Von Entmachtung der Gewerkschaften trompetete Guido Westerwelle und diffamierte die deutschen Arbeitnehmerorganisationen als »Plage«. Politisch schrille Töne waren auch von Friedrich Merz aus der Union zu hören, der über einen angeblich »dreisten Machtanspruch« der Gewerkschaften geiferte. BDI-»Präsident« Rogowski forderte sogar Einschränkungen des Wahlrechts zu Lasten von Gewerkschaftern.
Vor 70 Jahren zerschlug das NS-Regime den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB). Davor lagen Monate der gegen sie gerichteten Agitiation, in der ähnliche Töne zu hören waren, wie man sie von Merz, Westerwelle und Co. derzeit vernimmt. Auch wenn man diesen keine Nazi-Gesinnung unterstellen kann und der Hugenberg-Konzern, der damals die publizistische Plattform für die nationalsozialistische Propaganda stellte, nicht vergleichbar ist mit der Bild-Zeitung, müssen sich die heutigen Akteure zumindest Geschichtslosigkeit vorwerfen lassen, wenn sie sich dieses Arsenals bedienen.
Am 17. April 1933 notierte Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, in seinem Tagebuch: »Hier oben (auf dem Berghof Hitlers) habe ich mit dem Führer die schwebenden Fragen eingehend durchgesprochen. Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können. Jedenfalls ist der Entschluß gestern auf dem Obersalzberg gefasst worden.« Jahre später wird Heinrich Böll erklären, ein Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda sei ein Widerspruch in sich.
In der Zeit nach der Machtergreifung Hitlers war die Lage für die Gewerkschaften unübersichtlich. Bei über sechs Millionen registrierten Arbeitslosen schien es aussichtslos, zu einem Generalstreik aufzurufen. In den bürgerlichen Parteien und Gewerkschaften rechnete man damit, dass der »Hitlerspuk« in wenigen Monaten vorbei sei. Der Schriftsteller Gustav Regler beschreibt in Das Ohr des Malchus, wie er im April 1933 am Berliner Spreeufer das Gewerkschaftshaus sah. Die Türen waren verschlossen. Er sprach mit einem Gewerkschafter: »Lassen wir ihn ruhig zur Macht kommen«, zitiert der saarländische Autor ihn, »in acht Monaten hat der abgewirtschaftet.« Ein schwerer Irrtum. Das Haus fiel Tage später in die Hände der Nazis.
Am 1. Mai erklärte die NSDAP den »Tag der Arbeit«, der in der Weimarer Republik unbezahlt war, zum bezahlten Feiertag. Erlebt und beschrieben hat diesen 1. Mai in Berlin der Dichter Franz Jung in seiner Autobiografie Der Torpedokäfer. Das Aufmarschgebiet für eine NS-Großkundgebung war das Tempelhofer Feld. »So sind an diesem Tage die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter, die gewerkschaftliche Elite der deutschen Arbeiterschaft marschiert, eingestreut zwischen den SA- und SS-Standarten von Groß-Berlin, der Hitler-Jugend, den Ortsgruppenführern, Blockwarten, dem Bund Deutscher Mädchen, dem Nationalsozialistischen Reiter-Sturm, dem NS-Kraftfahrer-Korps, dem NS-Fliegerkorps und der NS-Frauenschaft.« Der Schriftsteller notierte vom Straßenrand: »Der nasse Dreck auf den Straßen flog nach rechts und links, vorwärts! - mit Trommeln und Pfeifen, Schalmeien und Marschtrompeten... Sie sind marschiert, die Angst im Nacken und bereits die Hosen voll... Sieg Heil!«
Einen Tag später schlugen die Nazis im gesamten Reich zu. Mit deutscher Pünktlichkeit um zehn Uhr. In einigen Orten waren die Gewerkschafter zum Kampf bereit. So hätte das Münchener Gewerkschaftshaus mit zwei großen Maschinengewehren und Tausenden von Handgranaten verteidigt werden können, in den Gängen waren Gewehrständer eingebaut. In Hannover glich die Gewerkschaftszentrale einer Festung mit gut bestücktem Waffenlager. Die blutige Niederschlagung der freien Gewerkschaften kam zu überraschend.
