Gut, dass der Alexander-Verlag den englischen Titel genommen hat. „Porkchoppers“ sind Fleischhauer, im politischen Geschäft spezialisiert auf das Heraushauen eigener Vorteile. Deshalb sind sie zuständig für Tricks, für die Dramaturgie, dafür, dass auf der Bühne alles echt aussieht. Unter Richard Nixon waren das im Watergate-Hotel die Klempner. Zum 90. Geburtstag von Ross Thomas erscheint mit diesem Roman ein Werk, das wie in einem Dialog des Autors mit sich selbst und zwischen seinen so unterschiedlichen Talenten entstanden ist.
Es geht um die Wiederwahl eines mächtigen Gewerkschaftspräsidenten. Donald Cubbin wird von einem ehemaligen Schützling herausgefordert. Cubbins Chancen stehen schlecht. Das macht ein paar Leuten Sorgen, die Interesse an seiner Wiederwahl haben. Sogar das Weiße Haus und ein Großunternehmer mit seinen Hintersassen sind involviert. Fiese Tricks halten das Rennen offen. Und dann gibt es noch einen Auftragskiller, denein Mann namens Just Billin Marsch gesetzt hat. Dieser Roman, den Thomas vermutlich 1970 und 71 geschrieben hat, zeigt ihn als Meister des Genres. Er schreibt seine Plots wie ein Spieltheoretiker. Natürlich sind es nichtkooperative Spiele. Jeder Spielzug scheint vorhersagbar. Alle Spieler scheinen auf alles vorbereitet zu sein. Aber jede Antwort wird die Lage komplett ändern. Die Ungewissheitsgewissheit hat nicht nur die Politik des Kalten Krieges geprägt. Sie färbte auch ab auf die Großorganisationen von Corporate America. Jedes Risiko muss eingehegt werden, um jeden Preis. Selbst auf Zwischenfälle, die in den Szenarien nicht vorgesehen sind, gibt es Reaktionen, für die Leute zuständig sind, die keiner kennen will.
Ein Weichei
Cubbins Sohn Kelly ist ein besonderer Fall. Er hat studiert, war Cop in New York, hat für einen Radiosender gearbeitet. Aus Sicht der harten Cops war er ein Weichei, der seinen Job als Bulle in der Bronx mit Sozialarbeit verwechselte. Auf dem Höhepunkt der Wahlkampagne seines Vaters stößt er zu ihm, versorgt den Vater für das Pegelmanagement mit billigem Whisky.
Kelly, so viel lässt Thomas durchblicken, kennt den amerikanischen Politikbetrieb. 1968 engagierte er sich bei den Vorwahlen für Senator Eugene McCarthy, eine gute Seele der Demokratischen Partei, so wie heute Bernie Sanders. Eugene McCarthy war wie die Studenten und Hippies gegen den Vietnamkrieg. Die Nominierung der Demokratischen Partei gewann aber Lyndon B. Johnsons Vize Hubert H. Humphrey, die Wahlen dann Richard Nixon.
In den Fußstapfen seines Protagonisten Kelly Cubbin beriet Ross Thomas etwa zu der Zeit, in der er die Porkchoppers schrieb, den demokratischen Herausforderer Richard Nixons, noch so eine gute Seele: George McGovern. Es versteht sich fast von selbst, dass auch dieser Held scheiterte. Das lag aber nicht allein an der Watergate-Affäre, sondern auch an der mangelnden Unterstützung McGoverns durch die Demokratische Partei, deren Zentristen und rechter Flügel sich auf Nixons Seite schlugen.
Die Tricks
1994 erzählte Nixons innenpolitischer Berater John Ehrlichman, auch so ein Watergate-Klempner, wie sie 1968 die Lage für Nixon drehten. Sie brauchten einen Trick, um die Hippies, die Studenten und die schwarzen Bürgerrechtler zu neutralisieren. So entstand die Idee für den „Krieg gegen die Drogen“. Es ist die Vorgeschichte zu einem anderen großen Roman der amerikanischen Literatur, zu Thomas Pynchons Vineland, in dem die überlebenden Hippies in Kalifornien völlig paranoid und Opfer der härtesten Drogen geworden sind.
Porkchoppers gibt ein bitteres Echo auf die Wahl Nixons. Wer wollte nach den Morden an Martin Luther King und den beiden Kennedys so einen dubiosen Gesellen wie Richard Nixon im Weißen Haus sehen? Zwar hat Ross Thomas in diesem Thriller keinen Ich-Erzähler dazu bestimmt, sich an solche Sachen zu erinnern. Aber der finstere „Mann im Weißen Haus“ ist als Figur gesetzt. Er braucht nicht beim Namen genannt zu werden, und jeder weiß, warum.
