Der Fussball und die Planwirtschaft

Sportplatz Kolumne

Trifft ein schwedischer Stürmer für Hansa Rostock, jubeln die Anhänger von Union Berlin. In dem Ostberliner Lokal "Bier-Keller" reißen sie vor dem Fernseher auch die Arme hoch, hält der westfälische Keeper für Rostock das Tor rein. Der Nordclub wird ostalgisch als Ostverein gesehen, der sich unter 17 vermeintlich feindlichen Westkonkurrenten nun schon zehn Jahre in der Eliteliga hält. Im Fußball ist der Norden Osten. In der ewigen Tabelle der DDR-Oberliga stand Hansa Rostock zwei Mal: An zehnter Stelle als "Hansa", an 32. unter "Empor Lauter" aus Sachsen. Vor genau 50 Jahren wurde aus der sächsischen Elf von "Empor Lauter" der Ostseeverein "Empor Rostock", später dann "Hansa". Es ist eine typische Geschichte aus der DDR, in der nach Parteiaufträgen Vereine regional versetzt wurden.

Die DDR ist fünf Jahre alt. 14 Clubs spielen in der Oberliga, davon neun aus Sachsen. Titelverteidiger Turbine Erfurt ist der einzige Vertreter aus dem Land Thüringen. Zwei Mannschaften haben Brandenburg als Heimat, Berlin und Sachsen-Anhalt sind auch nur jeweils einmal vertreten. Jubel in der sächsischen Provinz, in Rostock dagegen herrscht fußballerische Ödnis. So zumindest sieht es Harry Tisch, 1. Sekretär der SED im Bezirk Rostock, und er wird aktiv. Er umwirbt vor Beginn der Saison die Spieler von Empor Lauter. Per Bus werden die Kicker im Sommer die Ostseeküste entlangkutschiert, sie besichtigen Ferienheime in Kühlungsborn und um Rostock, es wird ihnen gewissermaßen der ständige Urlaub suggeriert. Und Wohnungen in der alten Hansestadt sind auch ein Anreiz. All das verläuft vertraulich. Die Saison 1954/55 wird angepfiffen, Empor Lauter führt die Tabelle an. Am 24. Oktober des Jahres siegt Lauter mit 1:0 über Rotation Babelsberg. Die beiden folgenden geplanten Begegnungen gegen Zwickau und Senftenberg allerdings fallen aus, weil man die Sachsen in der Zwischenzeit samt Familien 500 Kilometer durch die kleine Republik nach Norden transportiert. In der jungen DDR mit Planwirtschaft war dies ein Gesellenstück. Acht Vereine wechselten zum Saisonbeginn ihre Namen, einer durch Ortswechsel. Am 14. November vor 50 Jahren wird aus "Empor Lauter" also "Empor Rostock" und mischt nun in der Meisterschaftsrunde als norddeutscher Club sofort wieder mit. Die Partei machte es möglich.

Das erste Spiel der sächsischen Hanseaten - nur ein neuer Kicker stieß zum Team -, wird von 17.000 Zuschauern besucht. Es endet 0:0 gegen Chemie Karl-Marx-Stadt. Empor Rostock bleibt trotzdem nach diesem Start Tabellenführer. In der neuen Heimat ist dem Verein der Jubel sicher, aber jahrzehntelang noch werden sie bei Auswärtsspielen in Aue oder Zwickau gnadenlos ausgepfiffen.

Seit dem 28. Dezember 1965 kicken die Rostocker unter dem Namen Hansa, ihren größten Erfolg im Osten hatten sie aber erst nach dem Ende der DDR: 1991 wurden sie Meister in der NOFV-Oberliga. Ebenfalls vor 50 Jahren wurde das Ostsee-Stadion in 236.071 freiwilligen Aufbaustunden aus dem Boden gestampft. Auf dem Gedenkstein vor der inzwischen modernisierten Ball-Arena heißt es, dadurch sei ein Geldwert von 928.018,20 Mark eingespart worden. Entweder wurde kleinlich gerechnet oder es ist eine typische Statistik aus der DDR. Der Chronist Ronny Blaschke beschreibt die Umsetzung des Empor Lauter an die Ostsee als eine "Nacht-und-Nebel-Aktion." Es heißt bei ihm weiter: "Aus dem Nichts war ein viel versprechendes Team gewachsen, mit Tradition hatte das nichts zu tun. Die wurde erst im Ostseestadion erwirtschaftet, das lange Zeit als schönstes Stadion der DDR gepriesen wurde, sich aber mit der Zeit immer mehr von der Moderne abwandte." Im zweitletzten Jahr des Staates der Arbeiter und Bauern, in der Spielzeit 1988/89, gab es im Ostseestadion mit 33.000 die höchste "dokumentierte" Zuschauerzahl. Und der 1974 in Wismar geborene Carsten Jancker beschreibt als sein schönstes Erlebnis: "Mit 12 Balljunge bei Hansa Rostock."


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