Schattenstimmen in Köln

Theater Im vergangen Herbst startete Karin Beier ihre Intendanz am Kölner Schauspiel mit der Vorgabe, "die Lebenswirklichkeiten der Stadt" zu spiegeln. Das ...

Im vergangen Herbst startete Karin Beier ihre Intendanz am Kölner Schauspiel mit der Vorgabe, "die Lebenswirklichkeiten der Stadt" zu spiegeln. Das hieß vor allem, dem Migrantenanteil von fast 30 Prozent Rechnung zu tragen. Mehr als ein paar Rollenbesetzungen mit migrantenstämmigen Schauspielern kamen dabei zunächst nicht heraus. Inzwischen aber gewinnt der Vorsatz Kontur. Nach der Kölner Affäre von Alvis Hermanis, die die Übertragung von Alltagsleben ins Bühnenbiotop betrieb. Bevor Ende des Monats Nuran Calis´ Stunde Null, Vol. I-III über die Geschichte der Migration in Deutschland folgt, kam jetzt Feridun Zaimoglus und Günter Senkels Schattenstimmen zur Uraufführung, die das Leben von Illegalen beziehungsweise Menschen ohne Papiere in Deutschland schildert.

Bereits in ihren Schwarzen Jungfrauen hatte das Autorenduo kämpferische Muslima in ausgedehnten Monologen zu Wort kommen lassen. Dem Modell folgen nun auch die Schattenstimmen. Neun Monologe, die mit kunstsprachlich aufgerauter Diktion das Leben von Illegalen ausbreiten: da ist der marokkanische Tellerwäscher; der Dealer, der AIDS ("Afrika Ist Dumme Sau") für eine Verschwörung der Weißen hält; oder das "EU-erweiterte Puderdöschen" Nora, das lustvoll und professionell als Prostituierte arbeitet. Dazu Altenpflegerin und Roma, Au-Pair-Mädchen und Strichjunge, die in einem Ton zwischen Kulturkampf, Sexismus, Rassismus, Verschwörung und trotziger Unterwerfung ihr Leben beschreiben. Ein Ton, der Identifikation und Mitleid des aufgeklärten westeuropäischen Gutmenschen sofort unterbindet und dafür die moralische Falltür weit aufreißt. Mit großer Lust und einem kräftigen haut goût inszeniert das Stück so sein Schwanken zwischen Klischee und Provokation.

Die Inszenierung von Nora Bussenius in der Kölner Schlosserei hilft dem nicht ab. Die fünf Darsteller sind auf einer kleine Tribüne den Zuschauern gegenüber platziert (Bühne: Thomas Dressigacker/Daniela Flügge). Aus dem anfänglichen Stimmengewirr im schützenden Dunkel der Blacks schälen sich allmählich die frontal zum Publikum gesprochenen Monologe heraus. Anja Herden stolziert als Prostituierte Nora in ihren grauen Leggings wie eine Königin im Reich der Lüste umher ("Man zwingt mich nicht zur Arbeit, die ich mache.") und zieht über stinkende Franzosen her. Während Schuberts Klaviersonaten die hochkulturelle Gesellschaftsharmonik ins Ohr pumpen, steigert sich Patrick Gusset als Dealer im Arztkittel in einen bösartig-satirischen Dr. Seltsam des Drogendeals hinein, der sich zynisch über die Linken lustig macht ("Ich als Afrika profitiere vom Kapital, und bei all diesen Typen habe ich Akzeptanz, nur sie sind Antikapital"). Andreas Grötzingers marokkanischer Tellerwäscher gibt Unterricht, wie man als "Minusmarok" weiße Frauen im Tanzpalast abschleppt.

Immer wieder übermalen sich die Schauspieler ihre Gesichter mit weißer oder schwarzer Farbe, ziehen farbfleckige Kostümteile über und inszenieren so Spiel der Masken, Identitäten und Klischees. Das überaktionistische Getriebe lenkt dabei allerdings von den Texten eher ab anstatt zu ihnen hin. Ausnahme in diesem amoralischen Quintett ist eine 39jährige Ukrainerin (Renate Fuhrmann), die erzählt, wie sie nach Deutschland gekommen ist, ihren Mann bei einer halsbrecherischen Heimfahrt verloren hat und nun als kinderlose Altenpflegerin älteren Damen zur Hand geht. Ihre ergreifende Erzählung bietet einen Ruhepunkt, bevor die Inszenierung in einem abstrusen Tafelbild einer verschwörerisch raunenden Roma mit den Heiligen Drei Königen gipfelt. Über das Leben von Illegalen in Deutschland erfährt man an diesem Abend so gut wie nichts, umso mehr allerdings über die eigenen Vorurteile und Klischees - das ist nach 90 Minuten dann doch ein etwas schmaler Ertrag.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden