Peng-Peng-Peng

Elspe Festival Karl May als Brennstoff einer Illusionsmaschine, die gesellschaftliche Konflikte und Klischees gleichermaßen zum Vorschein bringt

Der kleine Junge ist nicht ganz zu überzeugen. "Aber sie hat doch geschossen", sagt er insistierend zu seiner Mutter, die ihm geduldig mit einem "Das ist wie im Fernsehen" das Fiktionale einer Stuntshow zu erklären versucht. Was den Jungen so beeindruckt hat, ist das Stunt-Team des Elspe Festivals. In einer eigenen Show führt es Reiterkunststücke, Schlägereien und Stürze von Häusern vor und zerstört vorab die Illusion, die später auf der Bühne erweckt werden soll. Allerdings nicht völlig. Die Stunts scheinen zunächst Männersache; Szilvia, die einzige Frau im Team wird gedemütigt und lächerlich gemacht - bis sie sich grausam rächt und die Stunthelden reihenweise verprügelt, von den Dächern schießt und in die Luft sprengt. Denkt man an die Diskussion über mangelnde männliche Vorbilder für Jungs in Schulen, war es vielleicht doch nicht nur das knallende Gewehr dieser Lara Croft im schwarzen Lederoutfit, das den kleinen Besucher erschreckt hat.

So kann man beim jährlich stattfinden Elspe Festival dem zeitgenössischen Kult der Zerstreuung auf die Spur kommen. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Das Elspe Festival erwirtschaftet bei Besucherzahlen von 170.000 ohne öffentliche Zuschüsse einen jährlichen Umsatz von 4,2 Millionen Euro. 30 fest angestellte Kräfte, die allesamt Teilhaber der Festival GmbH sind, und 130 freie Mitarbeiter verdienen dort ihr Geld - im Sommer mit den Karl-May-Festspielen, im Winter mit Veranstaltungen für Firmen und Vereine. Das Elspe Festival ist ein Wirtschaftsunternehmen, nicht mehr und nicht weniger.

1950 wurde Elspe als Klassiker-Festival gegründet. Vierzehn Jahre später wendete man sich Deutschlands berühmtesten Trivialautor zu und zählt neben Bad Segeberg und Radebeul zu den Karl-May-Weihestätten. Anfangs eher amateurhaft, wie sich Geschäftsführer Jochen Bludau erinnert: "Man stellte da einen hin, der deklamierte, und unten lief ein Ackergaul vorbei." Seit 1967 professionalisierte sich das Festival, auch um einen entscheidenden Standortnachteil wettzumachen: Elspe liegt im Sauerland, das trotz seiner landschaftlichen Reize keine Urlaubsregion ist. 80 Prozent der Zuschauer kommen deshalb aus NRW, der Großteil davon Familien mit Kindern, die "nur" des Festivals wegen nach Elspe fahren. Um die Verweildauer zu erhöhen, habe man deshalb das Angebot um die Inszenierung herum erweitert. Dafür steht ein Gelände von 14 Hektar zur Verfügung, das sich mit seiner Gestaltung als Westernfort zunächst wie eine Art gated entertainment community präsentiert. Im Innern erweist sich das Areal als großer Parcours, der den Zuschauer ständig in Bewegung hält. Dazu gehört die eingangs beschriebene Stuntshow in einer Rodeo-Arena; eine so genannte Grill City, in der unter Plastik-Freiheitsstaue und hölzernem Totempfahl (!) Westerntypisches wie Putengeschnetzeltes oder Fritten mit Currywurst verkauft wird; ein kleiner Zug mit Dampflok lädt zur Rundfahrt im Gelände und in einer Showhalle sind Akrobatik- und Musikshows zu sehen, in diesem Jahr eine tansanische Truppe, Black Leopards - Africa.

Das Zentrum des Geländes bildet ein Marktplatz, an dem, wie sollte es anders sein, neben den Eingängen zur Freilichtbühne auch der Saloon sowie Merchandising-Geschäfte und Imbissbuden liegen; alles im ein- oder zweistöckigen Westernstil, versteht sich. In "Maggys General Store" gibt es neben indianischen Traumfängern, Cowboyhüten und Friedenspfeifen natürlich auch Spielzeugwaffen. Vor allem Winnetous Silberbüchse findet bei Jungs reißenden Absatz. Fürs ökobeflissene Jung-Bleichgesicht hält man auch Naturholzgewehre bereit. Munition wird nicht verkauft. Und so laufen die zahlreichen Klein-Winnetous unter lautstark gerufenem "Peng-Peng-Peng" durchs Gelände - und wecken bei ihren Eltern gleichzeitig Erinnerungen an die eigene Kindheit. Denn nur die haben, wenn überhaupt, noch einen Bezug zu Karl May.

