Maestro ist ein wilder Leser. Magistrat war Richter. Der Mathematiker ist ein wildes Talent und schreibt seine Doktorarbeit. Ihre Wege kreuzen sich in Edinburgh, ihrem Exil. Sie kommen aus Simbabwe. Sie haben ihre Zukunft hinter sich, vielleicht auch vor sich. Jedenfalls scheint Farai, der Mathematiker, glaubhaft zu machen, dass auf ihn eine großartige Zukunft wartet.
Tendai Huchu, der 1982 in Simbabwe geboren wurde und heute wie seine Protagonisten in Edinburgh lebt, findet in Maestro, Magistrat und Mathematiker für jeden von ihnen einen eigenen Erzählton. Für Maestro, den dunklen Leser, den absatzlosen Textstrom im Ton eines auf Ewigkeit gestimmten Präsens, für den Mathematiker die körpersprachliche Emanation eines unentwegten Flusses von Daten, Chats, Emojis, Games und Memes, wie sie einem homo ludens und Bürger des weltweiten Netzes zusteht, für Magistrat den bitteren Ton einer erzählten Zeit, die ihre guten Jahre hinter sich weiß.
Kiffen und Lesen
Es gibt eine vierte Person, Alfonso, der wie eine Flipperkugel zwischen den drei Protagonisten hin und her jagt, eine zwielichtige Person. Alfonso betreibt eine private Arbeitsvermittlung. Er verfolgt eine eigene Agenda. Auch für Edinburgh findet Huchu einen eigenen Erzählton. Eines Tages wird es Apps geben, die die Fußwege seiner Helden und ihre Autofahrten durch Edinburgh kartieren, mit ihrer Lieblingsmusik in den Kopfhörern. „Hier sehen Sie das Café, in dem Farai jeden Morgen den bitteren schwarzen Kaffee trinkt und mit dem alten Mann darum wetteifert, wer als Erster das Schweigen nicht mehr aushält.“ Eine Frau habe in diesem Café ein Romanwerk über zaubernde Internatsschüler geschrieben und damit ein Vermögen gemacht. So markiert Tendai Huchu das Terrain.
Der Missmut seiner Frau treibt Magistrat zu Alfonsos Arbeitsvermittlung. Schon in der nächsten Nacht versieht er den ersten Dienst in einem Pflegeheim. Die hinfälligen inkontinenten Leiber der Weißen, um die sich der einstige Richter kümmert, stimmen ihn mitleidig, trotz des Ekels, den sie in ihm auslösen. In der verhaltenen Anteilnahme maskiert Tendai Huchu eine präzise historische, politische und ökonomische Mikro- und Makrogeschichte. An ihrem Anfang steht die kolonialpolitische Legende von der Bürde des weißen Mannes. Ihr Ende sieht die Weißen dahingehen als Bürde des schwarzen Mannes. Heute arbeiten für den britischen National Health Service mehr Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern aus dem südlichen Afrika als in ihren Heimatländern, ein gesundheitspolitisch fataler Brain-Drain.
Farai, der Mathematiker, der sich selbst schon auf dem Weg sieht, die postkoloniale Ökonomie Afrikas wieder auf die Füße zu stellen, stößt in der Fachliteratur auf das schmale Werk eines politischen Ökonomen über die Hyperinflation als Hebel der Umverteilung. Der Autor wurde Opfer eines Attentats. Farai sieht sich als geborenen Nachfolger des Kollegen.
In Maestro arbeitet ein anderer Geist. Sein exzessives Kiffen und Lesen öffnet ihm die Augen, durch ihn findet die Literatur zurück zu sich selbst, zu ihrer Größe, zu ihrem Scheitern. Maestro verdient anfangs noch seinen Lebensunterhalt in einem dieser riesigen Supermärkte: Waren nachfüllen, in den Weiten des Sortiments verirrte Kunden beraten, die langen Schlangen der Einkaufswagen wieder zurück zum Start schieben. Mit einem Kopf wie seinem ist das nicht auszuhalten.
Er kommt der Welt durchs Lesen abhanden, bis er auch das nicht mehr aushält. Maestros Lektüre-Reigen ist weit gespannt. Er reicht von Boethius’ Trost der Philosophie bis zu Doctor Who, von Doris Lessings Afrikanischer Tragödie bis zu David Mitchells Chaos. Lebte Chantal Akerman noch, wäre Maestro wie geschaffen für einen epischen Film über das Verlorengehen in der Literatur, in der Stadt, im Leben.
Aber dann erwischt der einstige Richter in den frühen Morgenstunden seine minderjährige Tochter dabei, wie sie im Wohnzimmer ihres Elternhauses einem schmächtigen Jungen einen Blowjob verpasst. Ein missratener Mitbewohner Farais schlachtet heimlich Herrn Majeika, den geliebten Haushasen der WG, und tischt ihn als Braten auf. Später schläft er mit Farais Freundin Stacey und es gibt eine völlig absurde außer Kontrolle geratende Parteikonferenz simbabwischer Exilpolitiker. In einer kleinen Episode verschafft der Erzähler sogar sich selbst einen kleinen Cameo-Auftritt in Farais Windschatten.
Ray Bradbury
Bevor er zu schreiben begann, hat Tendai Huchu Bergbau studiert. Sein Schreiben kann man damit in Verbindung bringen, es ließe sich als eine inverse Bergbautechnik beschreiben. Er bohrt mikroskopisch feine Löcher in die Realität. In die so gefrästen Mikroschächte versenkt er seinen Stoff. Als literarischer Mineningenieur hat Huchu ein scharfes Auge für die Verschiebung tektonischer Platten im Gebälk der Wirklichkeit. An der Oberfläche gleitet der Roman an den Augen des Leser vorbei, wie ein Regentropfen am Lotuslack eines Luxusautos abperlt. Unter dem Mikroskop sehen Lotusoberflächen aus wie mondartige Kraterlandschaften.
Zu seinen literarischen Helden rechnet Tendai Huchu Ray Bradbury, besonders den Roman Fahrenheit 451 mit dem Feuerwehrhauptmann Beatty, seiner Truppe von Bücherverbrennern und den mechanischen Hunden, die Buchbesitzer wie Staatsfeinde jagen. Es gehört schon eine ausgekochte handwerkliche Skepsis dazu, also ein fast bedingungsloser Glaube an die Kraft der Literatur, das, was sie kann, mit solchen Augen wahrzunehmen. In seinem neuen Roman befolgt Tendai Huchu intuitiv Joseph Brodskys Rat an Exilautoren.
Was zählt, sei ihre Sprache, sonst nichts. Weder zählt die Nostalgie nach jener Zeit, in der in Afrika noch alles möglich zu sein schien, noch zählt die Erinnerung an dahingegangenen Ruhm. Brodsky verglich nostalgische Exilautoren mit Büchern, die in der Bibliothek falsch abgelegt werden. Dieses Schicksal bleibe Tendai Huchu auch mit seinem zweiten Roman erspart. Wenn das Internationale Literaturfestival Berlin ihn dieses Jahr, hoffentlich, wieder nach Berlin holt, sollte Tendai Huchu die Musik dieses Romans vorstellen.
Info
Maestro, Magistrat und Mathematiker Tendai Huchu Peter Hammer Verlag 2016, 384 S., 26 €
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