Heroischer Ton

Scoop Welche unserer Fragen kann das Buch zu den „Panama Papers“ beantworten?
Ausgabe 15/2016

Das Enthüllen war schon immer eine beliebte Beschäftigung von Schreibenden. Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider erschien 1837. Zwei Gauner weben für den eitlen Kaiser das kostbarste Nichts der Welt. 1843 veröffentlichte die Tageszeitung Le Journal des Débats Eugène Sues Roman Die Geheimnisse von Paris. Ein neues Unterhaltungsformat war geboren, in Fortsetzung abonnierbar. Das Publikum war begeistert. Es lieferte dem Autor selbst den Stoff, aus dem dieser seine Enthüllungen webte.

Ähnlich verfahren über 400 Reporter aus 80 Ländern mit Erkenntnissen aus dem Datenleck der Panama Papers. Punktgenau kommt nun das Buch zur Vorgeschichte des Lecks. Seine Autoren, Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, arbeiten als Reporter für die Süddeutsche Zeitung und etablierten schon bald, nachdem erste Lieferungen des Lecks eintrafen, mit dem Recherchenetzwerk ICIJ einen internationalen Reporterverbund, der nun täglich neue Episoden enthüllt. Das Buch ist kein Medium zum Vertiefen der Leck-Kenntnisse. Es erzählt etwas reißerisch, bereitet Appetithäppchen vor für Storys, die folgen. Es bedient antisemitische Muster, etwa wenn der Eindruck erweckt wird, der afrikanische Kontinent sei Opfer von zwei Superkapitalisten. Auf einer Metaebene illustriert das Buch die Kinderkrankheiten des Datenjournalismus; dem Goliath global operierender Vermögenstarnung ist mit dem Steinchen eines Laptops kaum beizukommen.

Geteilte Angst

Ihr Lieferant nennt sich bekanntlich John Doe, Max Mustermann. Auf die Frage nach seinen Motiven antwortet er, er sei ein besorgter Staatsbürger. Die Legende klingt zu gut, um daran nicht zu zweifeln. Teile der „gewinnabhängigen Klassen“, wie Wolfgang Streeck sie nennt, haben den contrat social aufgekündigt und suchen Zuflucht bei einer Maskerade, die ihren Besitz hinter Strohmännern und Legenden verbirgt. Sie gehen offshore und verlagern ihre Anteile an Industrieimperien oder Erträge aus dubiosen Quellen auf Inseln hinter den Winden. Wer die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation noch nicht vergessen hat, könnte auf die Idee kommen, dass wir bei diesen Operationen Zeugen ihrer Rückabwicklung würden. Sagenhafte Vermögen scheinen sich zu verflüchtigen.

Das ist natürlich Quatsch. Sie bleiben erhalten. Ihre Eigentümer entziehen ihre Besitztitel der Jurisdiktion, unter der sie gemütlich leben. Warum? Weil sie die vaterlandslosen Gesellen der Weltgesellschaft sind? Weil sie den Glauben an Recht und Gesetz, an Eigentum und Verpflichtung, an die Zukunft des Kapitalismus verloren haben? Welche Katastrophe antizipieren sie? Welchem Untergang versuchen sie zu entkommen? Teilen sie die namenlose Angst mit denen am anderen Ende der sozialen Leiter? Besteht der Zusammenhalt unserer Gesellschaft nur mehr in dieser geteilten Angst? Wollen die Passagiere auf dem Sonnendeck der ersten Klasse dem Schicksal entkommen, das auf die Auswanderer unten in den Zwischendecks wartet?

So ließe sich das Riesenleck an dem Weltdampfer auch lesen. Im Eifer des Enthüllens geht es auch um triviale Sachen, zum Beispiel um die Suche nach geeigneter Hard- und Software, um die Daten lesen zu können. Hier wird die Lektüre der „Gebrüder Obermayer/ier“, wie sie ihr Chefredakteur nennt, mitunter ärgerlich, sehen wir ab von ihrem Stolz auf den scoop und den Mühen, ihn zu verstehen.

Warum dauert es so lange, bis sie sich auch nur halbwegs tauglicher Technik und Technikkompetenz bedienen, um die Datenmengen lesbar zu machen? Warum schreiben die „investigativen Reporter“ unentwegt von „Staatschefs“, auch wenn es sich bloß um lumpige Regierungschefs handelt? Fehlte die Zeit für ein Lektorat? Welcher Glaube beseelt sie, dass John Doe tatsächlich ein Wiedergänger von Chelsea Manning ist? Welche Due-Diligence-Prüfung haben die technisch versierten Kollegen der ICIJ an dem Material vorgenommen? Welche Datenformate, Ablageroutinen, Compliance-Regeln der Kanzlei erlauben die Annahme, dass die Daten alle aus derselben Quelle stammen? Was würde der Systemadministrator eines mittelgroßen Unternehmens dazu sagen, dass von seinem Server 2,6 Terabyte kopiert worden sind? Wie würde die Geschäftsleitung darauf antworten? Unter den Augen der 400 Journalisten den Abschluss eines Versicherungsvertrags gegen Unternehmensbetrug vorbereiten? Die ersten windigen Antworten auf Journalistenfragen von Burson-Marsteller verbreiten?

Die ersten Storys aus den Panama Papers sind durch harte Recherchen in der analogen Welt verifiziert worden. Insofern ist die Annahme abwegig, bei den Panama Papers könnte es sich um ein globales Fake handeln. Da arbeiten zu viele hartgesottene gute Journalisten daran, die gelernt haben, Storys zu prüfen. Wie Günter Hack am Tag der ersten Veröffentlichungen für den Falter schrieb: „Wer ein zeitgemäßes Verbrechen begehen will, der sollte weder eine Bank überfallen noch eine Bank gründen – es genügt, eine Datenbank aufzusetzen.“

Serie neuer Lücken

Hinter dieser operativen Maske beginnen die Mühen des Recherchierens: die Kenntnis von Namen, das Aufdecken von Alias-Namen, die richtige Transkription solch exotischer Sprachen wie der chinesischen, die nur von 1,3 Milliarden Menschen gesprochen wird, die Namenskunde der arabischen Welt mit ihren Ben-Müllers und Bin-Meiers. Es geht um das Wiedererkennen von Mustern, um ein datenforensisch angemessenes Verständnis von Metadaten und ihre Metamorphose in Geschichten von Menschen aus Fleisch und Blut mit ladungsfähigen Anschriften.

Das Leck schließt eine Lücke und reißt in Serie neue Lücken auf. Wer sind die Gegenspieler von John Doe? Welche Motive bewegen ihn? Gibt es ein großes Geheimnis hinter den vielen einzelnen? Welche Folgen hat dieses Leck, das die ganze Welt umfasst, für die Konstitution von Öffentlichkeit? Das Buch der „Gebrüder Obermayer/ier“ gibt auf diese Fragen keine Antwort. Es erzählt die Making-of-Geschichte der Panama Papers. Es wird vermutlich mehr als die Kosten für ihren „Supercomputer“ wieder einspielen. Es heroisiert das Recherchieren um den Preis vieler, auch ärgerlicher Ungenauigkeiten. Das aber lässt sich ertragen.

Info

Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung Bastian Obermayer, Frederik Obermaier Kiepenheuer & Witsch 2016, 352 S., 16,99 €

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