Was ist das für ein Buch? Nur ein Traktat? Ein Handbuch für rhetorische Kriegsführung? Die Glorifizierung des Feindes? Seine Dekonstruktion? Oder lebt es von dem Schrecken, den es verbreitet? Jedenfalls fängt Philippe-Joseph Salazar mit einer nicht ganz trivialen Beobachtung an: Wer sind die Terroristen? Wie kommt es, dass so viele Namen von ihnen kursieren: der Islamische Staat, die IS-Miliz, die Terrormiliz?
Wer den Feind nicht richtig bezeichnet, das ist Salazars erster Befund, brauche sich nicht zu wundern, wenn er sich ihm nicht gewachsen zeige. Der Feind, das sei das Kalifat, das sich mit einer Predigt von Abu Bakr al-Baghdadi in der Großen Moschee von Mossul am 4. Juli 2014 konstituiert habe. Salazar vergleicht den westlichen Spott über das Kalifat mit d
ifat mit dem Hohn, auf den die französische Republik anfangs stieß. Mag der Hohn selbst Teil der rhetorischen Kriegsführung sein, so verfehle er doch das strategische Gebot der Weitsicht. Salazar weitet das Blickfeld. Seid darauf gefasst, dass das Kalifat ein völkerrechtliches Subjekt ist, dass der Krieg dagegen 50 bis 100 Jahre dauern und das Kalifat eine ähnliche Kontinuität wie das Osmanische Reich bekommen könne, mit dem Europa immerhin auch mehrere Jahrhunderte sich zu arrangieren hatte.Die Predigt al-Baghdadis sei eine politische Unabhängigkeitserklärung. Von seinen Gegnern verlange das Kalifat Unterwerfung. Der Zeitpunkt ist keineswegs ironisch gewählt. Er adressiert sich nicht nur an die USA, sondern an die gesamte Welt. Der Terror, der vom Kalifat um die Welt getragen werde, markiere und wahre das Territorium, auf das sich die Konstituierung des Kalifats bezieht. Dieses Territorium des Kalifats könne nicht umstandslos gleichgesetzt werden nur mit den Zonen unter seiner unmittelbaren Kontrolle. Es verstehe sich als Ausgangspunkt für Eroberungen und unter Heilsaspekten als Ziel für die Rückkehr der zu ihrem Glauben sich bekennenden Muslime. Jeder Terrorakt des Kalifats stehe symbolisch für eine Wiederaneignung des Territoriums gegen die Ungläubigen, die Unmoralischen und die Kriminellen.Was ist die Antwort? Salazar setzt auf die Rückkehr zu den Prinzipien der Republik. Der Terror Robespierres half sie zu konstituieren. Wer von der Fahne gehe und als Anhänger des Kalifats Anschläge begehe, sei ein Verräter. Im Strafrecht sei das Hochverrat. Nun gelte es, auch die Sprache zu bewaffnen, eindeutig zu kommunizieren. Im Internet sei der Westen dem Kalifat bisher unterlegen.Kein Nachfolger des HenkersDer Konsistenz in der elektronischen Kommunikation des Kalifats begegne der Westen mit ästhetisch zweifelhafter und politisch inkonsistenter Quantität. Wenn die Prinzipien der Französischen Revolution sich in eine molluskenhafte Managementsprache verflüchtigten, brauche man sich nicht zu wundern, wenn sie ihre Adressaten nicht mehr erreiche. Salazar erinnert an Danton und an General de Gaulle. Beide wussten um die rhetorische Funktion des Appells. Damit verwandelt Salazar die Republik nicht in einen Kasernenhof. Er unternimmt ein brutale Reinigung des politischen Gehörs, setzt auf die angloamerikanische Praxis der Debatte, die darauf zielt, einer Meinung zum Sieg zu verhelfen.Fast unerträglich wird die Lektüre Salazars, wenn er die Schwäche des politischen Sprechens in der französischen Tradition am Beispiel von Mordtaten durch das Kalifat illustriert. Die französischen Medien sprechen von décapitation und stellen die Morde so in die Tradition der Guillotine. Sie klassifizieren die Mörder als Nachfolger des Henkers. Tatsächlich handle es sich um Schlachtungen. Mit ihnen kehre das Böse in die Politik zurück, als etwas Absolutes. In der Gestalt des Schlachters erlebe die Figur des Opferpriesters ihre Wiederauferstehung. Salazar bezeichnet das als die Pornopolitik des Kalifats. Sie kontrolliert das fast sprachlose Entsetzen im Westen. Sarkastisch hält Salazar die Diskurse der Nachkriegszeit für untauglich, um dem Terror des Kalifats zu begegnen. Mediziner, Psychologen, Sozialpädagogen hätten versagt. Der Terrorist sei nicht krank, nicht wahnsinnig und auch nicht sozial benachteiligt.In dem Kapitel über den Populismus des Kalifats passiert Salazar nun etwas Erstaunliches. Die Idealisierung des wahren Volks, das Anprangern des Verrats durch die Eliten, die unverblümte Bereitschaft, den Feind zu benennen, das Ziel, den Ausgegrenzten zur Stimme zu verhelfen, bringt zwei Seiten des Kampfs gegen die offene Gesellschaft zusammen. Die Dschihadisten des Kalifats und die europäischen Rechtspopulisten singen das gleiche Lied. Ist diese Parallele Salazar entgangen? Das ist kaum vorstellbar. Will er die Republik mit ihren Feinden retten? Den Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die Rechtspopulisten anhand ihrer Sprache analysiert. Tatsächlich sind sie nur Maulhelden, tun nur so, als wären sie in der Lage, den Feind zu bestimmen. Er wurde ihnen in Gestalt der aktuellen Flüchtlingspolitik frei Haus geliefert.Im Schlusskapitel findet Salazar den Weg zu Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung und seinen späten Studien zum Partisanen. Hier wird der Rhetoriker erstaunlich schweigsam. Wer vom Partisanen redet, kann von der Partisanenbekämpfung nicht schweigen. Das ist der Scheidepunkt. Von ihm aus ließe sich unterscheiden, ob die Politik und ihre Apparate in der Lage sind, auf den Terror angemessen zu reagieren oder nicht. Hat sie verstanden, dass Europa sich angesichts seiner Rechtspopulisten in einem unerklärten Zweifrontenkrieg befindet? Der eine verlangt nach einer konsistenten militärischen Strategie, der andere nach einer zivilgesellschaftlichen Antwort.Die Republik befindet sich immer noch im postheroischen Tiefschlaf. Salazars Buch ist ein – höhnischer – Weckruf. Er erinnert an die vollständige Formel der Französischen Revolution. Sie lautete: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – oder der Tod!Placeholder infobox-1