"Islam in Danger!"

Mit dem Theater Mülheim a.d. Ruhr in Teheran Eindrücke vom Fadjr-Festival, dem berühmtesten Theaterfestival im arabischen Raum

Der Mann wimmert wie ein Baby. Seine Frau hat gerade eine Tochter zur Welt gebracht; doch das Kind ist nur durch Bluttransfusionen zu retten. Dies wiederum hätte aber den Tod der Mutter zur Folge. Der Ehemann lehnt ab und will in einem archaischen Ritual einen Leoparden töten, um so Mutter und Kind zu retten. Auf der Studiobühne des Teheraner City Theatre entwickelt sich ein faszinierendes Spiel aus Kindesimagination, archaischem Ritual und moderner Ehe-Problematik, das das Publikum restlos in Bann schlägt.

Leopard cleans his spots heißt das Stück, das der gerade einmal 26-jährige Autor und Regisseur Ali Narguesnejad beim Fadjr-Theaterfestival vorstellte. Es sind solche Inszenierungen, die etwas von den immensen Möglichkeiten des iranischen Theaters erzählen. Das Teheraner Fadjr-Festival feierte in diesem Jahr sein 25. Jubiläum. Nach seiner Gründung 1983, vier Jahre nach der Machtübernahme Khomeinis, dümpelte es einige Zeit als theatralische Revolutionsweihe herum, hat sich inzwischen aber längst zu einem Forum theatralischer Selbstvergewisserung und einem selbstbewusst dekorierten Schaufenster für den Westen entwickelt.

So wie man im Theater alsbald merkt, dass man mit den gewohnten Schemata nicht weit kommt, so helfen auch die gängigen Oppositionsbegriffe wie Reformer und Konservativer in der iranischen Politik offenbar nicht weiter. Kaum hat das Festival begonnen, beschwert sich der Teheraner Oberbürgermeister Qalibaf in der Zeitung Iran daily über die Miesmacherei der Hauptstadt und verweist auf die Versäumnisse des Staates. Immerhin sind die Preise um 150 Prozent gestiegen, so dass die Regierung einschreiten musste; die Arbeitslosigkeit liegt bei 30-40 Prozent. Dass Präsident Ahmadinedschad nicht erst seit den verlorenen Kommunal- und Expertenratswahlen im Dezember angezählt ist, ist klar. Doch dass mit Qalibaf, der als pragmatischer Fundamentalist gilt, die Kritik aus dem eigenen Lager kommt, erstaunt. Ist es einfach nur Rivalität? Schließlich waren die beiden Gegner bei der Präsidentenwahl 2005. Oder tobt da bereits ein Machtkampf?

Auch im Theater verlaufen die Konfliktlinien nicht eindeutig. Mit der Machtübernahme von Ahmadinedschad wurde die gesamte Führung des Dramatic Art Center (DAC) ausgetauscht, das alle Theateraktivitäten des Iran, einschließlich des Fadjr-Festivals koordiniert, finanziert und kontrolliert. Doch der neue Vasall an der Spitze hielt sich gerade ein paar Monate und es folgte mit Hossein Parsaee erstmals seit der Gründung des Festivals kein Funktionär, sondern ein Theaterpraktiker. Das Gespräch in seinem (wie überall im Iran) völlig überheizten Büro verläuft vorsichtig. "Das Theater ist ein Kritiker der Gesellschaft und das ist im Iran nicht anderes", sagt er, doch welche Produktionen den Finger auf die Wunde legen, dazu möchte er sich nicht äußern. Parsaee hat zunächst einmal vom Parlament eine Budgetaufstockung gefordert: das gesamte Theater Irans lebt momentan von umgerechnet sieben Millionen Euro, jetzt sollen drei Millionen dazu kommen. Weiter möchte Parsaee die Eigeninitiative der Gruppen stärken, die Verantwortung dezentralisieren und Theatermacher ermutigen, selbständig Kontakte zum Ausland zu knüpfen. Wie das genau aussehen soll, bleibt bei diesem dialogischen Tanz auf dem Hochseil der Doppeldeutigkeit allerdings im Dunkeln. Genauso wie Parsaees unspezifizierter Hinweis auf Festivalbeiträge, "die auch für diese Herrschaften (die Parlamentsabgeordneten, d.A.) interessant waren."

