Stefanie Carp hat ihre dreijährige Intendanz der Ruhrtriennale mit „Zwischenzeit“ überschrieben. Also eine Zeit des Übergangs und der Veränderung, die von Migration und technischen Innovationen, aber auch von Rassismus und Nationalismus geprägt ist. Beweglichkeit und Haltung sind gefragt, um die Herausforderungen zu bestehen. Dass Stefanie Carp noch vor Beginn des Festivals dem Verlangen nach Haltung derart fragwürdig nachkommen würde, hatte man allerdings nicht erwartet. Entzündet hatte sich der Konflikt an der Einladung der schottischen Band Young Fathers, die der extrem israelkritischen BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) nahesteht. Einladung, Ausladung, Wiedereinladung und Auftrittsverzicht der Band zeichneten einen Schlingerkurs der Unentschiedenheit. Carp soll sich dann vor dem Kulturausschuss des Landtages nach übereinstimmenden Aussagen von Politikern trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zum Existenzrecht Israels bekannt haben, was eine Vorladung bei Kulturministerin Isabelle Pfeiffer-Poensgen nach sich zog. Danach erst legte die Ruhrtriennale-Chefin eine Erklärung vor. Deutliche Kritik kam inzwischen nicht nur von jüdischen Verbänden und der israelischen Botschaft, auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte seinen Besuch bei der Ruhrtriennale ab, was wiederum der Regisseur Christoph Marthaler kritisierte.
Poetisch-groteske Bilder
Es geht dabei um mehr als ein Kommunikationsdesaster. Die „Zwischenzeit“ ist auch eine, die Wachsamkeit gegenüber Tabubrüchen erfordert. Am Anfang war das Wort – das gilt auch für den Rassismus und Antisemitismus. Mit dem Verweis auf die Freiheit der Kunst oder gar der Rede, wie Stefanie Carp eine für kommenden Samstag neu ins Programm gehievte und fragwürdig besetzte Diskussionsveranstaltung überschrieben hat, ist es da nicht getan. Nach der Eröffnung dann der nächste Eklat. Das türkische Hezarfen Ensemble sagt sein Konzert Music of Displacement ab mit der Begründung, seine Arbeit werde für „politische Schlagworte und Manipulationen verwendet“. Hintergrund ist ein Text im Programmheft, der von der „Umsiedlung von Armeniern, Griechen und Türken zwischen 1915 und 1923“ spricht und von dem türkischstämmigen Schriftsteller Dogan Akhanli zu Recht als Verharmlosung des Genozids an den Armeniern kritisiert wurde. Carp dürfte es schwerfallen, die Geister, die sie heraufbeschworen hat, wieder einzufangen. Aus ihrer „Zwischenzeit“ könnte ein kurzes Zwischenspiel werden.
Theater gespielt wird bei der Ruhrtriennale aber auch: Eröffnet wurde sie mit The Head and the Load des südafrikanischen Regisseurs William Kentridge. Auf der Cinemascopebühne der Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord wird ein Panorama der Ausbeutung afrikanischer Soldaten im Ersten Weltkrieg entrollt. Da tackern Morsezeichen um die Wette, ein gewaltiger Grammofontrichter wird über die Bühne geschoben: Der Erste Weltkrieg gilt als der erste große Medienkrieg. Vorangetrieben von einem emphatischen Moderator entfaltet sich ein gewaltiger Bilderbogen aus Animationsfilmen, Schattenspiel, Tanz, Gesang und Sprechtheater. Auf projizierten Landkarten werden Truppenbewegungen nachgezeichnet. Eine Soldatenprozession schleppt krude Objekte, die sich im Schattenwurf als Kanonen und zentnerschwere Lasten entpuppen. Ein energetisches Moskitoballett verweist auf die Umwelt-Strapazen. Die überbordende wie überfordernde Ästhetisierung überstrahlt dabei den Inhalt erheblich. Was nicht zuletzt auch an dem kongenialen Soundtrack des Komponisten Philip Miller liegt, der von Minimal Music über afrikanische Melodik und Rhythmik bis zu Satie oder Kreisler reicht. Kentridges Interesse gilt letztlich weniger dem Leid Einzelner als poetisch-grotesken Bildern der Ausbeutung. Erst am Ende, wenn die Totenlisten verlesen werden, bekommen die Opfer endlich Namen.
Die Auswirkungen des Krieges standen auch im Mittelpunkt des zweiten Theaterabends. So sinnlich überwältigend Kentridge sich dem Thema nähert, so streng und asketisch gehen Autor Mohammad Al Attar und Regisseur Omar Abussada zu Werke. Ihr Dokumentarstück The Factory thematisiert die gerichtlich nachgewiesene Verstrickung des französischen Baukonzerns Lafarge-Holcim mit allen Kriegsparteien in Syrien. Für den Weiterbetrieb eines Zementwerkes zahlte der Konzern reihum Schutzgelder, auch an den IS. Darüber hinaus wurden Arbeiter gezwungen, im Werk auszuharren. Die Journalistin Maryam recherchiert den Skandal aufgrund einer Mail des Arbeiters Ahmad, als Profiteure agieren der Teilhaber Firas und der windige „Vermittler“ Amr. Die Inszenierung erfüllt alle Forderungen eines retrospektiven Recherchestücks: Fakten werden auf eine Betonrotunde projiziert, die vier Darsteller sitzen meist an Schreibtischen. Ihre Texte beschreiben die eigenen Handlungsmotivationen, Dialoge ergeben sich nur bei nachgespielten Interviews oder Einstellungsgesprächen. Inhaltlich mag die Produktion überzeugen, ästhetisch bleibt sie Konvention. Hier das dokumentarische Trockenfutter, dort die sinnliche Überwältigung – vielleicht sind auch diese Gegenpole ein Zeichen von „Zwischenzeiten“.
Info
Die Ruhrtriennale läuft noch bis 23. September
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.