Auf einen Rechtsstaat konnten die bedrohten Gewerkschaften nicht mehr rechnen, das belegt eine Weisung des Preußischen Innenministers an alle ihm unterstehenden Oberpräsidenten, Landräte und Regierungspräsidenten: »Der um 10 Uhr beginnenden Aktion der NSDAP gegen die freien Gewerkschaften ist mit polizeilichen und sonstigen staatlichen Mitteln nicht entgegenzutreten«, befahl der Minister, der Recht und Ordnung im Land gewährleisten sollte und das Gegenteil verfügte. Die Nazis hatten freie Hand. Robert Ley, Reichsorganisationsleiter der NSDAP, wurde die Gleichschaltung der Freien Gewerkschaften und des Allgemeinen Freien Angestelltenbundes (Afa) übertragen.
Im Rahmen der Aktion wurden die Büros der Freien Gewerkschaften und die Parteihäuser der SPD, soweit Gewerkschaften dort untergebracht waren, besetzt; ähnliches galt für die Bezirksausschüsse von ADGB und Afa-Bund. In Schutzhaft genommen wurden alle Verbandsvorsitzenden, die Bezirkssekretäre und die Filialleiter der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten AG. Die Verantwortung »für die Durchführung der Gleichschaltungsaktion« oblag den Gauleitern, die auf regionaler Ebene gleichsam als »Stellvertreter des Führers« agierten und von Adolf Hitler ernannt oder abgesetzt wurden. Als »Träger der Aktion« fungierte die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO), eine seit 1929 aufgebaute Konkurrentin der Gewerkschaften, die sich bis 1933 kaum durchsetzen konnte. Unterstützt wurden die brutalen Einsätze von SA und SS.
Alles lief nach Plan. Das Gewerkschaftshaus an der Berliner Wallstraße wurde von hinten überfallen. Der 65-jährige, gesundheitlich angeschlagene ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart, der am Morgen des 2. Mai 1933 dort eine Sitzung leitete, wurde zusammen mit anderen Funktionären in einen Keller verschleppt. Mit vorgehaltenem Revolver zwangen SA-Leute sie, Liegestütze und Kniebeugen zu machen und das Horst-Wessel-Lied zu singen. Der herzkranke und gehbehinderte Gewerkschafter brach zusammen. Hungrig und durstig verbrachten die Eingesperrten die Nacht auf dem harten Boden des Kellers. Zu Fuß wurden sie am nächsten Morgen ins Polizeipräsidium getrieben. Währenddessen verlebten ihre Angehörigen quälende Stunden der Ungewissheit. Viele machten sich auf die Suche, bemühten sich um Hilfe.
Auch Maria Leipart, die, wie der Historiker Gerhard Beier recherchierte, ihren Mann schließlich fand: »Allein Frau Leipart, die als Gattin des früheren Arbeitsministers durch die Behörden nicht einfach abzuweisen war, erhielt Zugang zum Polizeipräsidium. Entgegen den Presseberichten war ihr Mann in keinem Krankenhaus zu finden gewesen. Nun informierte sie ein Polizist alter Schule, daß Leipart unten im Hof mit einigen anderen angetreten stand, um verhört zu werden.« Durch die Schikanen erlitt Leipart einen Schwächeanfall. Erst nach Intervention seiner Frau wurde ihm Hilfe zuteil.
Während die Berliner Zeitungen noch den »unblutigen« Sieg der Nazis feierten, berichtete die Auslandspresse über den Fall. Danach übernahm die preußische Polizei den Fall Leipart, und die Quälerei hatte ein Ende. Theodor Leipart wurde in die geschlossene Abteilung des Staatskrankenhauses eingeliefert und nach einigen Wochen freigelassen. Noch scheuten die Nazis prominente Märtyrer.
Für vier Gewerkschafter endete die NS-Aktion vom 2. Mai 1933 mit dem Tod, in Duisburg starben Julius Max Birck, Emil Rentmeister, Michael Rodenstock und Johann Schlösser nach grausamen Folterungen. Und in den folgenden Monaten und Jahren wurden zahlreiche Mitglieder und Funktionäre der Gewerkschaften Opfer des Terrors, verschwanden oft Jahre in Gefängnissen oder bezahlten ihren Widerstand gegen das Regime mit ihrem Leben.
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