Warum sind die Menschen angesichts des NSA-Skandals nicht wütend?“, fragte ein Zuschauer nach mehr als 90 Minuten Diskussion. Da platzte dem ansonsten höflichen Jacob Appelbaum der Kragen. Appelbaum kommt aus den USA, ist Fachmann für Computersicherheit, Mitbegründer des Tor-Projekts und Hacker. Zurzeit lebt er wie weitere prominente Netzaktivisten (siehe Kasten) in Deutschland im Exil. Jacob Appelbaum also keifte zurück: „Wovon zum Teufel reden Sie? Die Menschen sind wütend. Was stellen Sie sich unter Wut vor? Brennende Autos in den Straßen?“
Ganz falsch lagen beide nicht. Was haben wir nach den Veröffentlichungen zum NSA-/GCHQ-Skandal denn erwartet? Es gebe zwei Zukunftserwartungen, sagt Appelbaum. Optimisten glauben, dass der Überwachungswahn irgendwann kollabiert; Pessimisten fürchten, dass es einfach so weitergeht. Wie ein mächtiger Unterstrom zog sich dieser Zwiespalt durch eine Aufführung und zwei Diskussionsabende am Kölner Schauspiel. Da war vom weltweiten Überwachungsregime die Rede und gleichzeitig von der dilettantischen Strategie der NSA, von deutschen Untersuchungsausschüssen und von Angela Merkels Unglaube, abgehört worden zu sein, von der Veröffentlichung der Snowden-Papiere durch den Guardian und deren redaktionellen Eingriffen in die Originalpapiere aufgrund von politischem Druck.
Im Aktivistenmodus
Worauf also hoffen jenseits von immer neuen Erregungszuständen, wachsender Hilflosigkeit und Placebokritik der Politik? Bevor Jacob Appelbaum unter dem Titel „Überleben unter Überwachung“ in den Ring stieg, war zunächst Angela Richters Stück Assassinate Assange Reloaded zu sehen und zu diskutieren. Es ist eine überarbeitete Fassung ihres viel kritisierten Stücks Assassinate Assange. 13 Schauspieler in weißen und rosa Affenkostümen unter einer Projektion des Orbit, man denkt an Kubricks 2001, und dann bekommt man es weiß auf schwarz: „Die Zukunft gehört den Nerds“. Die Performance basiert auf Interviews, die Richter mit Julian Assange geführt hat, der seit mehr als 500 Tagen in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt.
Angereichert werden die Aussagen mit einer historischen Zeitleiste, eine Art Best of WikiLeaks, und zahlreichen Zitaten von anonymen Hackern. Da geht es um die moralische Indifferenz des Netzes, biologistische Metaphern vom Parasit bis zum Krebs müssen für die Überwachung einstehen. Eine krude Sehnsucht nach der Apokalypse macht sich breit. Die Affen marschieren, tanzen oder lümmeln herum. Das Stück läuft zunächst deutlich im Aktivistenmodus. Angela Richter, die selbst mit auf der Bühne steht, berichtet von einem drei Wochen zurückliegenden Besuch in London, von den verschärften Kontrollen, von Assanges beschränktem Leben und seinem Umzug innerhalb der Botschaft – unterlegt mit synchron ausgeführten Gesprächsgesten der Affenhorde. Assange, gespielt von Melanie Kretschmann, versteigt sich zu einem absurden Ausfall gegen die Zeitung als Medium und feiert WikiLeaks für seinen „wissenschaftlichen Journalismus“.
Zum Prozess wegen sexueller Nötigung in Schweden sagt Assange kaum etwas. Später zitieren zwei Schauspielerinnen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen von Anna Ardin und Sofia Wilén, den beiden schwedischen Anklägerinnen. Es geht um geplatzte Kondome, um Assanges notorische Lust an ungeschütztem Sex und Flecken auf Bettlaken – alles schön explizit. Spätestens hier merkt man, wie sich Richters Hagiografie in den Widerhaken der eigenen Skepsis verfängt. Vielsagend wie Assange sich als irakische Frau imaginiert, die Sadam Husseins Gehirn in ihrer Gebärmutter trägt, oder die Paraphrase des Doors-Songs „People are strange when you’re Assange“.
Man wagt sich die Zukunft mit solch egozentrischen und durchgeknallten Supernerds kaum vorzustellen. Mit einigem hermeneutischen Aufwand könnte man die These wagen, dass sich in Assanges Selbstüberhöhung der umfassende Kontrollwahn der NSA spiegelt. Vielleicht spiegelt sich aber auch einfach nur die Einsamkeit eines Asylanten. Als Bühnen-Überraschungsgast schält sich nämlich plötzlich Jacob Appelbaum aus einem Affenkostüm und berichtet ganz lapidar von seinem eigenen Exil in Berlin. Vom Schlafen in Klamotten, von der Unmöglichkeit sich offen zu verteidigen, von der Aussicht, nie in sein eigenes Land zurückzukehren, der Angst, seine Freunde nicht wiederzusehen. In diesen fast banalen Aussagen wird plötzlich auch Assanges Lage verständlicher.
Die Aufführung wurde flankiert durch ein Panel mit Aktivisten aus dem Umfeld von WikiLeaks, zu dem auch Appelbaum gehört. Der Abend verlief leider in simpler Selbstbestätigung – auch weil sich der Moderator und Journalist John Goetz sofort auf die Seite der Podiumsgäste schlug. Der wunde Punkt aller WikiLeaks-Verehrer ist das verwirrend schillernde Bild von Assange selbst, eine Falle, der auch Angela Richter nicht entkam.
Diskutiert wurde natürlich auch der Film Inside Wikileaks nach dem Buch des früheren Mitarbeiters Daniel Domscheit-Berg. Darin wird heftige Kritik am Bild von Julian Assange geübt, die Menschenrechtsanwältin Renata Avila bemängelte, dass die vielen freiwilligen Helfer von WikiLeaks zu kurz kämen. John Goetz warf Domscheit-Berg sogar vor, Informanten gefährdet zu haben. Der Personenkult um Assange überragt die Erfolge von WikiLeaks.
Technologisch sorglos
Eine differenzierte Sicht gab es dagegen auf den NSA-Skandal. Vor allem John Goetz kritisierte das Zugangsmonopol von Glenn Greenwald zu Edward Snowden als auch die scheibchenweise Veröffentlichung des Materials in Zeitungen, was der NSA erlaube, sich immer wieder neu vorzubereiten. Appelbaum wiederum berichtete von seiner problematischen Zusammenarbeit mit Journalisten, die technologisch oft sehr sorglos mit Informationen umgingen, dadurch Quellen aufs Spiel setzten und die Überwachung der Newsrooms durch die Geheimdienste völlig unterschätzten. „Ich suche mir genau aus, mit wem ich zusammenarbeite“, sagte Appelbaum. So falsch kann Snowden also nicht liegen.
Im Vierjahresplan der NSA wird nicht nur, wie der Spiegel berichtete, das „Goldene Zeitalter der technischen Überwachung“ ausgerufen, es wird auch die Anpassung von Rechtsprechung, Politik und Verwaltung an die Bedürfnisse des Geheimdienstes gefordert. Was das jetzt schon bedeutet, lässt sich an Schicksalen wie dem der WikiLeaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison, die Edward Snowden nach Hongkong und Moskau begleitete, oder dem von Jacob Appelbaum ablesen. Beide stammen aus den ältesten Demokratien der Welt, aus Großbritannien und den USA, beide leben derzeit in Deutschland im Exil. Appelbaums Erklärung dazu am zweiten Abend klang so einfach wie weitreichend. Der Programmierer hatte seinen 30. Geburtstag mit befreundeten Hackern und Cypherpunks auf Hawaii gefeiert, just zu dem Zeitpunkt, als sich dort auch Edward Snowden aufhielt. Appelbaum will davon nichts gewusst haben.
Doch die bis dahin gemachten Erfahrungen mit Verhören, Überwachung und Konfiskationen hätten ihn bewogen, sich einer „Hexenjagd“ nicht erneut auszusetzen, sondern ins Exil zu gehen. Im Gespräch mit Dramaturg Thomas Laue und Regisseurin Angela Richter erläuterte er, wie die NSA allein aufgrund eines Bankkontos (und ihrer Kontrolle des Interbankennetzwerks SWIFT) das Muster eines Menschen erstellt und interpretiert. Die Datenbasis erzeugt einen digitalen Doppelgänger, der „mehr du bist als du selbst“.
„Man beginnt sich zu kontrollieren“, sagte Appelbaum, und verliere sukzessive seine Freiheit. Dem wolle er sich nicht unterwerfen. Das Argument vieler User, dass sie nichts zu verbergen hätten, konterte der Programmierer mit dem schlichten Satz: „Dann zieh dich aus.“
Auch Appelbaum geht es um den Schutz der Privatsphäre. Dass es dafür allerdings auch einer umfassenden Neuinterpretation des Öffentlichen bedarf, dass die radikalen Transparenzforderungen der Netzaktivisten auch ihre Kehrseite haben, blieb unerwähnt.
Deutschland als Exilland – das mag zunächst irritieren, doch Appelbaum setzt große Hoffnung in die historische Erfahrung des Landes mit Totalitarismen. Die daraus resultierende „moralische Autorität“ gebiete es allerdings auch, Snowden Asyl zu gewähren. Da war ihm der Beifall des Publikums sicher. Appelbaum zertrümmerte dann allerdings nach Kräften das Wunschbild der Deutschen vom wohlwollenden, unwissenden amerikanischen Präsidenten, sprach von gezielten Morden per Drohnenbeschuss, von der Herrschaft des militärisch-industriellen Komplexes. Kein Spaß für Obama-Fans. Dann raunte Appelbaum, dass Merkel seit 2002 abgehört werde und er die Namen kenne, die mit ihr in den Kreis der Überwachten gerieten. Konkret wurde er leider nicht. Was bleibt? „Wir müssen die Demokratie erhalten.“
Hans-Christoph Zimmermann ist freier Kulturjournalist aus Köln
Exil in Berlin
Jacob Appelbaum, 30, ist Hacker und WikiLeaks-Unterstützer. Der US-amerikanische Gründer des Hackerspace „Noisebridge“ hat hier eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt. Er war u. a. bei Greenpeace aktiv und steht in Kontakt mit dem Whistleblower Edward Snowden.
Sarah Harrison, 31, hat Edward Snowden in den vergangenen Monaten eng be-gleitet. Die britische Journalistin und WikiLeaks-Mitarbeiterin hat in Großbritannien rechtliche Schritte zu befürchten, nachdem schon Glenn Greenwalds Partner wegen „Unterstützung von Terrorismus“ festgehalten wurde.
Laura Poitras, 49, ist US-Dokumentarfilmerin. Sie war mit zweiGuardian-Reportern bei den entscheidenden Treffen Anfang Juni mit Snowden in Hongkong dabei. Seit ihrem Film My Country, My Country von2006, einem kritischen Film zum Krieg gegen den Terror, ist sie vom Department of Homeland Security als terrorverdächtig eingestuft.
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