Nur der Reichtum ist ein Rätsel

Bühne Armut ist, wenn man aufgedünsen vor dem Fernseher bölkt: Roger Vontobel inszeniert in Bochum Brechts "Im Dickicht der Städte" klischeereich und ohne Mut zum Risiko

Der bürgerliche Salon weicht dem Dschungel der Großstadt: Jana Schulz, die Darstellerin der Hedda Gabler, verletzte sich so schwer, dass die Inszenierung von Ibsens gleichnamigem Stück am Bochumer Schauspielhaus abgesagt werden musste. Stattdessen rückt Bertolt Brechts früher Klassiker Im Dickicht der Städte in den Spielplan, sein vielleicht merkwürdigstes und ungreifbarstes Stück.

Regisseur Roger Vontobel, der es bereits im vergangenen Jahr am Pariser Théâtre de la Colline herausgebracht hat, malt die prekäre Existenz des George Garga (Florian Lange) kräftig aus. Er jobbt in einer Videothek, trägt rotes labbriges Unterhemd zu Jeans, seine Tahiti-Träume lebt er in einer Bar mit Fototapete aus, er tobt nackt herum. Seine Eltern sind mit Körperpolstern aufgedunsene Sofahocker, fressen Chips tütenweise und bölken empört vor sich hin. Die Armut als Klischee.

Der Reichtum von Gargas Gegenspieler, dem Holzhändler Shlink, wirkt da rätselhafter. Matthias Redlhammer mit grauer Kurzhaarfrisur und im schwarzen, priesterlich hochgeschlossenen Anzug, macht sein unmoralisches Angebot mit wohlgesetzten Argumenten und leiser Stimme. Ein reicher, an einer Sinnkrise leidender intellektueller Feingeist, der sich allerdings mit halbseidenen Elementen, die in Netzhemden, kitschigen Anzügen plus Goldkettchen stecken, umgibt. Sein Versuch, aus purer Laune Garga seine Ansichten abzukaufen, hat kafkaeske Qualität: Der kleine Angestellte stolpert voller Ungläubigkeit, Angst und Empörung in diesen „Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago“, wie das von 1921 bis 1926 in zwei Fassungen entstandene Stück im Untertitel heißt.

Wie aber steht es um Brechts Urbanismuselegie, wo nun die Hälfte der Weltbevölkerung in Großstädten lebt? In Shlinks Loft mit Lederpolstern hängen Wandplatten mit LED-Lämpchen, die die Großstadttopographie (Bühne: Claudia Rohner) nachzeichnen und später krachend herunterstürzen. Was bleibt, ist ein Trümmermeer à la Caspar David Friedrich. Die Romantisierung des Konflikts ist bei Vontobel stets in Reichweite, dazu trägt auch der Musiker Daniel Murena bei, der den Kampf mit melancholischen Balladen untermalt.

Garga findet schnell Gefallen an der neuen Konstellation und setzt seine Autorität unsicher fuchtelnd mit der Pistole durch. Der Anzug schlabbert ein wenig, er inszeniert seine gutbürgerliche Hochzeit mit Freundin Jane (Nadja Robiné) unterm violetten „Sweet Home“-Baldachin und irrt in gelegentlichen Videoeinspielungen durch die Stadt. Währenddessen schleicht sich der Malaie Shlink in seine Familie ein, zeigt die schmutzverzierte Brust: angemaßtes Proletariertum. Arm gegen Reich, Körperlichkeit gegen Intellektualität, Ahnungslosigkeit gegen Strategie – in Bochum sortiert sich der Konflikt der beiden Widersacher zu immer simpleren Oppositionen. Garga geht in den Knast, und als er wieder herauskommt, gehen Jane und seine Schwester Marie (Maja Beckmann) auf den Strich. Er verbündet sich mit einem rassistischen Demagogen („Können wir uns wehren? Ja. Können wir zuschlagen? Ja. Können wir töten? Ja.“). Schließlich tollen Garga im Adams- und Shlink im Affenkostüm über die Bühne, im Hintergrund tobt akustisch die Lynchjustiz, und man wird das Gefühl nicht los, einem Stadttheaterabend beizuwohnen, der sich in seinem abgesicherten Modus von Beginn an auf der richtigen Seite weiß – ohne je über die dramaturgischen oder interpretatorischen Stränge zu schlagen.

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