Köln ist Ford

Stadt-Theater West Am Kölner Schauspiel startet die neue Intendantin Karin Beier mit einem gewagten Premierenreigen

Das rheinische Gemüt ist bekanntlich auf katholisch-sinnliche Unmittelbarkeit geeicht. Weshalb sich Köln nicht nur als Hochburg des Karnevals versteht, sondern gerade für die bildenden Künste und das Fernsehen einen besonders guten Nährboden darstellt. Auch auf der Bühne schätzt man eher pralles Schauspielertheater als kopflastige Diskursexerzitien oder mittelmäßige Darstellerpirouetten. Insofern richten sich nach fünf Jahren theatraler Dürre nun die Hoffnungen auf den Dienstantritt von Intendantin Karin Beier, die das Schauspiel wieder auf (rheinischen) Erfolgskurs bringen soll.

Doch die gebürtige Kölnerin verordnete ihrer Heimatstadt zum Auftakt eine kräftige Portion experimentelle Kost. Ihre eigene Nibelungen-Inszenierung wurde flankiert von gleich drei Projekten. Mit hohen Erwartungen ins Rennen ging dabei vor allem Tom Kühnels Produktion Fordlandia, die am Beispiel der Geschichte der Ford-Werke in Köln die theatrale Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte suchte - womit anders als in Berlin, München oder Essen in der Domstadt Neuland beschritten wird. Der Abend in einer Industriehalle beginnt vielversprechend: Puppenspielerin Suse Wächter erzählt mit Hilfe einer Henry-Ford-Puppe von Fließband und Arbeitsteilung, von Nazibegeisterung und dem Sterben des Autokönigs und Firmenpatriarchen. Eine Chorusline aus Ballettmädchen demonstriert kurz den Einzug des Fordismus in die Unterhaltungsindustrie. Doch als es um das Kölner Fordwerk gehen soll, versagt die Dramaturgie: Man witzelt sich plump durch die Gastarbeiter-Education der 60er Jahre, zeigt Ford-Manager Lee Iacocca in Auseinandersetzung mit Henry Ford II, spielt die WDR-Dokusoap Die Fussbroichs nach oder verweist mit einer Geisha auf die von Toyota eingeführten Produktionsmethoden des Kaizen. Über das Kölner Fordwerk mit seinen fast 30.000 Arbeitern und seine Bedeutung für die Stadt ist kaum etwas zu erfahren. Nur am Ende wird in einem hysterischen Schnelldurchlauf der legendäre Streik türkischer Ford-Arbeiter 1973 quasi mutwillig nachgeliefert.

Nebenan ging es da wesentlich eindrücklicher zu. Die dänisch-österreichische Gruppe Signa um Signa Sørensen und Arthur Köstler hatte für ihre mehrtägige Performance Die Erscheinungen der Martha Rubin ein Wellblechdorf aufgebaut, in dem Militärs eine Sekte bewachen. Der Besucher wird beim Eintritt von Soldaten erkennungsdienstlich behandelt und instruiert. Anschließend wandelt man durch die Hüttenansammlung namens Rubintown, kann mit den von Schauspielern verkörperten Bewohnern sprechen, in einem Restaurant essen, die Titel gebende Martha Rubin in ihrem Schrein besuchen, obskure Waren aus östlicher Produktion erstehen, eine Peepshow anschauen und sogar übernachten.

Die Performance dauert an den drei Aufführungsterminen zwischen 36 und 82 Stunden und formuliert so das Theatrale als entdramatisierte Totalsimulation des Alltags aus, die die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt. Obwohl alles Spiel ist, ertappt man sich doch bei dem klassischen Diktaturreflex aus Ängstlichkeit und Provokationslust sowie dem tröstlichen Gedanken, dass außerhalb der Halle sicheres Terrain wartet. Denn die Hermetik der Darstellung bleibt undurchdringlich, man kommt den Schauspielern nicht bei. Hat man dann die Halle verlassen, stellen sich prompt Nachwirkungen ein, wenn man vorübergehend jedem Menschen einen simulatorischen Subtext unterstellt. Ein so merkwürdiges und faszinierendes Programm im Kölner Experimentalreigen, das schließlich komplettiert wird durch die Produktion Heute: Raum Lumina, ein skurriles Stück Tanztheater des australischen Regisseurs Vincent Crowley.

Alle drei Produktionen sind ein deutliches Signal, welche Wagnisse Karin Beier einzugehen bereit ist und wie weit sie sich dabei Themen und ästhetische Formen das Off-Theater einverleiben will - angestachelt vermutlich durch den literarischen und formalen Konservatismus der Freien Szene in der Domstadt, dem sie mit ihrer Inszenierung von Friedrich Hebbels Die Nibelungen zuarbeitete.

Die deutschen Recken sind auf Thomas Dreissigackers Sperrholzbühne zur ehrenwerten Firma in Sachen Demokratie, Weltfrieden und Globalisierung geworden. Man trägt Anzug und verschachert die Frauen; der Kampf um Brunhild wird per Sportkommentar wie 1954 begleitet, und Siegfrieds Tod samt medialer Sprachregelung im Nibelungen-Küchenkabinett beschlossen, bevor man im Gartencenter-"Fichtensortiment" den deutschen Helden meuchelt.

Karin Beiers inszeniert ein assoziationsreiches Spiel zwischen Kalauer, Politik und Leidenschaft, ohne sich auf eine Lesart festzulegen. Zwar ruft Gunther später mit Bush-Zitaten zum Zug nach Osten auf, wo Etzel wie ein Polit-Sumo-Ringer in gelber Toga und mit Glatzentattoo haust. Doch die Regisseurin verdichtet das Geschehen nach der Pause immer stärker auf ein Familiengemetzel, in dem Hass, Treue und falsch verstandenes Heldentum sukzessive jede politische Weitsicht aufzehrt. Das lässt dem beeindruckenden Ensemble weiten Auslauf, den vor allem Patrycia Ziolkowska als Kriemhild mit einem Emotionsglissando von der lustvoll Liebenden bis zur hassenden Megäre, Michael Wittenborn in der Rolle des sarkastisch-bürokratischen Machtverwesers Hagen sowie Carlo Ljubek ausnutzen, der den Siegfried als naiv-erotischen Draufgänger zwischen Michael Mittermeier und Mick Jagger spielt. Das Publikum dankte die satte Portion Schauspielerelan mit begeistertem Jubel.

Termine unter www.schauspielkoeln.de


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