Ob die Stuntshow mit ihrem knalligem Feminismus, die Erinnerung produzierende ´Gewaltlosigkeit´ von Waffen ohne Munition oder der allgegenwärtige Hinweis auf ökologische Richtlinien innerhalb der komplett künstlichen Westernstadt samt ihren Frittenbuden - Elspe präsentiert sich als gewaltige Illusions- und Desillusionsmaschine, in der gesellschaftliche Widersprüche offen sichtbar werden. Und das gilt schließlich auch für die Inszenierung Der Ölprinz. Wo sich Stadttheater eher verschämt Filmdrehbücher aneignen, geht man hier ganz offen mit der massenkompatiblen Adaption um. "Wir mussten uns", so Jochen Bludau, "an den Filmvorlagen orientieren. Ende der sechziger Jahre nahmen wir Elemente des sakralen Western auf, dann kam der Italowestern, dann der Komik-Western mit Terence Hill und Bud Spencer. In diesem Jahr orientieren wir uns mehr an James Bond." Was das heißt, ist klar: Action.

So beginnt die Inszenierung denn auch gleich mit einer Schlägerei, bei der Banditen sich mit akustisch verstärkten Punches die Birne einhauen, ein Tipi in die Luft sprengen, während eine sonore Erzählerstimme erklärt, dass der beginnende Öl-Rausch in Arizona für die Indianer Elend und Vertreibung zur Folge hatte. Die Unterhaltung sichert sich mit einem historischen Verweis erst einmal ab. Die Geschichte vom Ölprinz, die bei Karl May viele Wendungen nimmt, ist in Elspe aufs dramaturgisch Signifikante herunterdividiert. Letztlich geht es darum, dass der "Ölprinz" Grinley und seine Bande durch den Verkauf einer fiktiven Ölquelle an einen Bankier Kasse machen wollen, was Winnetou und Old Shatterhand jedoch verhindern. Anfangs gibt die Inszenierung viel Milieu, lässt Navajo-Indianer aus ihren fünf Tipis kriechen, zeigt einen Siedlertreck, der von Trapper Sam Hawkins als komischer Figur geleitet wird, Winnetou und Old Shatterhand reiten ein. Die Breite der Naturkulissen-Bühne von 96 Metern sowie der Zuschauerraum mit 4.000 Plätzen bringt es mit sich, dass die erfahrenen Darsteller durchweg sehr körperlich agieren und Emotion oder Handlungsmotivation dabei auf der Strecke bleiben. Nicht anders als im Actionfilm.

Die Rollen sind naturgemäß klar verteilt. Während Grinley die Navajo-Indianer instrumentalisiert und den Siedlertreck als Geisel nimmt, versuchen sich Winnetou und Old Shatterhand zunächst als Diplomaten, sind aber dann gezwungen, mit Gewalt einzugreifen. Die Szenen werden routiniert gespielt, wobei Theater und Film eine merkwürdige Allianz eingehen. Einerseits läuft die Actionmaschinerie auf Hochtouren, wenn Tipis, Hütten oder am Ende Ölfässer in die Luft gejagt werden und Grinley einen 20 Meter hohen Wasserfall herunterstürzt. Andererseits lehnt sich die Dramaturgie an die barocke Nummernoper an: die Einritte im gestreckten Galopp, die Fahrten der Postkutsche und des Trecks machen jede Szene zur geschlossenen Nummer, die vom Publikum beklatscht wird. Und was im Barock der Effekt der Koloratur war, das sind in Elspe Actionszenen sowie komische Einlagen von Sam Hawkins oder der Anführerin des Trecks, die ihren Ehemann zur Karikatur degradiert. Am Ende steht natürlich das lieto fine, das Happy End. In einer Schlussapotheose stellen Winnetou und Old Shatterhand den Völkerfrieden wieder her und die Navajos geben dem Treck ein Stück Land zum Siedeln. Der Kitsch als rückwärtsgewandte Utopie. Und für den kleinen Jungen bleibt, dass angesichts von schießenden Stuntwomen und hyperresoluten Ehefrauen nur die Männerfreundschaft zählt. Das wäre dann das Gegenteil der Utopie.


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