater mit brechtschen Mitteln. Der König kommt als verschrobener Springteufel daher, die Ungeheuer sind quäkende Marionetten und Hassans Sehnsucht nach dem Engel der Träume ist zutiefst erotisch besetzt. Eine Gesellschaft, der die Träume entführt wurden: Der politische Subtext war unverkennbar und zeigte einmal mehr, dass das Theater des islamischen Gottesstaates offenbar gerade in religiös-mythischen Themen ein kritisches Potential entdeckt hat.

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