Es bleibt dahingestellt, ob er damit auch die Torment Symphony des Regisseurs und Fernsehmoderators Hossein Pakdel meinte. Ein bitterböses Stück, das in Anlehnung an Alexander Tis?mas Erzählung Schule der Gottlosigkeit einen Folterer zeigt, der sein Opfer zu Tode quält, um damit sein krankes Kind zu retten. Pakdel hat daraus ein ungeheuer bedrängendes Spiel gemacht, das die gesamte Emotionsklaviatur von Brutalität und Angst bis absurder Komik durchläuft. Und man wundert sich, wie die Inszenierung die Zensur überstanden hat.

Wie die iranischen müssen auch alle ausländischen Truppen die Zensur durchlaufen. Seit 1999 gastieren regelmäßig ausländische Theater beim Festival, in diesem Jahr aus Russland, Frankreich, Polen, Italien und Österreich. Aus Deutschland ist nach dreijähriger Pause wieder das Theater Mülheim an der Ruhr dabei, das Inszenierungen von Dantons Tod und König Lear im Gepäck hat. Am Morgen der Aufführung von Dantons Tod erscheinen der Künstlerische Direktor und der Manager des Fadjr-Festivals in der Vahdat-Halle und sehen sich eine Durchlaufprobe an - beäugt von den am Portal hängenden Porträts von Khomeini und Revolutionsführer Khamenei.

Die beiden Herren konzedieren mit freundlichem Ton, dass Ciulli bereits in Mülheim sehr gut vorgearbeitet habe und monieren doch eine ganze Liste an "Verfehlungen". Grundsätzlich gilt: Frauen müssen in der Öffentlichkeit, das heißt auch auf der Bühne, Kopftuch tragen, außer Händen und Gesicht dürfen keine Körperteile oder Körperformen zu sehen sein; Mann und Frau dürfen sich nicht berühren; Frauen dürfen nicht tanzen. Dass Roberto Ciullis Inszenierung mit grotesken Mitteln von einer Revolution erzählt und deren Akteure als alternde Knatterrevoluzzer vorführt, von denen der eine ein verklemmter Tugendwächter mit Vorliebe für die Guillotine, der andere ein gelangweilter Lebensverkoster ist - all das interessiert die Zensoren nicht.

Am Abend der Aufführung ist die repräsentative Vahdat-Hall, in der zu Schah-Zeiten immerhin Maria Callas sang, ausverkauft. Ciullis Inszenierung wird mit viel Beifall bedacht. Doch in Gesprächen äußern sich die jugendlichen Zuschauer skeptisch. So genau sie die politische Bedeutung des Abends erkennen, mit ihrer eigenen Lebenssituation habe das eigentlich nichts zu tun. Die jungen Iraner und Iranerinnen - zwei Drittel der Gesellschaft sind unter 30 Jahre alt - erweisen sich als wache und intelligente Gesprächspartner, die durch das Internet gut informiert sind. "Die Jugend ist sehr westorientiert", sagt denn auch die junge Fernsehregisseurin Niloufar Taghizadeh, die einige Zeit in Deutschland gelebt hat und nun wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Doch sie erzählt auch von einer großen Erschöpfung, die inzwischen alle Generationen erfasst habe. "Alle sind müde", sagt sie und zitiert ihren Vater, der ihr als Lebensmaxime empfohlen habe: "Geh in der Mitte!" Die Gespräche bestätigen es: Gerade unter Jugendlichen macht sich offenbar Resignation breit angesichts der offiziellen Heuchelei. Und auch wenn man Zwänge wie das Alkoholverbot auf privaten Partys konsequent unterläuft, letztlich bleibt vielen nur die Flucht in die Ironie: Wenn jungen Iranerinnen das Kopftuch mal verrutscht, wird dies mit dem bissigen Ausspruch "Islam in danger!" (Islam in Gefahr!) kommentiert.

