Schießen Sie auf das Schlagzeug!

Festival Vom grobkörnigen Schwarzweißfilm bis zum raffinierten Animationsfilm: Die 12. Bonner Videonale zeigt die ganze Bandbreite der zeitgenössischen Videokunst

Fünf junge Mädchen in verschiedenfarbigen T-Shirts sitzen in einem Klassenzimmer und sprechen beiläufig Dialoge aus dem Internatsfilm Picknick am Valentinstag und dem Kriegsfilm The Thin Red Line nach. Die Kamera erfasst sie in regungslosen tableaux vivants, manchmal mit Splitscreen, manchmal überlagern Naturgeräusche und O-Ton die Stimmen. Magdalena von Rudys Film Picnic ist ein knapp achtminütiges Stillleben, in dem sich Theatralität und Emotionslosigkeit, Pubertät und Kriegserfahrung auf faszinierende und zugleich unbehagliche Weise berühren.

Magdalena von Rudys Arbeit ist eine von insgesamt 43 Filmen, die derzeit bei der 12. Videonale im Kunstmuseum Bonn zu
sehen sind. Das Festival für zeitgenössische Videokunst ist das älteste seiner Art. 1984 als Biennale gegründet und mittlerweile in ungeraden Jahren abgehalten, feiert die Videonale dieses Jahr ihren 25. Geburtstag – mit einem Rekord: 1.445 Beiträge aus 74 Ländern bewarben sich um die Plätze im internationalen Wettbewerb. Die Positionen sind weitgefächert: vom grobkörnigen Schwarzweiß-Film über die Standbild-Collage bis zum Animationsfilm. Auffallend ist die stupende Virtuosität, die in den technischen Möglichkeiten schwelgt, ohne den Film zum Experimentierfeld zu
machen. Da zeigt Zhenchen Liu in Under Construction eine digitalisierte Kamerafahrt durch die Trümmer eines zerstörten Stadtteils von Shanghai. Ulu Braun entwirft in dem 15-minütigen Animationsfilm Rhabarber Boy die Geschichte eines archaischen Jungen in einem gewaltigen
Rhabarberfeld, der gierige Flugsaurier füttern muss und auf Comic-Helden stößt.

Das Jubiläum der Videonale, die ihren altertümlichen Namen zum Markenzeichen gemacht hat, reizte zum Rückblick, ein Review-Programm der Videonalen 1 bis 11, das Positionen von Marcel Odenbach bis zu Julia Oschatz versammelte. Im Abgleich mit den Arbeiten fiel als zweite Tendenz der aktuellen Auswahl ein Hang zu narrativen Dramaturgien und längeren Formaten auf. Bestes Beispiel ist der mit dem Videonale-Preis ausgezeichnete Film Attica von Manon de Boer. Ein zarter Schwarzweißfilm, der den Musiker Frederic Rzewski mit zwei Kollegen beim Spielen des Stücks Coming Together zeigt, einem vertonten Gedicht über einen Gefängnisaufstand. Die Kamera fängt die Musiker ein, vollzieht einen 360-Grad-Schwenk durch ein Feld der Unschärfe. Eine zirkuläre Bewegung, die das Gefühl der Desorientierung im Gefängnis mit sequenzierenden Klängen verbindet.

Insgesamt ist in der Bonner Auswahl ein möglicherweise krisenbedingter Rückgriff auf gesicherte Erzählpositionen festzustellen. Das gilt auch für kürzere Arbeiten wie Tom Dales Shot Through, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt, wo ein Schlagzeug durch Schüsse „hingerichtet“ wird, oder Miguel Angel Rios’ Film Matambre, der einen Tangotänzer, zwei Koteletts und hungrige Straßenhunde zusammenbringt. Nur teilweise überzeugen konnten die Videonale-Symposien. Während sich das Thema „Videokunst und Internet“ in Projektvorstellungen erschöpfte, offerierte die Frage nach „Partizipativen Archivprozessen“ einen spannenden Ausblick auf Formen der Publikumsteilhabe, die von simpler Präsentation bis zu kooperativer Forschung reichten. An Anregungen für die nach einer Struktur des „Open Archive“ suchende Videonale mangelte es nicht. Hans-Christoph Zimmermann

12. Videonale Kunstmuseum Bonn, bis 26. April, Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr, videonale.org

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