Der jüngste Konflikt zwischen Washington und Peking kam keineswegs zufällig - zufällig waren höchstens Ort und Zeitpunkt. Weitere "Zwischenfälle" dürften folgen, die Abstände dazwischen sich eher verkürzen. Ob sie ähnlich glimpflich verlaufen, ist ungewiss, schon seit längerem werden im Verborgenen die Messer gewetzt. Bereits heute verfügen China und die USA im asiatisch-pazifischen Raum über das mit Abstand größte Militärpotenzial. Zugleich verzeichnen sie das regional höchste Rüstungswachstum. Allein der jeweils andere taugt dabei zur Rechtfertigung eigenen Säbelrasselns. Für die USA bietet die Eindämmung chinesischer "Expansionsgelüste" ein wohlfeiles Motiv, um neue kostspielige Rake
aketenrüstungsprogramme aufzulegen und teure Waffen an die Verbündeten Japan, Südkorea und Taiwan zu verkaufen. Diese Allianzen der USA werden in China wiederum als Bedrohung "legitimer Interessen" in den angrenzenden Seegebieten gesehen und dienen der Rechtfertigung eigener neuer Rüstungsprojekte. Während so wechselseitiges Misstrauen wächst, drohen aus vergleichsweise geringem Anlass bei extrem kurzer Vorwarnzeit militärische Kettenreaktionen mit unabsehbaren Folgen. Dass politische Kunst letzten Endes stets reichen wird, das Richtige zu tun, um das Schlimmste abzuwenden, ist unklar. Denn für beide Seiten gilt die jeweils andere mittlerweile als ideale Projektionsfläche für Feindbilder - nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen. Letztere lassen sich aber durch diplomatisches Geschick kaum beeinflussen. Die divergierenden Interessen- und Risikokalküle unterminieren vielmehr die Berechenbarkeit der Handlungen im Spannungsfall. Erhöhte militärische Vorsorge voreinander scheint da lediglich geeignet, das Sicherheitsdilemma auf beiden Seiten zu vertiefen.Wie aber ist die Zuspitzung zu erklären? Droht der von Samuel P. Huntington prophezeite "Clash of Civilizations"? Tatsächlich liegen die Wurzeln für die aktuellen Spannungen zwischen China und den USA tiefer als die Konflikte um regionale Vorherrschaft. Dabei schien das Verhältnis zwischen beiden Mächten selten weniger entspannt als im zurückliegenden Jahrzehnt. Während sich nach der Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 westeuropäische Staaten und Unternehmen - erschreckt von der harschen Kritik in den USA - zunächst fast völlig aus dem China-Geschäft zurückzogen, stießen ausgerechnet US-Investoren ohne Skrupel in die entstandenen Freiräume vor. Das sich modernisierende und den ideologischen Ballast der Mao-Zeit abwerfende China erzeugte in den USA eine regelrechte Goldgräberstimmung. Zehn Jahre später ist die Wahrnehmung eine andere. George W. Bushs Diktum, China sei nicht mehr als Partner, sondern als Konkurrent zu betrachten, trifft die Stimmungslage vieler Amerikaner. Die Hoffnungen auf eine westlich dominierte Demokratisierung Chinas haben sich nicht erfüllt. Umgekehrt ist man in China nicht erst seit dem "irrtümlichen" Bombardement der Belgrader Botschaft die bevormundenden Belehrungen in Sachen Demokratie und Menschenrechte aus Washington leid.Enttäuscht wurde in den USA auch die Erwartung, der Kapitaltransfer würde dazu führen, dass sich Peking den globalen Ordnungsansprüchen Washingtons respektvoll unterwirft. Vielmehr haben das Tempo, vor allem aber die Stetigkeit des Wachstums in China der politischen Klasse Amerikas Angst und Schrecken eingejagt. Mit einem "Zusammenprall der Kulturen" hat dies wenig zu tun. Im Gegenteil: Die chinesische "sozialistische Marktwirtschaft" spiegelt die traditionelle Wachstumsapologetik des "American Way of Life" wie in einem Zerrbild. Die junge geschäftshungrige Gründergeneration Chinas hat ihr Handwerk von der Pike auf an den Eliteuniversitäten Princeton, Harvard und Stanford erlernt. Exzellent gebildet, weltgewandt und flexibel hat sie sich längst ihren führenden Platz im modernen Wirtschaftsleben der Volksrepublik erobert und schickt sich nun an, auch international stärker Fuß zu fassen. Selbstbewusst, frei von ideologischen Konventionen und bar sozialer Loyalität beherrscht sie meisterhaft die Klaviatur wirtschaftlichen Verdrängungswettbewerbs. Die politische Führung lässt die "jungen Wilden" gewähren, solange sie die Macht der Parteibürokratie nicht in Frage stellen. Beide - so scheint es - haben ein tragfähiges Arrangement gefunden. Der Zweck heiligt die Mittel: die Teilung von Reichtum und Macht funktioniert - noch. Das rücksichtslose Wachstum wirft zwar immer längere Schatten: Umweltverschmutzung, wachsende Wasserknappheit, Energiedefizite, Armutsmigration. Soziale und politische Konflikte sind längst programmiert. Andere als innenpolitische Gründe kommen für eine Politik der Stärke Chinas jedoch kaum in Betracht. Militärische Abenteuer - dies hat nicht zuletzt der gescheiterte Feldzug gegen Vietnam Anfang 1979 gezeigt - wären viel zu risikoreich, ihr Ausgang ungewiss. Peking braucht die erklärte militärische Konfrontation allerdings auch weniger als die USA, um sich im globalisierten Wettbewerb erfolgreich zu behaupten - vorausgesetzt das innenpolitische Arrangement hält. Die vorläufigen Antworten der Bush-Regierung auf die "chinesische Herausforderung" werden da wenig ausrichten. Weder eine Politik der militärischen Eindämmung noch rigorose Alleingänge etwa in der globalen Klimapolitik werden die Konkurrenzposition der USA gegenüber China deutlich verbessern können. Dies gilt um so mehr, da inzwischen auch andere Entwicklungsländer den Kurs "billigen Wachstums" eingeschlagen haben. Notwendig ist ein Weg, der dem globalen Strukturwandel gerecht wird. Allein durch den Ausbau und die Stärkung internationaler Sicherheits-, Politik- und Wirtschaftsregimes, die Einbindung möglichst vieler Staaten in ein engmaschiges Geflecht verbindlicher Prinzipien, Normen und Regeln, wird es gelingen, weiterer Destabilisierung vorzubeugen. Gelingt dies nicht jetzt, dürfte es in zehn Jahren dafür zu spät sein.