Auch das Theater scheint dabei als Ventil zu funktionieren. Doch nicht im Sinne einer Kritik politischer Zustände. Beim Fadjr-Festival beherrscht ein merkwürdiges, vielleicht auch politisch gewolltes anything goes das Programm. Ein Festival-Allerlei aus Komödie, Körpertheater, performanceartigem Bildertheater, Boulevard, Folklore, Mythischem, Straßentheater bis zu experimentellem Studententheater, wo sogar erste ungelenke Schritte in Sachen Tanztheater mit Frauen zu sehen waren. Leitthemen sind schwer auszumachen; Ahmadinedschads in der Festival-Zeitung abgedruckte Forderung nach einer engen Verzahnung von Theater und Religion gehört jedenfalls nicht dazu. Am deutlichsten vielleicht die Verarbeitung von Kriegstraumata, die der Bürgerkrieg und der Konflikt mit dem Irak hinterlassen haben. So zeigt das Stück Ultimately my vertebras play fife tonight einen Mann, dessen Ehe unter dem Ansturm der Albträume, Schuldgefühle, die der Krieg hinterlassen hat, regelrecht zerbricht.

Viele Produktionen überzeugen dabei in ihrer emotionalen Direktheit, wirken aber mit ihrem psychologischen Zugriff, einem halbgaren Naturalismus oder hemmungsloser Charge eher antiquiert. Das hat - und da sind sich iranische Beobachter weitgehend einig - mit den schwach entwickelten Theaterstrukturen des Iran zu tun. Der junge Regisseur Homaoun Ghani Zadeh erzählt, dass es kaum professionell arbeitende Gruppen gibt, die kontinuierlich arbeiten. Private Spielstätten sind Mangelware und angemessene Proberäume oft ein Problem. Die meisten Produktionen werden privat vorfinanziert, erst nach der Abnahme durch die Zensur fließen öffentliche Gelder. Weshalb Schauspieler und Theaterregisseure meist mehrere Jobs haben - wie Zadeh, der sich mit einem eigenen Café über Wasser hält. Dass er trotzdem mit Daedalus and Icarus eine Produktion zustande brachte, die zurecht als beste Inszenierung ausgezeichnet wurde, ist um so verwunderlicher.

Die beiden mythischen Figuren basteln in dieser sehr auf körperliche Aktion und Spielwitz setzenden Produktion den ganzen Abend an einer Flugmaschine herum, bringen sie schließlich in die Luft - und zum Absturz. Natürlich lässt die Suggestion, dass Zuschauer und Akteure gemeinsam im Labyrinth sitzen auch eine politische Lesart zu, doch zunächst ist das artistisches, hochpräzises, komisches, pralles Theater.

Dädalus and Icarus, wie auch Torment Symphony und Leopard cleans his spots, gehört zu den Produktionen, die Roberto Ciulli nach Mülheim eingeladen hat. Zum zweiten Mal ist es ihm gelungen, mit dem DAC eine Vereinbarung zu schließen, die allerdings mehr als nur den Austausch von Produktionen regelt. Erstmals soll das Mülheimer Theater auch außerhalb des Fadjr-Festivals auftreten, soll Workshops und eventuell auch eine Koproduktion auf die Beine stellen. Ob sich dies alles so realisieren lässt, hängt jedoch von der politischen Großwetterlage ab. Und die sieht, nimmt man nur die Halsstarrigkeit der iranischen Hardliner und die systematischen amerikanischen Provokationen wie zuletzt in Erbil oder die nun autorisierte Tötung von iranischen Agenten im Irak, momentan nicht rosig aus. Aber bekanntlich stirbt ja die Hoffnung zuletzt.


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