Unter Erfolgsdruck

Pauschaltourismus Das Düsseldorfer Schauspiel startet unter der Intendanz von Amélie Niermeyer in seiner erste Spielzeit

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, heißt es bei Hermann Hesse. Der Volksmund kontert mit der Behauptung, dass aller Anfang schwer sei. Am Düsseldorfer Schauspielhaus, wo die frühere Freiburger Intendantin Amélie Niermeyer nun ihre erste Spielzeit eröffnete, hat zweifellos das Sprichwort recht. Nach den ersten fünf Premieren fällt die Bilanz erschreckend schwach aus und dies obwohl die Intendantin mit Stephan Rottkamp, Daniela Kranz, Jenke Nordalm, Stefan Bachmann und sich selbst durchaus gestandene Regisseure und Regisseurinnen präsentierte.

Am überzeugendsten geriet die Interpretation von Thomas Jonigks Hörst du mein heimliches Rufen. Jonigk, der als neuer Hausautor am Schaupielhaus fungiert, zeigt in seinem schwachen Stück die letzten Stunden eines Rüstungsmanagers im Kreise seiner Lieben: der desillusionierten Ehefrau, seiner tschechischen Hure, seinem Adoptivsohn sowie seinem Todesengel. Regisseur Stefan Bachmann macht daraus handwerklich virtuosen Slapstick der Gutbürgerlichkeit. In einer Wohnlandschaft aus Kirschbaumimitat und weißem Leder schreitet man zur Abrechnung. Ökonomisch-zynische Jovialität walzt gleichermaßen über den ehelichen (Alb)traum in Altrosa, die erfolgsgierige Highheelness aus dem Osten wie über die angejahrte anale Phase im Jogginganzug, die sich Sohn nennt, hinweg. Nur der Käsebrot mümmelnde, kauzige Engel lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Inszenierung überzeugt gerade deshalb, weil sie die Untiefen des Stücks als glänzend aufpolierte Oberflächlichkeit ausstellt.

Eher um die Mitläufer ökonomischen Effizienzdenkens ging es dann in Kathrin Rögglas Junk Space, in denen die Teilnehmer eines Seminars gegen Flugangst den ganzen ökonomistischen Neusprech auskotzen, mit dem sie ihr Ich marktgerecht auszurichten versuchen. Doch die Inszenierung von Daniela Kranz und Jenke Nordalm hetzt die Figuren bei diesen Vernissagen des Ichs wie Hamster ins neoliberale Diskursrad, wo sie denn auch prompt heißlaufen und kaum mehr als Langeweile produzieren - was um so bedauerlicher ist, weil Kathrin Röggla in ihrem Stück erstmals Raum für Sollbruchstellen der Individualität oder kleine surreale Widerhaken in ihre Textfläche eingefügt hat.

Wirklich bedenklich aber geriet die eigentliche Eröffnungsinszenierung mit Shakespeares Othello durch Oberspielleiter Stephan Rottkamp. Der versetzte im Hauruckverfahren die venezianische Highsociety an den Strand. Nachdem zunächst die Gesellschaft der Lagunenstadt als eine Art architektonisches Kastensystem vorgeführt wurde, geht es per Walkürenritt direkt ins zypriotische Paradies: Sandstrand, himmelblauem Rundhorizont und Wassergraben. Rottkamp ist kein theatralischer Kostverächter. Mit kräftigen Farben malt er das Grillvergnügen mit Bier und rassistischen Sprüchen. Doch der ständige Musikeinsatz sowie die eingestreuten Extempores fragmentieren die Dialoge zusehends zu einer dahintröpfelnden Bilderschau. Zudem ist der Othello des Felix Klare viel zu eindimensional auf körperliche Präsenz, der Jago des Patrick Heyn auf Sexualneid festgelegt. Immerhin deutet Rottkamp unter dem Eifersuchts- ein Drama der Misogynie mit den Frauen als Opfer männlichen Besitzanspruchs an. Doch der Inszenierung gelingt es nie, das Themenspektrum des Stücks über die Figuren aufzufächern; es bleibt eine Schau bunter Einfälle: Theatraler Pauschaltourismus.

Selten ist eine Neuintendantin im Vorfeld medial so gefeiert worden wie Amelie Niermeyer. Zudem hatte die Stadt ihr mit Neu- und Umbauten des Hauses am Gustaf-Gründgens-Platz regelrecht den roten Teppich ausgerollt: von der Bühnentechnik über die Foyerräume, Akustiksegel und neue Bestuhlung bis zu einem neuen Probengebäude inklusive Studiobühne, das im Frühjahr 2007 in Betrieb geht. Viele Vorschusslorbeeren für die Intendantin, die dann mit ihrer Einstandsinszenierung von Elias Canettis selten gespielter Farce Hochzeit herb enttäuschte. Canettis Satire auf die bürgerliche Moral enthüllt zunächst in einem Vorspiel die unstillbare Gier der Bewohner auf das Erbe der Hausbesitzerin Gilz und führt im zweiten Teil eine Hochzeitsgesellschaft vor, die von 14 bis 80, von Braut bis Hausarzt, alle ums goldene Sexkalb herumhecheln. Am Ende des revuehaften Totentanzes fallen Haus- und Weltuntergang in eins.

Was im Entstehungsjahr 1932 prophetischen Charakter hatte, wurde in Düsseldorf zur Geisterbahn müder Skurrilität. Die Regisseurin reduziert das Personal zum allzu bekannten Kuriositätenkabinett, von der geilen Brautmutter über den nosferatischen Apotheker bis zur Witwe mit erotischer Fallsucht, die in einer riesigen Empfangshalle einsam in Fauteuils herumhängen. Eine Revue der Verschrobenheit, deren ästhetischer Quellcode die bürgerlichen Lemurenballette eines Christoph Marthaler sind. Doch die ständigen Musikeinspielungen, das gelegentliche "Zurückspulen" der Handlung, die überdrehten Aktionen lassen den Abend nicht zum theatralen Poem werden, sondern legen Canettis Stück komplett lahm. Das kommt einer Hinrichtung gleich, denn die Hochzeit ist letztlich auch ein aberwitziges Konversationsstück. Schlimmer noch: die allgegenwärtige Skurrilität wird zum ästhetischen Feigenblatt, unter der noch jede bürgerliche Monstrosität ihren Stachel verliert. Das Publikum machte nach der Premiere denn auch erstmals mit einigen Buhs seinem Unmut Luft.

Immerhin zeigte die Intendantin dann eine Woche später mit der Übernahme ihrer Drei Schwestern-Inszenierung aus Freiburg, das es auch anders geht. Obwohl nicht völlig überzeugend, destillierte sie doch aus Tschechows Komödie eine Studie melancholischer Aggression. Wie aus dem Nichts schäumt in den Figuren die Wut auf, kocht über und verschwindet wieder. Vor allem nach der Pause gewinnt diese Interpretation Konzentration und Dichte in den Figurenbeziehungen, die man auch der Canetti-Deutung gewünscht hätte. Zwei Dinge hat dieser Beginn zumindest gezeigt: Dass der Sprung vom kleinen ans große Haus nicht einfach ist. Und dass in Zeiten des finanziellen Drucks die Schonzeiten kürzer und der Erfolgsdruck größer werden.


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