Das Echo dieser Erfahrung von 1968 hallt bis in die jetzigen amerikanischen Vorwahlen hinein. Einer der gerissensten politischen Zahlenjongleure, Nate Silver, und andere Quants, die Barack Obamas Wiederwahl gesichert haben, kommen ins Grübeln. Gibt es, wie damals bei Nixons erstem Wahlsieg und später nach Watergate, wieder Leute, die Wahlergebnisse stehlen werden? So kommen wir zurück zu den Porkchoppers. Denn das Stehlen der Wahl ist ein Trick im Kampf um Donald Cubbins Posten als Gewerkschaftspräsident. Nicht nur in Chicago scheint das möglich zu sein. Indigo Boone, ein Developer wie Donald Trump, aber schwarz, hatte 1960 John F. Kennedy geholfen, die Wahl in Chicago zu „gewinnen“. So etwas könnte erneut ein Trick im Repertoire anderer Spieler im amerikanischen Wahlkampf des Jahres 2016 werden.
Unter den Journalisten und PR-Beratern Cubbins und seines Gegenspielers, besonders aber in Cubbins Sohn Kelly hat Ross Thomas seine eigenen beruflichen Erfahrungen so großzügig verteilt, dass jeder Leitartikel, jeder Talkshow-Auftritt, jede Intervention perfekt in Szene gesetzt werden. In jedem schlägt ein anderes Herz, das Thomas aus dem eigenen Fleisch schneidet. Denn er war selbst Politikberater, Radiojournalist, Geheimagent. Er hat in manchen Wahlkämpfen demokratische Kandidaten beraten oder ihre Gegenspieler gebraten. Und er hat als Stratege die Wahlkämpfe von zwei Gewerkschaftspräsidenten begleitet. Er kennt das Spiel.
Sollten wir im November von einem Präsidenten Donald Trump überrascht werden, dann wird es höchste Zeit für Edward Snowden, aus Russland zu verschwinden. Bis dahin hat er genug Zeit, den Roman The Cold War Swap von Ross Thomas zu lesen, der beim Alexander-Verlag unter dem Titel Kälter als der Kalte Krieg erschienen ist. Er spielt Anfang der 60er Jahre in Bonn und in Berlin. Zwei schwule CIA-Agenten haben die Seite gewechselt. Der Scoop ging für die Russen nach hinten los. Sie wollen die seltsamen Gesellen wieder loswerden. Im Gegenzug erweisen die Amerikaner den Russen einen ziemlich bösartigen Gefallen.
Wladimir Putin verabscheut Verräter. Solange sie ihm nutzen, lässt er sie gewähren. Snowdens Nutzen ist für Putin abgelaufen. Als Morgengabe für gute Beziehungen zu Donald Trump würde Putin Edward Snowden frei Haus nach Andrews Airbase liefern. Politische Paketpost, ein Deal. Ross Thomas wäre am 19. Februar 90 Jahre alt geworden. Leider starb er schon 1995, ein Jahr nachdem sein letzter Roman erschienen war: Ah, Treachery!, ein Politthriller, der in den Wochen des Übergangs zwischen dem älteren Bush und Bill Clinton spielt. Ein Putzkommando entsorgt Mitwisser und Leichen eines schmutzigen Deals. Während die Bush-Leute wegputzen, versuchen die Clinton-Leute, dahinterzukommen, was da weggeputzt werden soll. Aber auch die Clinton-Leute müssen Spuren einer Affäre verwischen, die ihnen Jahre später wieder auf die Füße fallen wird. Diesen Roman hat damals Gisbert Haefs übersetzt (Die im Dunkeln) und mit einem kundigen Nachwort versehen. Haefs’ Nachwort, seiner brillanten Übersetzung, natürlich auch dem Engagement Thomas Wörtches und anderer verdanken wir den Anstoß für Neuübersetzungen des Gesamtwerks von Ross Thomas im Alexander-Verlag.
Thomas’ Stil berührt 20 Jahre nach seinem Tod unverändert. Ihn durchzieht ein gut gebändigter melancholischer Grimm, der den Glauben an das Gute mit einer Skepsis betrachtet, die sich nicht auf die Seite des Bösen schlägt. Es geht darum, dem Bösen gewachsen zu sein und es um manchen Preis in Schach zu halten. Das gelingt nicht immer, aber es ist immer wieder einen Versuch wert. Seine Figuren sind kompliziert, fast immer von einem Trauma überschattet, das sie hinter sich wissen. Ross Thomas zu lesen ließe sich deshalb auch als literarische Resensibilisierung verstehen. Man lacht, flucht und weint mit seinen Helden in Dreiklängen zum singenden Kontrabass Charlie Hadens.
Info
Porkchoppers (Ross-Thomas-Edition) Ross Thomas Jochen Stremmel (Übers.), Alexander Verlag 2016, 309 S., 14,90 €
Krimi Spezial
Weitere Krimis finden sie in der Beilage der Ausgabe 16/16
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