Eigentlich sind sich viele in Politik, Medien und Militär einig: Es sieht ganz danach aus, dass der Krieg in der Ukraine noch lange dauert. Für die einen hat er gerade erst so richtig begonnen, weil beide Kontrahenten unbedingt siegen wollen. Moskau wegen imperialer Ziele und der (vermeintlichen) Gewissheit, über genug gesellschaftlichen, ökonomischen und militärischen Rückhalt zu verfügen, oder wegen einer wahrgenommenen existenziellen Bedrohung durch die USA und den Westen. Hinzu kommt die Überzeugung, das Ringen um eine andere Weltordnung sei in eine entscheidende Phase getreten, sodass man keine andere Wahl habe.
Kiew will unbedingt den Sieg, weil es Opfer einer Aggression ist und das Völkerrecht auf seiner Seite steht. Es sieht sich nicht nu
h nicht nur in einem existenziellen Abwehrkampf, sondern auch als Vorkämpfer für die westliche Zivilisation und ihre Werte. Die ukrainische Führung vertraut auf anhaltende Unterstützung durch die Bevölkerung, um das erklärte Ziel zu erreichen, alle annektierten Gebiete zurückzuerobern und integraler Bestandteil der westlichen Institutionen zu werden. Andere verweisen darauf, dass beide Protagonisten den Krieg gewinnen müssen. Moskau, weil sonst das autoritäre Regime ins Wanken geraten oder Russlands Großmachtstatus schwinden könnte – auch weil es bereits einen sehr hohen Blutzoll entrichtet hat.Spiegelbildlich gelten alle drei Argumente genauso für Kiew: ein fragiles demokratisches System könnte bei einer Niederlage kippen, die Einbindung in den Westen ebenso. Die Diskussion, wofür das Land hohe Opfer zu ertragen hatte, könnte zur Zerreißprobe werden. Auch die westlichen Regierungen schwören ihre Bevölkerungen auf einen langen Krieg ein. Kaum ein EU- oder NATO-Treffen ohne die Versicherung, man werde die Ukraine so lange aufrüsten wie nötig. Die USA, Deutschland und andere fahren dazu ihre Kapazitäten weiter hoch, um an Kiew gelieferte Waffen zu ersetzen und sich auf einen andauernden Konflikt vorzubereiten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meint, der Westen werde noch für eine lange Zeit Waffen in die Ukraine schicken müssen.Nur liefert die jüngere Vergangenheit Beispiele, dass ein zwischenstaatlicher Krieg sich hinziehen und sehr verlustreich sein kann. Der Korea-Krieg dauerte drei Jahre, kostete vier Millionen Menschen das Leben und endete in einem Patt. Der Golfkrieg zwischen Irak und Iran begann 1980 und endete 1988, forderte eine Million Opfer und hat letztlich am Status quo ante nichts geändert. Der US-Angriffskrieg gegen den Irak war zwar nach wenigen Wochen vorbei, doch dann folgten für fast zehn Jahre Besatzung und Aufstandsbekämpfung. Die USA blieben ähnlich erfolglos wie in 20 Jahren Afghanistan-Krieg.Gefahr einer EskalationsspiraleUm solche langfristig hohen Belastungen zu vermeiden und die Gunst der Stunde des noch vorhandenen öffentlichen Rückhalts zu nutzen, plädieren manche für eine schnelle militärische Lösung. Freilich brauche es dazu mehr und wirksamere Waffen, um Russland zu besiegen. Das korrespondiert mit der Behauptung, die Abschreckungswirkung der USA, der NATO überhaupt, ginge verloren, würde es der Westen Moskau erlauben, auch nur kleinere Teile der eingenommenen Gebiete zu behalten. Das wäre eine Einladung an revisionistische Mächte wie China, es Moskau gleichzutun.Ein Eskalationsrisiko sehen die Verfechter dieses Ansatzes nicht, da Russland bislang nach westlichem Waffentransfer auch nicht mit einer Ausweitung des Krieges über die Grenzen der Ukraine hinaus reagiert habe. So soll eine mit massivem westlichen Waffenversand ermöglichte Offensive für die einen der Anfang vom Ende der russischen Besatzung sein, während andere hoffen, die Konfrontation ließe sich auf der Basis des Status quo ante vor dem 24. Februar 2022 eindämmen.Die Befürworter eines schnellen Sieges der Ukraine übernehmen – wahrscheinlich unbewusst – das russische militärstrategische Konzept, zu eskalieren, um zu deeskalieren. Sie ignorieren die Gefahr einer sich verselbstständigenden Eskalationsspirale und unterschätzen das Potenzial und den Willen Moskaus, durchzuhalten. Sie blenden aus, dass selbst kurze zwischenstaatliche Kriege in langwierige Konflikte münden können. Es wäre daher besser, möglichst schnell eine Waffenruhe zu vereinbaren. Da Moskau und Kiew das derzeit nicht wollen, müssen Washington und Peking vorangehen, um entsprechende Bedingungen auszuloten. Denn gleich wie eine ukrainische Offensive ausgeht, dürfte an der Notwendigkeit einer Feuerpause kein Weg vorbeiführen.Würde die ukrainische Armee bis zur Landenge von Perekop durchbrechen, müssten die gewonnenen Gebiete gesichert und der Versuch einer Rückeroberung der Krim wegen der damit verbundenen nuklearen Eskalationsgefahr verhindert werden. Bliebe die Offensive stecken, wäre ein langwieriger Stellungskrieg zu verhindern. Gelänge Moskau gar der Gegenschlag, wäre ein Waffenstillstand nötig, um noch größere Gebietsverluste und ein direktes Eingreifen des Westens zu vermeiden. Ein unverzügliches Schweigen der Waffen liegt nicht nur im objektiven Interesse der direkt Kriegsbeteiligten, auch Europas, des Globalen Südens und der Weltmächte selbst.